9.

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Anni

Ich hob den Kopf und öffnete die Augen. Der Regen prasselte aufs Vordach und gegen die Fenster. Ich kuschelte mich tiefer in meine Bettdecke ein. Es klang sehr gemütlich und friedlich, trotzdem fühlte ich mich seltsam gehetzt, aufgewühlt und irgendwie zerrissen. Ich hatte von Simon geträumt und mein Traum fühlte sich immer noch so real an, dass ich Probleme hatte wieder unbeschadet in der Wirklichkeit anzukommen. Das hatte ich nun davon, von diesem Herumgestochere in der Vergangenheit. Ich ließ den Kopf zurück aufs Kissen sinken und kniff die Augen zusammen. Ich rief meine Traumbilder noch einmal ab, bevor sie verblassen oder ganz verschwinden konnten. Wir saßen an dem Pool, genau wie in dieser Nacht, über die ich gestern geschrieben hatte. Aber ich war nicht siebzehn, sondern da saß ich, die Anni von heute. Der Traum war so intensiv und klar, dass ich sogar das kühle Wasser an meinen Beinen fühlen konnte. Ich spürte auch das Brizzeln auf der Haut, als Simons Hände mich berührten. Übermütig ließ ich mich ins Wasser gleiten ohne seine Hand loszulassen und zog ihn mit mir nach unten. „Anni....nicht." Ich ließ mich nicht beirren, warf den Kopf lachend in den Nacken, als er prustend wieder auftauchte. Dann schlang ich meine Arme um seinen Hals und drängte mich an ihn. Das war so gut. Ich war so glücklich. „Gott, wie ich dich liebe Anni.", flüsterte er, die Lippen an mein Ohr. Mein Herz es pulsierte und mein ganzer Körper bebte. Seine Finger strichen zärtlich an meinem Hals entlang über mein Schlüsselbein. „Wir können hier nicht bleiben, Anni. Das weißt du." Meine Antwort war nur ein unwilliges Aufstöhnen. Er lächelte und küsste mein Gesicht, dann tauchte er weg. Ich wartete, aber er kam nicht zurück. Meine Arme blieben leer. Es war kalt, so kalt. „Simon?" Ich sah mich suchend um, aber ich spürte, dass er nicht mehr da war und ich spürte auch die Verzweiflung und die Angst, die in mir hochkrochen. „Anni komm! Komm aus dem Wasser. Du kannst hier nicht bleiben.", sagte eine Stimme. Eine Hand streckte sich mir entgegen, um mir heraus zu helfen. Ich konnte das Gesicht nicht richtig erkennen. Es war auf einmal so dunkel. „Simon?", rief ich wieder. Die Stimme gehörte nicht Simon. Trotzdem klang sie beruhigend und überhaupt nicht fremd. Ich kannte sie irgendwoher. Irgendwie wusste ich, sie meinte es gut mit mir „Anni, komm schon." Gerade als ich langsam meinen Arm ausstreckt und nach der Hand greifen wollte, wachte ich auf. Mir war immer noch eiskalt und es dauerte eine Ewigkeit bis ich mich überwinden konnte, das Bett zu verlassen. Ich schlüpfte fröstelnd in den Bademantel der noch neben meinem Bett auf dem Boden lag. Gestern Abend war ich schlagartig so müde geworden, dass ich fast im Sitzen eingeschlafen wäre. Meine ersten Schritte waren ein wenig ungelenk und steif. Meine Waden zwickten, obwohl ich sonst fast nie Muskelkater bekam. Mein Körper war an diese Art von Belastung eigentlich gewöhnt. In London war ich wohl doch etwas eingerostet. Wie würde es dem armen Michi erst gehen? Wir hatten gestern eine ordentliche Strecke zurückgelegt und die letzten Kilometer hatte man ihm angemerkt, dass er ziemlich k.o. war. Ich spürte zwar auch, dass meine Kraft nachließ, aber ich war ziemlich gut darin, das auszublenden und einfach weiterzulaufen. Ich liebte dieses Gefühl danach, wenn der Körper richtig müde und ausgepowert war. Man schlief dann so viel besser und tiefer. Eigentlich war es mir gestern kaum aufgefallen, wenn es anstrengend wurde, weil ich so vertieft in die Gespräche mit ihm gewesen war. Die Zeit war so schnell vorbeigegangen. Nur auf dem Rückweg hatten wir dann nicht mehr