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Anni

Irgendwann in der vergangenen Nacht hatte der Regen aufgehört. Doch die Welt um mich herum war von seiner Nässe noch vollständig durchdrungen. Von den Ästen perlten schwere Wassertropfen und das Gras war so durchtränkt, dass jeder meiner Schritte ein schmatzendes Geräusch erzeugte. Es roch nach Herbst, nach Bergwiese, Erde und Moos. Ich genoss die Einsamkeit auf den Wegen um diese Jahreszeit immer besonders. Jeder winzige Tautropfen auf den Grashalmen, jeder Wolkenschatten, jedes bunte Blatt das von den Bäumen segelte und jeder Atemzug der kühlen, regenfeuchten Luft flüsterte mir wohlige Heimatgefühle ins Ohr. Die Ruhe der Berge, übertrug sich auf mich, hüllte mich ein und sie brachten eine Saite in mir zu klingen, die ich nur hier spüren konnte. Es war höchste Zeit meine Akkus wieder mit diesem speziellen Bergfeeling aufzuladen. So schön und spannend auch die ganzen fremden Länder, die Ozeane und all die exotischen und andersartigen Landschaften waren, nichts davon würde ich je so lieben und brauchen, wie das hier. Meine Heimat, meinen Ursprung, meine Berge und Seen. Bewegung an frischer, klarer Luft schafft auch einen klaren Kopf. Es reinigt Hirn und Seele. Das sagte Oma Lise, bei jeder sich bietenden Gelegenheit und sie hatte so verdammt recht damit. Wie gerne hätte ich sie jetzt besucht, doch ich wollte sie auf keinen Fall in Gefahr bringen. Da ich gestern erst in einem vollbesetzten Flugzeug gesessen hatte, musste unser Wiedersehen noch eine Weile warten. Oma Lise bewirtschaftete im Sommer zusammen mit Tante Elfi die Leitneralm und den Herbst und Winter über wohnten sie unten im Dorf in ihrem kleinen gemütlichen Haus. Wenn ich zu Hause war verbrachte ich üblicherweise viel Zeit mit den beiden. Ich liebte es im Sommer ab und zu auf der Alm auszuhelfen, das machte mir hundertmal mehr Freude, als mich im Hotel mit Jakob herumzuärgern. Oma und Elfi freuten sich immer über meine Hilfe und noch mehr über meine Anwesenheit. Bei ihnen war ich immer willkommen und sie waren auch nie enttäuscht oder sauer wenn ich wieder ging. Sie liebten es, wenn ich ihnen lustige Anekdoten von meinen Reisen erzählte oder Bilder zeigte und sie verurteilten meine übersteigerte Reiselust nie, auch wenn sie selbst so ganz anders lebten. Ich versteh dich schon, Mädel. Als ich jung war, wollte ich auch eine Zeitlang unbedingt hier weg. Die Berge kamen mir irgendwann so erdrückend vor. Ich hatte das Gefühl sie versperren mir die Sicht auf den Rest der Welt. Aber früher war das für eine Frau nicht so leicht, wie heute. Ja eigentlich fast unmöglich Ich hab sogar ernsthaft überlegt ins Kloster und dann als Missionsschwester nach Afrika zu gehen, nur um endlich mal rauszukommen, aber dann hab ich deinen Onkel kennengelernt und den Plan schnell wieder verworfen. Solche Dinge sagte Tante Elfie dann manchmal. Aber meine Beweggründe waren andere. Den Bergen und meiner Heimat wurde ich eigentlich nie überdrüssig und ich hätte sie auch niemals komplett aufgeben wollen. Es waren viel mehr die Menschen und ihre Erwartungen an mich, die ganzen Verpflichtungen, die sich immer höher vor mir auftürmten, je länger ich blieb. Das war es, was mich wahrscheinlich immer wieder dazu brachte zu gehen. Mir war klar wie man über mich im Dorf teilweise redete, tuschelte und dachte. Besonders seit der Geschichte mit Simon. Das würde mir wohl bis ans Ende meiner Tage nachhängen. Im Prinzip war es mir auch egal, nur für meine Eltern tat es mir leid. Ich wollte ihnen keinen zusätzlichen Kummer machen und doch tat ich genau das immer wieder. Die letzten Monate hatte ich viel über mich, mein Leben und über die Vergangenheit nachgedacht und reflektiert. Auch weil Mike mich oft dazu gebracht hatte. Er war ein Meister darin, Themen aufzuspüren, die ich sonst kaum anrührte

Annie, ich will ja nicht neugierig sein, aber...ok vielleicht bin ich es doch....bist du eigentlich verliebt, verlobt oder verheiratet? Du klingst nicht danach? Oder bin ich etwa sowas wie deine heimliche Email-Affäre?

Nö weder noch. Meine Bedarf dahingehend ist für die nächsten hundert Jahre gedeckt, glaub mir. Affäre? Ich hoffe du hast nicht vor etwas Unanständiges zuschreiben?

Schlechte Erfahrungen?

Mit anzüglichen Emails?

Scherzkeks. Nein mit Männern und Beziehungen?

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now