10.

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Anni

Die ganze Hotelküche duftete nach Apfelkuchen. Hochzufrieden stellte ich das heiße Blech ab. Ich war eine ganz passable Köchin, aber nicht gerade die begnadetste Bäckerin. Das lag daran, dass ich gerne herumexperimentierte und mich schwer damit tat, mich genau an Rezepte zu halten. Das ging beim Backen manchmal katastrophal schief. Heute zum Glück nicht. Mein Kuchen sah mehr als perfekt aus und er roch auch so. Ich streute noch etwas Zimtzucker darüber und betrachtete stolz mein Werk „Oh, der is aber sche aufganga, Annie. Nimmst den glei mit runter zur Vroni?"

„Ja, aber nur ein paar Stücke. Den Rest lass ich euch da. Dann habt ihr auch was davon."

„Da werd se da Papa gfrein nachher." Sie tätschelte liebevoll meinen Arm. Ich spürte, dass meine Mama sehr glücklich darüber war, mich hier zu haben. „Bewachst du ihn kurz? Ich muss noch ein paar Sachen holen, inzwischen kann er noch ein bisschen abkühlen."

Ich flitzte durch den Regen rüber in meine Wohnung, brachte meine Haare in Ordnung, schnappte mir einen Korb und meine gefütterte Lieblings-Regenjacke. Fast vergaß ich das Geschenk für mein Patenkind, das ich extra aus London mitgebracht hatte und musste nochmal umdrehen. Meine Mutter kam mir dann schon aus dem Hoteleingang entgegen und drückte mir das Kuchenpaket in die Hand. „Ich hab ihn dir gleich eingepackt. Möchtest du wirklich nicht lieber eins von den Autos nehmen bei dem Wetter?" „Nein. Ich komm doch gerade aus London Mama, des bisschen Regen stört mich nicht und ein bisschen Bewegung schadet nie."

„Du warst doch gestern erst so lang unterwegs. Wie war's eigentlich? Hast ja no gar nix erzählt. Den Michi hab ich heut auch noch nicht gesehen. Hoff du hast ihn nicht recht gequält?"

„War alles gut, Mama. Bisschen Muskelkater hab ich, aber war ne richtig schöne Tour."

„Was? Du hast an Muskelkater? Oh mei, der arme Michi. Also Anni du kannst doch ned, wenn du an Gast dabei hast so übertreiben...Der ist doch sowas bestimmt ned gewöhnt."

„Also wenn es stimmt was er sagt, hat's ihm recht gut gefallen. Er hat sogar gefragt, ob ich ihn nochmal mitnehme. So schlimm kann's also nicht gewesen sein."

„So, so." Meine Mutter schaute zweifelnd drein.

„Mama, jetzt schau ned so. Du wolltest unbedingt, dass ich ihn mitnehm und nix anderes hab ich getan. Der hat wirklich gut mitgehalten und wird so eine Wanderung schon überleben." Ich zuckte während meiner eigenen Worte etwas zusammen, als ich sie realisierte. Und wieder der Mund schneller als das Hirn. „Du weißt wie ich das meine, oder? Das war nur so ein dummer Spruch." Mama winkte ab. „Ja freilich." „Gut." Ich seufzte und küsste sie auf die Wange. „Dann geh ich jetzt. Die Vroni wartet."

„Grüß sie und die Valentina und lassts euch den Kuchen schmecken."

