14.

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Mike

Im Inneren der Hütte war es stockfinster. Ich half Anni die Fensterläden zu öffnen, aber der Himmel war so verhangen und dunkel, dass es immer noch dämmerig wirkte. Es war wärmer als draußen, aber ich fror allein schon wegen der nassen Sachen. Tatsächlich war es hier drinnen viel geräumiger, als es von außen den Anschein machte. In der Ecke stand ein alter, gemütlich aussehender Holztisch, rustikale Stühle und eine Bank, auf der Anni ihren Rucksack abstellte und nach irgendwas suchte. Sie holte ein kleines Täschchen heraus. Jedes Mal, wenn sie mit ihrer rechten Hand irgendwas berührte, verzog sie ihr Gesicht. „Kann ich dir irgendwie helfen?"

Sie zögerte und nickte dann. „Magst du mal aufmachen. Sie zeigte auf die kleine Tasche. „Vielleicht hab ich da noch Desinfektions- und Verbandszeug drinnen.

Gerade heute hab ich nicht richtig gepackt. Ich dachte, für die paar Meter lohnt es sich kaum." Ich öffnete den Reißverschluss und holte ein Desinfektionsspray heraus. „Sonst nur Blasenpflaster, eine Pinzette und eine Sportsalbe oder sowas in der Art."

„Besser als nichts.", meinte sie und ging zu dem kleinen Waschbecken um ihre Hände zu waschen.

Angewidert betrachtete sie ihre saubere Handfläche. „Na super."

„Zeig mal." Sie öffnete ihre Handfläche, die jetzt zwar nicht mehr blutete, aber doch ziemlich ramponiert aussah. „Du hast da ein paar kleine Steine unter der Haut, glaub ich."

„Ich weiß." Sie sprühte ihre Hand mit dem Desinfektionsspray ein und griff nach der Pinzette. Etwas ungelenk versuchte sie die Steinchen zu erwischen, was sich mit der linken Hand wohl etwas schwierig gestaltete

„Soll ich mal versuchen?". Sie hob die Schultern. „ Vielleicht? Oder das bleibt erstmal so." , etwas unsicher blinzelte sie mich an

„Quatsch, das kriegen wir schon. Setz dich da ans Fenster, da kann ich besser sehen. Wenn ich dir wehtue, schreist du einfach ganz laut und ich hör sofort auf.." 

„Das könnte durchaus passieren." Sie lächelte verhalten und hielt mir dann ihre Hand hin. Dabei wandte sie den Blick ab und richtete ihn zur Decke. Ich legte ihre Hand ganz behutsam in meine. Sie war eiskalt. „Kommt vom Händewaschen. Gibt nur kaltes Wasser hier.", murmelte sie ohne mich dabei anzusehen. Ich konzentrierte mich und visierte das erste winzige Steinchen an, das am leichtesten zu erwischen war. Mit einem schnellen Ruck zog ich es heraus. Anni zuckte nur ganz kurz und biss sich dann fest auf die Lippe. „Geht's?" Sie nickte stumm. Meine Finger umschlossen ihr Handgelenk und ich konnte ihren Puls fühlen. Ich versuchte mich nicht ablenken zu lassen. Auch beim nächsten Steinchen machte sie keinen Mucks, obwohl er nicht so leicht rauszuholen war und es viel länger dauerte. Sie hielt die ganze Zeit den Atem an und ihr Gesicht und ihr ganzer Körper waren aufs Äußerste angespannt. Es bereitete mir fast selber körperliche Schmerzen, ihr wehtun zu müssen. Vorsichtig legte ich den zweiten kleinen Steinsplitter auf den Tisch. „Bei dem letzten weiß ich nicht...der steckt ziemlich tief und ich will dir nicht noch mehr wehtun."

„Mach einfach, das halt ich schon aus. Aber wenn es irgendwie geht bitte schnell." Sie atmete tief durch und kniff die Augen zusammen. Ich bemühte mich, so gut es nur irgendwie ging, aber meine Hand war zittrig und ich bekam ihn erst beim dritten Versuch zu fassen. Sie gab einen erstickten Schmerzenslaut von sich. „Schon vorbei.", sagte ich und tätschelte ihren Arm. Sie öffnete die Augen und eine Träne lief ihr mitten übers Gesicht, aber sie lächelte. „Gut. Ich hätte auch nicht mehr lange durchgehalten. Ich bin ein Weichei bei sowas."

Ich sprühte ihre Hand mit dem Desinfektionszeug nochmal ein. „Du warst wirklich sehr tapfer", sagte ich und streichelte mit einer unbewussten, liebevollen Geste langsam über ihre Hand. Annis Augen weiteten sich überrascht, bei meiner Berührung, die viel zu innig ausfiel. Sie hielt still und sah mich einfach nur an. Ihre Hand lag immer noch in meiner und mein ganzer Arm begann zu kribbeln, als würden Tausende Ameisen durch meine Blutbahnen jagen. Dann fröstelte sie plötzlich und zog ihre Hand weg. Sie schlang die Arme um ihren Körper. „Es ist echt arschkalt. Wir könnten Feuer machen. Wer weiß wie lange das noch so geht." Sie wies mit dem Kopf nach draußen.

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now