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Ihre Stimme klang so unglaublich brüchig und alles in ihm forderte, dass er sich aus dem Bett schob und zu ihr fuhr. Aber das ging nicht. Er hatte ihr versprochen, sie nicht zu bedrängen und sich immer wieder gemahnt, geduldig auszuharren, bis sie sich meldete. Oder besser: ob sie sich meldete.

Was sie getan hatte. Aber offenbar in einem weit desolateren Zustand, als er es sich hätte vorstellen können. Denn jetzt drangen keine klaren Worte mehr zu ihm, nur noch abgehakte Fetzen durchsetzt mit Schluchzern, die wohl ihren gesamten Körper zum Beben bringen mussten. Ich will sie einfach an meine Brust ziehen und festhalten. Aber ich habe versprochen, sie nicht zu bedrängen.

Sein Herz pochte unterdessen hart gegen sein Brustbein, als wolle es den Knochen zum Bersten bringen. Die Hand, die sein Telefon hielt, zitterte vor Freude, weil er tatsächlich die Frau in der Leitung hatte, die jede Sekunde seiner Tage in seinen Gedanken bevölkerte. Doch ihr Weinen schickte zeitgleich wiederholt Schauer sein Rückgrat hinunter. Sofort schalt er sich für seine Freude. Ella war so außer sich, da bestand nun wirklich kein Grund, sich daran zu ergötzen.

Was konnte er tun, damit sie sich beruhigte? Diese Frage hallte in seinem Kopf, während er versuchte, Worte des Trostes zu finden für ein Problem, das er nicht wirklich erfassen konnte. Dazu sprach sie zu undeutlich, dafür war ihr Flüstern zu durchdrungen von ihren Tränen und der Last, die auf ihren Schultern ruhte. Er hatte fast das Gefühl, als würde er sie greifen können, obwohl zwischen ihnen einige Kilometer und lediglich eine Telefonverbindung lagen.

„Ich bin so müde." Sein Bewusstsein stürzte sich förmlich auf diese klar geäußerten Worte. Darauf konnte er antworten. Hierzu konnte er Stellung beziehen. Was sein Herz bewog, einen übermütigen Hops in seiner Brust zu machen. Bescheuert, wie kannst du dich über so eine Äußerung freuen?!

„Wieso, Ella? Schläfst du nicht?"

„Ich will so gerne schlafen, aber es geht nicht. Es ist kalt. So kalt. Ich friere. Immer." Das zwischenzeitlich abgeflaute Schluchzen verstärkte sich erneut und er nickte automatisch. „Alles dreht sich in meinem Kopf. Ich kann keinen Gedanken wirklich festhalten."

Er ließ sich wieder tiefer ins Kissen sinken und überlegte, wie er jetzt darauf reagieren sollte. Er hatte recherchiert, um vorbereitet zu sein, falls sie sich tatsächlich meldete. Doch in diesem Moment fand er die Tipps noch schwammiger als schon beim Lesen. „Welche Gedanken, Ella? Was martert dich?"

„Ich ... es ist unfair." Reflexartig runzelte er die Stirn, während er sich fragte, was sie damit meinte. Dachte sie, ihr Leben wäre nicht gerecht? „Ich ... sollte nicht ... ich hab dich doch aus meinem Universum gekickt ..."

Ah, darum geht es. – „Das würde aber voraussetzen, dass ich mich aus deinem Universum kicken lassen würde, Sunny. Und das habe ich nicht. Ich habe dir immer wieder geschrieben, dass ich da bin. Nur habe ich nicht gefordert, dass von dir dazu eine Stellungnahme kommt. Denn wir haben ja mehrmals festgestellt, dass ich selbst auf mich aufpassen kann, richtig?"

Er hörte, wie sie nach Luft schnappte, um ihm zu widersprechen, doch letztlich drang zu seiner Überraschung nur ein zittriges Seufzen an sein Ohr. Er war sich jedoch nicht sicher, ob es so gut war, wie es sich im ersten Moment anfühlte. Hatte sie vielleicht nur keine Energie mehr etwas zu entgegnen? Oder hatte sie tatsächlich endlich akzeptiert, dass sie nicht für ihn verantwortlich war?

Er senkte die unbewusst erhobenen Augenbrauen und bemerkte, wie die Heftigkeit von Ellas Weinen etwas abflaute. Offenbar ließ der Druck ein bisschen nach. „Ich weiß nicht, mit wem ich reden soll. Ich ... Sarah und Juli sind großartig. Aber sie sehen mich mit diesem Blick an. Ihre Augen lächeln nicht mehr mit. Wenn sie versuchen, mich aufzuheitern, lächeln ihre Augen nicht mehr mit. Ich will nicht, dass sie mich so anschauen."

Erneut runzelte er die Stirn und schürzte die Lippen, während das Schluchzen aus seinem Telefon wieder etwas anschwoll. „Also erzählst du ihnen nicht mehr, was in dir los ist?"