Ich zog meine Kapuze über und schnappte mir den Korb. Meine Jacke war zwar nicht rot sondern olivgrün, trotzdem kam ich mir ein bisschen vor wie Rotkäppchen auf dem Weg ins Dorf. Der Regen prasselte in so dicken, schweren Tropfen auf meine Jacke, dass es das einzige Geräusch war, das ich wahrnehmen konnte. Nasskaltes Herbstwetter und mir kam es vor, als hätte sich auch schon ein winziger Hauch von Winter in die Luft gemischt. Der gute alte Trampelpfad über die Wiese, war so aufgeweicht, dass ich meine Augen permanent auf den Boden richten musste um nicht auszurutschen. Ich verpasste aber eh nichts. Die Berge versteckten sich heute hinter einem dichten grauen Schleier aus Dunst und tiefhängenden Wolken. Was für ein Unterschied zu gestern. So war das bei uns, manchmal lag nur ein Wimpernschlag zwischen Sommer und Winter. Ich liebte das sehr, dieses Unberechenbare. Ich hätte nie dauerhaft irgendwo bleiben wollen, wo es immer gleich oder warm war. Die Nähe und auch die Abhängigkeit von der Natur, unterschied unser Leben hier auch maßgeblich von dem in einer Stadt. Die Jahreszeiten gliederten unser Jahr auf ganz selbstverständliche und natürliche Weise. Wenn man sich richtig drauf einließ, konnten sie alle Sinne berühren. Unverhofft entdeckte man dann eines Tages Krokusse am Wegesrand, die das Ende des Winters und den Beginn des Frühlings einläuteten und man konnte die auftauende Erde riechen. Man spürte die Wärme der Sonnenstrahlen und bemerkte das Hitzeflimmern zwischen Latschen und Zirben bei einer Bergtour im Hochsommer. Jedes Jahr freute man sich über die Farbenpracht der Mischwälder, die der Herbst goldrot einfärbte und roch das frisch gefallene Laub, das sich am Boden zersetzte. Man konnte, so wie gestern, einfach einen reifen Apfel von Baum pflücken und hineinbeißen, sein süß-säuerliches Aroma schmecken. Und irgendwann wurde man dann morgens geblendet vom Schnee, der über Nacht gefallen war, spürte die klirrende Kälte bis in die Fingerspitzen. Ich seufzte zufrieden, während ich durch den Matsch stampfte. Ich besaß nicht so wahnsinnig viele Talente und die meisten davon waren unsichtbar und für andere nicht greifbar. Ich konnte mir beispielsweise mühelos einen grauen, tristen Tag im Kopf wunderschön und bunt zaubern, wenn ich wollte. Aber meistens musste ich das gar nicht, weil ich ebenso wie dem Wechsel der Jahreszeiten auch fast jeder Wetterlage etwas Gutes abgewinnen konnte. Ich ließ mir doch nicht vom Wetter meine Laune diktieren. Dass ich mich momentan insgeheim manchmal so kraftlos und farblos fühlte, wenn ich es zuließ, hatte jedenfalls nichts mit dem Wetter zu tun. Aber so richtig wusste ich auch nicht woran es eigentlich lag. Während ich darüber nachsinnierte war ich im Dorf angekommen. Bis auf ein paar vereinzelte vorbeifahrende Autos auf der Hauptstraße war nichts los. Kein Mensch war draußen zu sehen. Erst als ich beim Bäcker vorbeikam traf ich auf ein paar Leute und grüßte. An Vronis Haustür hatte ich noch kaum mit der Fingerkuppe die Klingel berührt, als sie schon die Haustür schwungvoll aufriss. „Da bist ja endlich.", zischte sie mit einem leicht vorwurfsvollen Unterton und schloss mich dann ihre Arme. Sie drückte mich. Sie erdrückte mich fast. „Dass du dir jedes Mal wieder so lange Zeit lässt, du blöde Kuh.", schnarrte sie liebevoll. Ich pustete mir ihre Lockenmähne aus dem Gesicht und holte tief und laut Luft, als sie mich wieder losließ. „Du, ich war noch nicht Mal bei der Oma. Wegen dem Flug und allem. Ich will ja niemand anstecken und wollt erstmal ein paar Tage ankommen und abwarten ob ich mich nicht doch irgendwie krank fühle. In London ist gerade wieder die Hölle los, sag ich dir. Bin gerade noch rechtzeitig rausgekommen. Hab mit einer Bekannten dort heute schon geschrieben und ich bin so froh, dass ich diesen Lockdown zu Hause verbringen kann.", sagte ich während ich meine schmutzigen Schuhe abstreifte und ihr dann ins Haus folgte. „ Aber der Flug war echt strange. So eng, so voll, komische Stimmung, trotz oder auch wegen der Masken irgendwie beängstigend. Ich bin schon so oft geflogen, aber ich hab dabei noch nie so ein beklemmendes Gefühl erlebt. Man fragt sich schon ob das alles je wieder wie vorher wird.", seufzte ich. „ Hier, wie versprochen Tante Anni's leckerer, hausgemachter Apfelkuchen." Ich drückte ihr mein Kuchenpaket in die Hand, als wir in der nagelneuen, blitzeblanken Hochglanzküche standen. Das rustikale Äußere des Hauses, unterschied sich komplett von der Einrichtung. Sie legte den Kuchen auf eine Platte, die schon bereitstand. „Ist der von dir? Oder von deiner Mama?"

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now