so viel gersprochen. Ich hing meinen Gedanken nach und schaltete in diesen Automatik-Dahinlatsch-Modus. Ab und zu tauschten wir ein paar Sätze miteinander, aber so ein richtiger Gesprächsflow wollte sich nicht mehr einstellen. Es lag wahrscheinlich hauptsächlich an mir, ich war auf der Hut und traute mir selber nicht so recht. Wirklich niemand brauchte im Moment Flirty-Annie. Ich musste kurz Grinsen. Jetzt fing ich schon damit an mir selbst solche Annie-Namen zu verpassen wie Mike das immer tat. Michi schien es nicht groß bemerkt zu haben, oder er war einfach froh, dass ich ihn nicht mehr so zutextete. Manchmal redete ich zu viel und zu schnell und konnte mich selbst nur schwer bremsen. Als wir dann am Hotel angekommen waren, hatte er mir die Hand gegeben, sich nochmal bedankt und gemeint, dass wir das von seiner Seite aus gerne wiederholen könnten. Sein Händedruck war warm und fest, aber nicht zu fest und sein Blick war direkt, offen und auf eine unaufdringliche Art sehr intensiv. Scheiße ja, ich gab's ja zu. Ich fand ihn irgendwie echt anziehend und ich konnte mir nicht mal erklären warum und woher das kam. Er hatte irgendwas an sich, was bei mir verfing. Man merkte es schon daran, dass ich in diesem Moment ganz Anni-untypisch reagierte. Ich senkte den Blick, wie ein schüchternes, kleines Mädchen. Zum Glück fing ich mich sehr schnell wieder und ließ seine Hand los. „ Ja klar. Insofern das Wetter mitspielt. Es soll viel Regen geben in den nächsten Tagen, da kann es in den höheren Lagen jederzeit auch schneien, manchmal passiert das schon im September. Falls es aber nochmal passen sollte, sag ich dir natürlich gern Bescheid. Du wirst eh erstmal ordentlich Muskelkater haben. Vielleicht schmeißen wir morgen ja mal die Sauna an. Sehr zu empfehlen bei Muskelkater." Du plapperst schon wieder Anni. Denk doch erst mal nach und sprich dann. Du versuchst jetzt locker und unbedarft zu klingen, aber meinst du gerade das Thema Sauna ist passend und unverfänglich? Nachher denkt er noch du willst mit ihm in die Sauna. „Die Textil-Außensauna, da oben, von der hat man einen wahnsinnig schönen Blick auf die ganzen Berge rundherum. Es ist urgemütlich da drinnen.", schob ich hinterher. „Jammerschade, dass der ganze Wellnessbereich zu ist. Aber der Aufwand wär zu groß und es ist ja sicher eh verboten. Die Außen-Sauna auch, wenn ich es mir recht überlege. Manchmal vergisst man diesen ganzen Kram völlig." „Ja das ist echt schade. Eine Runde Schwimmen, Sauna oder auch ein bisschen Fitness, wär ganz nett.", meinte er. „Aber dafür hab ich ja mein wunderbares Apartment. Sogar mit Teleskop zum Sternebetrachten." Nachdenklich kaute ich auf meiner Lippe herum. „Ich darf das ja alles privat benutzen und vielleicht vergesse ich abends einfach mal danach abzusperren, oder so. Ich bin manchmal äußerst vergesslich und zerstreut, musst du wissen.", kokettierte ich. Er grinste breit. „Sowas kann ja jedem Mal passieren. Aber ich will echt nicht, dass ihr deshalb Ärger kriegt." „Quatsch, meinen Eltern ist das egal. Die sind bei sowas tiefenentspannt und die kann ich einweihen. Und Jakob, ja der ist schon manchmal schon so, so... so ein typischer Alman..." Ich verdrehte die Augen. „Aber der ist abends selten da. Der schläft meistens nicht hier, sondern zu Hause bei seiner Familie. Sein Haus ist zweihundert Meter weiter, die Straße hoch. Und wen sollte das stören, wenn du mal ein halbes Stündchen allein im Fitnessraum oder im Schwimmbad verbringst?" „Ich weiß nicht, wenn du meinst, das ist ok? Du kannst mir ja eventuell Bescheid geben, falls du mal planst sowas zu vergessen." Er lächelte. Ich nickte und lächelte zurück.

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