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Anni

Ich fröstelte und zog den Reißverschluss meiner Fleecejacke ganz nach oben. Die Luft war dunstig und feucht. Zu meinen Füßen lag das Dorf, verborgen unter einer dichten Nebeldecke. Es wirkte so, als ob Ramsau über Nacht in Watte eingepackt worden wäre. Nur die Kirchturmspitze ragte heraus. Obwohl unser Anwesen und das Hotel nur ein Stückchen höher lagen, hatte der Nebel sich hier bereits verzogen. Ich kannte diese Wetterlage und war mir sicher, dass es auch heute wieder einen wunderschönen Herbsttag geben würde. Je nebliger und diesiger es dann am frühen Morgen war, umso sonniger wurde es oft später. Ich gähnte und stapfte müde Richtung Hotel. Im fahlen Morgenlicht bemerkte ich den weißen Transporter, der sich die kurvenreiche Straße zu uns hochschlängelte, erst spät. Blinzelnd versuchte ich den Schriftzug zu entziffern, obwohl ich das Logo eigentlich längst erkannt hatte - Schreinerei Hofer. Na das würde schon nicht er selber sein, der da so früh..., bestimmt irgendein Arbeiter der... redete ich mir etwas panisch ein, doch natürlich war er es doch. Als er den Wagen abgestellt und ausgestiegen war, wirkte er nicht weniger überrascht, als ich. „Anni?", fragte er bloß und klang etwas ungläubig. Normalerweise hätte ich versucht etwas Semi-witziges, Schlagfertiges zu entgegnen um die Stimmung aufzulockern. Sowas wie: Wer ist denn Anni? Ich bins doch nur die Nebelfee. Aber nein, ich stand lieber da, wie versteinert und starrte ihn an. Seine Anwesenheit und mein Name aus seinem Mund genügten um meine Synapsen durcheinanderzubringen. Hatte ich denn wirklich vergessen wie das klang, wenn er ihn sagte? Sofort schossen mir verschiedenste Situationen und Momente durch den Kopf in denen er ihn auf die unterschiedlichsten Arten ausgesprochen hatte. Intime, glückliche und auch sehr traurige, verzweifelte. Ich musste schnell dieses verflixte Kopfkino abstellen und irgendwas Vernünftiges sagen, doch meine Gedanken hüpften wie wildgewordene Ping Pong Bälle umher. „Anni...", sagte er nochmal und ich wartete mit angehaltenen Atem auf mehr. Doch er sah mich einfach nur an. Seine irritierend blauen Augen ruhten auf mir und ein paar Sorgenfalten umspielten seinen Mund. Ich räusperte mich „ Hallo Simon.", presste ich dann endlich hervor. Zum Glück klang ich wenigstens etwas souveräner als ich mich fühlte. Ich verkniff mir die Frage danach, wie es ihm ging. Ich wusste nicht, ob mir die Antwort gefallen würde, egal wie sie ausfiel. Simon wirkte ähnlich überfordert und überfahren, wie ich. „Anni...ich wusste echt nicht, dass du .."

„Dass ich wieder da bin? Erst seit drei Tagen. Hat es sich noch nicht herumgesprochen? Was ist denn da los? Hat Corona etwa auch den Dorffunk lahmgelegt? "

Simon grinste. „ Scheint so. Ich wusste tatsächlich nix davon und selbst Jakob hat es mit keinem Wort erwähnt."

Ich winkte ab. „Ach, ich glaube für ihn ist das einfach nicht so weltbewegend und bedeutsam."  Oder er hat es dir ganz bewusst verschwiegen, ratterte es mir zeitgleich durch den Kopf. Simons Mundwinkel zuckten, als wollte er etwas dazu sagen, aber er tat es nicht.

„Aber sag mal, was machst du um die Zeit schon hier. Es ist erst kurz nach sieben, noch nicht mal so richtig hell."

„Ich bin mit Jakob verabredet. Ich hol ihn ab. Er hilft beim Umzug."

„Du ziehst um?" Ich legte meine Stirn verwundert in Falten.

„Nein. Genaugenommen nicht ich, sondern..."

„Simmerl, du bist ja schon da." Mein Bruder kam ums Eck und zuckte überrascht zusammen, als er mich da stehen sah „Was machst du denn schon hier so früh?" Er klang irgendwie vorwurfsvoll und schaute mich ganz seltsam an. So als würde er mich am liebsten von Simon wegscheuchen. „Ich mach heut Frühstück für uns und die Gäste, die Mama hatte gestern Abend schlimme Kopfschmerzen und ich hab ihr angeboten das zu übernehmen. Wenn ich gewusst hätte, dass du so zeitig los musst, dann hätte ich früher angefangen"

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