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Seine geschürzte Unterlippe zuckte zurück, als er das Krachen hörte, das aus der Richtung kam, in die Ella verschwunden war. Mit einem Satz war er aus dem Bett und hechtete zum Bad. Er riss die Tür auf und sah, wie sie entgeistert den Fleck an der Wand anstarrte, ehe er zu den Scherben am Boden flog.

„Ella?!"

„Ben? Ich ... ich bin gegen den Seifenspender gekommen und er ist ... zerbrochen." Sie war kalkweiß geworden, als er sie angesprochen hatte. Die Tatsache, dass die Seife sich einen Weg an der Wand hinunter bahnte, enttarnte ihre Lüge sofort. Doch er nickte nur. Er wusste ohnehin, dass sie ahnte, dass er sie durchschaute. Ihre vor Scham glänzenden Augen und errötenden Wangen verrieten es ihm.

Er beobachtete, wie sie sich eilig bückte und die Keramikscherben aufsammelte, die vor ihr in einem See aus Seife klebten, der wohl den Restinhalt gebildet hatte. Er schaute ihr schweigend zu und gebot sich, ihr zu helfen. Doch sein Körper wollte ihm gerade nicht gehorchen. Die unbehagliche Stille schien ihn an Ort und Stelle zu verwurzeln.

„Fuck", vernahm er und sah einen Sekundenbruchteil später, wie sich ein Tropfen rot in die milchig-durchscheinende Flüssigkeit der Seife mischte.

Oder besser schwamm er obenauf, während sich noch mehr zu ihm gesellten. Das erstickte Zischen aus Ellas Mund brach den Bann und er bückte sich sofort, um ihre Hand in seine zu nehmen. „Es brennt fürchterlich. Da war wohl Seife dran. So eine Scheiße."

Er sah die Tränen, die in ihren braunen Augen schwammen, und zog sie schweigend auf die Beine. Ihre Finger zitterten in seinen und er schob sie unter den Wasserhahn, um den Schnitt am Daumenballen begutachten zu können – und um die Seife herauszuwaschen. Ella stand mit eingesunkenen Schultern neben ihm, die ebenfalls leicht bebten.

„Hört gleich auf zu brennen." Sein Murmeln ging fast im Gurgeln aus dem Wasserhahn unter, während er beobachtete, wie sich das Wasser genauso rötlich färbte wie die Seife zu seinen Füßen.

„Es tut mir leid, Ben." Jetzt flogen seine Augen zu ihrem Gesicht und er zuckte automatisch mit den Schultern. Er hatte gerade keine Ahnung, was sie meinte. Plötzlich ging ihm auf, dass das Blut in der Seife ihn auf eine unerwartete Reise geschickt hatte. Trotzdem fiel es ihm schwer, im Jetzt zu bleiben und nicht darüber nachzusinnen, dass es damals eine andere Flüssigkeit gewesen war, in die sich das Rot gezogen hatte. Komm schon, Ben, wie lang ist das her? Jahre. Viele viele Jahre. Ella steht vor dir.

„Ich hätte dich nicht angreifen sollen."

„Und nicht anlügen. Aber egal. Ich bin nicht böse. So unberechtigt war dein Einwand nicht, dass du weniger über mich weißt als ich über dich. Wobei ich sagen muss, dass du das Wichtigste schon kennst." – Lügner. Sie weiß nicht, warum du beschlossen hast, alles Negative so weit wie möglich von dir zu schieben. Sie kennt nur die Spitze des Eisbergs.

„Ich weiß. Es tut mir leid. Beides. Kleine Sünden bestraft der liebe Gott wohl zuerst." Er nickte reflexartig, als sie die wohlbekannte Phrase aufsagte und sein Blick wanderte zurück zum Waschbecken, wo er feststellte, dass die Wunde nicht mehr so blutete. Instinktiv atmete er erleichtert auf, was ihm ein Stirnrunzeln von Ella einbrachte, wie er im Augenwinkel sah.

Doch zum Glück sagte sie nichts dazu. Also konnte er sich ebenfalls bedeckt halten. Stattdessen erkundigte er sich, ob sie irgendwo Verbandszeug hatte, und stellte den Wasserhahn ab. Ihrer beider Finger waren nun eiskalt vom Wasser, das auf sie eingeprasselt war. Doch die würden sich schnell wieder wärmen. Es ist alles gut. Kein Grund, die Büchse der Pandora zu öffnen.

