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Ihr Anblick ließ mein Herz nervös stolpern. Schon von weitem entdeckte ich sie auf einer der Holzliegen in der Wiese vor dem Pool. Daneben lag ihr Rucksack im Gras. Ihre Augen waren geschlossen und sie streckte ihre Nase in die Sonne. Das warme Herbstlicht legte einen goldenen Schimmer auf ihr Gesicht und ihre Haare. Sie wirkte tiefenentspannt und ich wusste nicht ob mich das beruhigte oder eher noch mehr verunsicherte. Ich räusperte mich dezent. Als sie hochsah und unsere Blicke sich trafen, spannte sich mein Körper automatisch an. Diese unbegründete, diffuse Sorge, dass sie mich erkennen und augenblicklich durchschauen und anklagen könnte, ließ sich nur schwer abstellen. Doch Annie lächelte nur freundlich und dann sagten wir beide gleichzeitig Hallo und grinsten etwas verlegen. „Ich hoffe meine Mutter hat ihnen, dass nicht einfach aufgeschwatzt und sie haben wirklich Lust mitzukommen? Ich weiß wie sie sein kann. Wenn sie lieber nicht..." „Nein, nein...", unterbrach ich sie. „ Es war ihre Idee, aber ich freu mich darauf, jemand ortskundigen an der Seite zu haben. Ich bin zwar schon viel herumgelaufen, aber eher planlos. Aber könnten wir vielleicht du sagen? Ich hab mich schon so dran gewöhnt, dass hier einfach jeder du sagt."

„Natürlich. Ist mir auch lieber." Anni strahlte mich an. „Das liegt in unserer DNA. Ich hab es mir hart abtrainieren müssen auf der Hotelfachschule." Ich hörte was sie sagte und brauchte einen Moment um es zu verarbeiten und zu verstehen dass sie mit unserer DNA, sicher nicht mich meinte.

„Na dann wollen wir mal. Die Strecke ist echt richtig schön, nichts anspruchsvolles, dafür aber etwas länger. Wir können aber zurück den Bus nehmen oder auch jederzeit umkehren, wenn es zeitlich zu eng wird. Es wird ja schon früher dunkel inzwischen." Sie erhob sich, schnallte ihren Rucksack auf den Rücken und wir marschierten los. Sie wirkte fröhlich und motiviert, von der Niedergeschlagenheit, die ich eigentlich erwartet hatte, nachdem sie am Morgen so nachdenklich und fast traurig geklungen hatte, war nichts zu spüren. „Wenn ich zu schnell oder zu langsam bin, dann sag einfach Bescheid."

Ich nickte. „Wohin gehen wir ?"

„Erstmal ins Dorf runter und dann durch den Zauberwald zum Hintersee. Von dort gehen wir durchs Klausbachtal über die große Hängebrücke hoch zum Hirschbichlpass und wenn's noch geht und zeitlich reinpasst weiter zur Litzlalm."

„Ok. Das klingt spannend. Ich werde mir Mühe geben."

„Ach, wir gehen ganz entspannt. Mach dir bloß keinen Stress. Für mich ist Wandern Entspannung, Spaß und Freude, kein Hochleistungssport. Was wir schaffen, schaffen wir und für den Rest gibt's auch noch andere Tage. Es soll sich gut anfühlen und nicht in Stress ausarten."

„Wandern ist eine Tätigkeit der Beine und ein Zustand der Seele, oder wie heißt das?"

Sie drehte sich um und musterte mich kurz, aber zum ersten Mal etwas intensiver. „Ja genau, ein sehr passendes und schönes Zitat von Josef Hofmiller. Ich kann dir dutzende Berg und Wanderzitate aus dem Stegreif aufsagen. Ich bin die Familienbeauftragte was unsere Homepage und die ganzen Social Media-Accounts und so weiter betrifft. Sie betrat den kleinen Trampelpfad, der quer über die Wiese und steil abfallend, hinunter ins Dorf führte. „Besonders stolz bin ich auf meinen Marilyn Monroe-Spruch."

„Was hat denn Marilyn Monroe mit Wandern zu tun?"

„Nun, der Spruch lautet: „Gib einer Frau die richtigen Schuhe und sie kann die ganze Welt erobern. Ich habe ihn unter ein Gipfelfoto mit Füßen in Wanderschuhen gesetzt. Mein Bruder fand das richtig bescheuert, ein Grund mehr für mich es zu lieben."

Ich grinste in mich hinein. Ich hätte Anni auch sympathisch gefunden, wenn ich überhaupt nichts über sie gewusst und sie wirklich gerade erst kennen gelernt hätte. Das erfüllte mich mit Freude und großer Erleichterung. Sie wirkte ungezwungen, locker und ich mochte ihre Energie und ihren Humor sowieso. „ Sehr clever, dass bleibt natürlich hängen. Gerade weil Miss Monroe dabei sicher nicht an Wanderschuhe gedacht hat. ", sagte ich. „Wer weiß." Anni zuckte mit den Schultern. „Sie war ein Mensch mit vielen Facetten. Oder hättest du gewusst, dass sie ein echter Bücherwurm war?"

Wo wir frei sindWhere stories live. Discover now