„Ich kann es nicht ertragen. Sie schinden sich so sehr, mich zum Lachen zu bringen, aber ich kann nur daran denken, dass ihre Sorge in Wellen von ihnen ausgeht. Ich gebe mir doch Mühe. Dass mich die Dunkelheit nicht ganz verschluckt. Wieso können sie das nicht sehen?" – Weil es schwer ist, wenn sie sich ihre Brustkörbe auch so zusammenziehen, wie meiner gerade.

„Du kannst mir alles erzählen, Ella. Alles, was du loswerden musst oder willst, einverstanden?" Er hoffte, dass das Angebot nicht von ihr abgeschmettert wurde, sondern sie es annehmen konnte. Doch plötzlich herrschte Stille am anderen Ende. Verwirrt zog er das Telefon vom Ohr weg und linste aufs Display.

„Ich denke, wenn ich schlafen könnte, würde es mir besser gehen. Ich bin so müde. Aber ich kann einfach nicht. Ich glaube, ich könnte eine Woche durchschlafen. Jede Bewegung fühlt sich an, als hätte ich keine Muskeln, sondern nur noch Blei in meinem Körper. Und mein Kopf. Er ist so laut. So furchtbar laut. Er betet mir vor, was für eine Verliererin ich bin. Dass ich nichts gebacken bekomme. Egal, wie sehr ich es versuche. Aber ich kann nur weitermachen, irgendwie. Wenn ich nur nicht so müde wäre, würde es bestimmt leichter gehen. Ich will nicht, dass Tobi Recht bekommt."

Erwartungsvoll blieb er still, weil er hoffte, sie würde ihm von sich aus erzählen, was es mit ihrem Ex auf sich hatte. Doch leider sagte Ella nicht mehr dazu, sondern schwieg ebenfalls. Obwohl es ihm auf der Zunge brannte, verbot er sich, explizit nachzufragen.

„Dann müssen wir uns etwas einfallen lassen, damit du schlafen kannst, so wie es aussieht", entschied er stattdessen und hörte, wie Ella schwer seufzte.

Er bemerkte jedoch auch, dass sie nicht mehr weinte. Oder besser kaum noch. „Zum Rest sagst du nichts?"

Er war sich sicher, dass er ihre Verwunderung greifen könnte, würde er neben ihr sitzen und schüttelte automatisch den Kopf. „Nein, Ella. Das ist nicht nötig. Ich denke nämlich, du weißt, dass ich deine Meinung über dich nicht teile. Aber ich sehe keinen Sinn darin, dir zu widersprechen. So empfindest du dich gerade – obwohl du weißt, wie viel du bewältigt hast und weiter bewältigst. Du vergisst es nur dauernd. Das geht mir auch manchmal so. Ab und zu sieht man den Wald vor lauter Bäumen nicht."

Ein leises Seufzen war zu vernehmen, ansonsten herrschte wieder Stille. Er würde gerne wissen, was sie gerade dachte. Wenn er bei ihr wäre, würde es ihm leichterfallen, es zu erahnen. Doch so war es unmöglich, abzuschätzen, ob er die richtigen Worte gefunden hatte. „Ok, Ella. Ich habe eine Idee. Schließ die Augen."

„Warum?"

„Tu es einfach. Ich möchte etwas ausprobieren. Wenn ich als Kind mal nicht einschlafen konnte, dann hat sich meine Mutter an mein Bett gesetzt und hat mir irgendwas erzählt. Ihre Stimme war dabei sanft und ich hab gemerkt, wie alles, was mich beschäftigt hat, so nach und nach verging und mit jedem Atemzug wurde ich ruhiger. Irgendwann bin ich eingeschlafen. Wie findest du das?"

Schweigen empfing ihn auf seinen Vorschlag hin und er runzelte automatisch die Stirn. Fand sie das bescheuert? Wenn er ihr doch nur in die Augen sehen und ausmachen könnte, was sie fühlte! Just in dem Moment, als er sie nochmal fragen wollte, kam ihre piepsiggewordene Stimme: „Das würdest du tun?"

„Ella, ich würde alles tun, damit es dir bessergeht." Die Worte hatten seinen Mund verlassen, ehe er sie zurückhalten konnte. Er biss sich auf die Unterlippe und wartete ungeduldig auf eine Reaktion. Schließlich hörte er sie seufzen.

„Meine Mutter hat sowas nie gemacht. Niemand hat sowas je gemacht."

„Nein? Das ist schade."

„Ja."

„Willst du es versuchen, Ella?" Er merkte, wie seine Hände feucht wurden, während er gespannt auf die leisen Atemzüge horchte, die durch seinen Lautsprecher drangen.

„Ja."

„Ok. Dann schließ die Augen, ok? Hm, jetzt muss ich mir nur überlegen, was ich dir erzähle..."

„Egal, was. Deine Stimme tut gut." Er bemerkte, dass die ihre schon ein bisschen aufgeräumter wirkte und ihre Atemzüge sich jetzt beruhigten, also nickte er automatisch. Und erzählte ihr, wie er seinen Tag verbracht hatte, während er sich zurück in sein Kissen kuschelte.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now