Nachdem Ella ihm geantwortet hatte, im Flurschrank hätte sie ihr Verbandszeug, ließ er sie zustimmend los und verließ den Raum. Was ihm sofort den Druck auf der Brust nahm, den er erst in diesem Augenblick registrierte, als er von ihm abfiel. Automatisch schüttelte er den Kopf und schalt sich einen Idioten. Wieso kramte sein Hirn jetzt diese Sequenzen heraus?

„Ben?" Er drehte sich zu Ella um, die ihn beunruhigt anschaute. Sie drückte ein Handtuch auf den Schnitt und musterte ihn derart intensiv, dass ihm ein Schauer über den Rücken lief. Hastig stemmte er sich gegen die stillen Fragen und schob seine Empfindungen in den hintersten Winkel seines Innersten. „Was bedrückt dich?"

„Ich bin nur erschrocken, als ich das Klirren gehört habe." Er bemerkte, wie sich ihr Kinn einen Sekundenbruchteil vorschob, ehe Resignation auf ihre Züge schlich und sie nickte. Danach trat Ella neben ihn und zog einen Korb hervor, in dem sie offenbar auch die Medikamente aufbewahrte. Er erspähte Hustensaft, Schmerztabletten und alles andere, was man wohl zuhause haben sollte, wenn man Kinder hatte.

Die Stille, die sich währenddessen zwischen ihnen aufbaute, legte sich wie Backsteine auf seinen Magen. Trotzdem blieb er stumm. Genauso wie Ella, die sich abwandte, nachdem sie einen Verband hervorgezogen hatte. Für einen Moment saugten sich ihre Augen an seinen fest und er hatte das Gefühl, als würde sie hineintauchen. Aber dann brach sie den Blickkontakt ab und verschwand im Wohnzimmer.

Er schaute ihr hinterher und fuhr sich seufzend über sein Gesicht. Wollte er nicht für sie da sein? Ja. Also wieso verfing er sich in diesem Gedankenpalast? Er rollte mit den Augen und setzte behutsam ein Bein vors andere. Irgendwie schienen seine Knie zu Pudding geworden zu sein. Trotzdem gelang es ihm, ihr zu folgen.

Kaum hatte er die Tür zum Wohnzimmer passiert, sah er, wie Ella sich mühte, ihre Rechte zu verbinden. Jetzt beschleunigten sich seine Schritte und als er nach der Mullbinde angelte, während er sich neben sie fallen ließ, huschten ihre Augen wieder zu seinem Gesicht. Obwohl er die ungestellten Fragen darin las, konzentrierte er sich darauf, den Schnitt zu versorgen.

Ihr Blick ätzte sich dabei in seine ihr zugewandte Wange und er dachte, er müsste jeden Moment ersticken. Die Luft wurde mit jedem Atemzug irgendwie klebriger, während sich langsam ein unbehagliches Kribbeln in ihm breitmachte. Er musste sich in den Griff bekommen. Sogar er bemerkte, dass die Gedankengänge, die Ella hatte, nicht zu seinem Vorteil waren. Er sollte etwas sagen. Doch was? Die Bilder in seinem Kopf waren längst vergangen und schließlich war das Ganze nicht so dramatisch ausgegangen, als es damals zuerst gewirkt hatte. Trotzdem erstarben alle sich abrupt sammelnden Worte noch in seiner Kehle. Die Erinnerung lähmte ihn auf eigentümliche Art und Weise.

Er wandte seine Aufmerksamkeit augenblicklich Ella zu, als sie seufzte. „Genau deswegen kann ich nicht mit dir zusammen sein, Ben. Fernab davon, dass du mir die Welt zu Füßen legen willst und ich genauso zerbrochen bin, wie der bescheuerte Seifenspender. Du möchtest, dass ich mich dir öffne, während du schweigst und erst auspackst, wenn ich resigniert habe und dich abschreibe. Damit kann ich nicht umgehen, denn ich sehe und fühle, dass du gerade mit etwas haderst. Es belastet mich zusätzlich. Doch du tust so, als wäre nichts."

Er schluckte hart und registrierte, wie ihm eine Gänsehaut über jeden Zentimeter seines Körpers lief, während Ella tief Luft holte. „Du bist nicht einschätzbar und das macht dich zu einem Sicherheitsrisiko. Solange du nicht zugeben kannst, dass auch du deine Kämpfe ausfechten musst, kann das nicht funktionieren, egal, wie sehr ich es mir wünsche. Aber es ist ok. Muss es sein. Irgendwie. Danke, dass du letzte Nacht hier warst. Doch ich möchte, dass du jetzt gehst."

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now