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Mike

Selbst das beruhigende Geräusch der Regentropfen konnte nichts gegen mein Gedanken-Karussel und meine innere Aufruhr ausrichten. Ich hatte mich in eine äußerst bescheidene Lage manövriert. Die ganze Nacht grübelte ich darüber nach, was ich tun sollte. Annie war mir so verdammt wichtig und ich hatte furchtbare Angst sie zu verlieren. Ich konnte sie keinen Tag länger anlügen. Je länger ich es hinauszögerte ihr die Wahrheit zu sagen, umso schlimmer wurde es nur noch. Sie vertraute mir und ich missbrauchte dieses Vertrauen die ganze Zeit, auch wenn keinerlei böse Absicht dahinter steckte. Annie war außergewöhnlich, inspirierend und wunderschön, von innen und von außen. Das hätte ich ihr am liebsten, solange und so deutlich gesagt bis sie es selber glaubte. So wie ich sie erlebt hatte, vermutete ich, dass sie diese weiche Seite, die sie Mike gegenüber öfter preisgab, im realen Leben eher selten zeigte. Sie gab sich gerne tough und unerschütterlich, doch dahinter verbarg sich sehr viel Sensibilität und Verletzlichkeit. Sie würde mir das vielleicht nie verzeihen. Und ich könnte sie sogar verstehen, wenn es so wäre. Der Morgen dämmerte schon, als ich endlich in einen unruhigen Schlaf fand. Ich träumte wirres Zeug und wachte immer wieder auf. Um kurz vor zehn gab ich auf. Ich hüpfte unter die Dusche und beim Anziehen, wurde mir bewusst dass ich mein Wäscheproblem, noch immer nicht gelöst hatte. Meine Sachen waren mittlerweile fast alle getragen und zerknittert. Ich zog mein allerletztes sauberes T-Shirt aus dem Schrank. Der Blick in den Spiegel war ernüchternd. Ich sah genauso gerädert aus, wie ich mich fühlte. Gerade als ich meine Hand auf den Türgriff legte um nach unten zu gehen und mein Frühstück zu holen, klopfte es. Marlene war wohl wiedermal schneller, als ich. „Guten Morgen, ich wollte gerade..." Ich verstummte. Es war nicht Marlene die direkt vor mir stand. Es war Annie und sie strahlte mich an. Fröhlich und unbekümmert. Sie war ganz dunkel angezogen, aber ihre Augen leuchteten so lebendig, wie ein frischer Frühlingsmorgen. Ich starrte sie an, musterte jedes Detail ihres Gesichts ungläubig, so als könnte sie gar nicht real sein und wäre einfach nur meiner Phantasie entsprungen. „Guten Morgen. Zimmerservice." Sie lächelte diesen komischen Moment einfach weg und drückte mir den Teller in die Hand. „Danke. Ich wollte es gerade holen.", murmelte ich. „Du hättest nicht extra..."

„Ach was. Ich hab eh Langeweile bei dem Wetter. Aber es soll nachher besser werden. Also, hab nen schönen Tag." Sie drehte sich um und ging. Alles in mir wollte sie aufhalten, ihr hinterherrufen und gleichzeitig, atmete ich erleichtert auf. „Anni?"

„Ja?" Sie drehte sich um.

„Danke." Ein warmes und breites Lächeln huschte noch einmal über ihr Gesicht. Sie suchte für ein paar Sekunden meinen Blick. „Bitte. Sehr gerne." Dann wandte sie sich ab und ging Richtung Treppenhaus. Ihre Schritte hatten etwas Federndes, fast Tänzelndes. Sie strahlte eine Leichtigkeit aus, die ich mir nach unserem Chat gestern, nicht so recht erklären konnte. Sie verwirrte mich schon wieder in jeder Hinsicht.

Rede mit ihr. Heute noch. Du musst. Es hilft nichts, das aufzuschieben. Ich seufzte und brühte mir eine Tasse Tee auf, dann setzte mich mit meinem Teller auf meinen geräumigen Balkon. Es regnete nicht mehr, doch die Luft war noch kühl und nass. Eigentlich genau richtig für meinen vernebelten Geist.

Ich aß so vor mich hin obwohl ich wenig Appetit verspürte und versank wieder in meinen Gedanken, bis sich die Sonne durch die Wolkendecke stahl und alles in wunderschönes Licht tauchte. Selbst durch die dunkelste Regenwolke zwängte sich ein fächerartiges Strahlen und die Bergspitzen leuchteten fast so hell, wie Annies Augen vorhin. Wie aufs Stichwort lief sie in diesem Moment unten über den Innenhof. Sie schleppte ein paar Ordner und wirkte sehr beschäftigt. Ich flüchtete in mein Zimmer und beschloss, mich nochmal hinzulegen. Annies Gegenwart machte mich heute nervös, weil ich genau wusste, was zu tun war. Ich musste ihr das alles erklären. Aber vorher wollte ich mich noch etwas ausruhen, damit ich nicht ganz so konfus und desolat rüberkam. Erstaunlicherweise fiel ich dann sofort in einen tiefen Schlaf. Als ich wieder aufwachte musste ich blinzeln, weil die Sonne mich durch die offene Tür blendete. Ich fühlte mich immer noch träge, dabei hatte ich bereits den halben Tag vertrödelt. Schläfrig schälte ich mich aus dem Bett, nur um mich auf meinem Balkonbett niederzulassen. Das Wetter war inzwischen richtig freundlich, aber meine Stimmung war immer noch gedrückt. Ich würde eine Runde spazieren gehen und schauen, ob ich Annie irgendwo sah. Je eher ich dieses Gespräch hinter mich brachte, umso besser..

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