17.

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Anni

Das Gartentor quietschte, so wie es das schon seit Jahrzehnten tat. An sich ein sehr unangenehmes Geräusch. Da ich es aber schon mein Leben lang kannte, klang es in meinen Ohren eher beruhigend und heimelig. Ich lehnte mein Fahrrad an die Mauer und öffnete die Haustür. Oma und Tante Elfi sperrten tagsüber nie ab. Ihre Tür stand für uns immer offen und früher hatten wir Kinder das ziemlich oft genutzt. Bei den beiden gab es immer leckeres Essen und warme Worte für uns. Noch lieber verbrachte ich aber, in den Sommern, meine Zeit mit ihnen auf der Leitner Alm. Solche Tage gehörten zu meinen schönsten Kindheitserinnerungen. Ich liebte es da oben und ich fragte mich warum ich Michi eigentlich mit dorthin genommen hatte? Mit einer beiläufigen, unbewussten Geste berührte ich meinen Handrücken, so ähnlich wie er es gestern Abend getan hatte. Ich konnte immer noch nicht einordnen, was das war. Auch davor schon am Klavier. Er musste nicht viel tun, um völlig irrationale Reaktionen und Sehnsüchte bei mir hervorzurufen. Die Luft zwischen uns schien sich elektrisch aufzuladen, sobald er in meine Nähe kam. Woher kam das nur? Dieses unerklärlich starke Bedürfnis mich an ihn zu lehnen, mich in seine Arme zu flüchten, meine Nase an seine Halsbeuge zu schmiegen, weil er so unverschämt gut roch. Es war absurd, aber es war so. Und dann hatte er tatsächlich auch noch mein Buch gerettet, es sogar für mich getrocknet und das berührte mein Herz mehr als es sollte. Ich wollte mein Herz nicht für ihn erwärmen, für niemanden. Ich versuchte diese Gedanken abzuschütteln, wie eine lästige Fliege.

„Oma? Elfie? Seid ihr da?" Ich klopfte an die Küchentür und öffnete sie dann einen Spalt. Meine Oma saß allein am Tisch vor einem aufgeschlagenen Buch und mit ihrer Lesebrille auf der Nase. „ Ja Annerl, schaust du jetzt auch endlich mal bei mir vorbei. Zeit wird's." ,tadelte sie mich lächelnd in einem sanften, äußerst nachsichtigen Ton. Sie hüpfte so voller Elan von ihrem Stuhl auf, dass man ihr Alter kaum glauben konnte. Ich drückte sie nur ganz kurz, obwohl sie mir wirklich sehr gefehlt hatte. Meine Oma war ein Mensch der voller Liebe war, das aber nicht gerne offen und deutlich zeigte. Berührungen gab es bei ihr eher selten, ab und zu mal ein gutgemeintes oder tröstendes Tätscheln war schon fast das höchste der Gefühle. Eine solche Umarmung gab es eigentlich nur, wenn wir uns lange nicht mehr gesehen hatten. „Ich wollte lieber eine Weile warten. Mein Flugzeug war brechend voll. Ich will euch ja nix einschleppen." Sie winkte ab und verzog das Gesicht. „ Also wegen mir wärs ja ned. I sag mir immer wenns'd dazu ghörst, dann ghörst dazu. Da kann ma eh nix machen. Aber für der Elfie ihren Seelenfrieden is wahrscheinlich wirklich besser. Die ist ja so dünnhäutig und nervös bei dem Thema."

„ Ja. Ich weiß und irgendwie auch verständlich. Das kann einem schon Angst einjagen. Wo ist sie denn überhaupt?"

„Hat sich hingelegt vorhin. Ihr bekommt der ganze Schmarrn ned so gut. Des belastet sie richtig. Ständig schaut sie sich die ganzen Zahlen an und hört sich irgendwelche Corona-Hördinger an."

„Podcasts", murmelte ich leise. „Was meinst?" „Diese Hördinger, sowas nennt man Podcast."

„Ja mag sein." Sie zog ein noch abweisenderes, mürrischeres Gesicht.

„Schau Oma, da ist halt jeder anders. Die Elfie ist doch schon von Haus aus eher ängstlich und will alles immer ganz genau wissen. Vielleicht kann sie so besser mit der Situation umgehen. Du auf deine Art und sie auf ihre. So wie immer."

Meine Oma nickte stumm. „ Hast schon Recht, Kind. Weißt was. Jetzt koch ich uns einen schönen, warmen Kaffee und du erzählst mir was bei dir so los war in den letzten Monaten. Wenn ich gewusst hätt, dass du heut kommst, hätt ich an Kuchen gebacken, aber du sagst ja nix.", beschwerte sie sich. Ich grinste in mich hinein. Die Oma grantelte einfach gern etwas herum, das war ich gewohnt. Der Holzofen bullerte vor sich hin und strahlte eine angenehme Wärme aus. Ich schaute zu wie sie in der Küche hantierte und begann etwas schleppend zu erzählen. Nach einer Weile, stellte Oma die vollen Tassen auf den Tisch und musterte mich stirnrunzelnd.

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