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Ella zuckte zusammen, als die Tür plötzlich aufgerissen wurde, obwohl sie bereits schon wieder im Begriff war, umzudrehen und zum Auto zu hasten. Wie die fünfmal zuvor, als sie jedes Mal aufs Neue der Mut verlassen hatte, zu ihrem Verhalten zu stehen und sich zu entschuldigen. Bens Ansage war doch auch deutlich gewesen. Er wollte sie nicht mehr in seinem Leben haben. Trotzdem zeichnete sich jetzt seine Gestalt im Türrahmen ab und sie schluckte trocken.

Reflexartig suchte sie in seinem Gesicht nach einem Zeichen von Freude. Doch sie fand keins. Stattdessen zog er die Brauen hoch und starrte sie an, während ihr Herz einen Schlag verpasste und sich ihr Magen noch enger um ihre Eingeweide knotete. Sie wollte ihn in ihre Arme ziehen und sich vergewissern, dass sie in Ordnung kommen würden. Dass er seine Worte nicht ernst gemeint hatte. Doch sie blieb wie angewurzelt stehen und schluckte trocken. Nichts an seiner Körpersprache gab Anlass zu der Vermutung, dass sie ihre Beziehung kitten konnten.

„Wolltest du irgendwann klingeln, statt noch ein paar Mal zur Tür zu laufen, dann zurück zum Gartentor, wo du umdrehst und wieder zur Tür stapfst?" Seine tiefe Stimme klang nicht im Mindesten amüsiert, wie sie es sich gewünscht hätte. Eher wirkte er lauernd und schickte damit einen Schauer über ihren Rücken.

Reflexartig schüttelte sie den Kopf, um kurz darauf zu nicken. So wird das nichts, Ella. Schnell räusperte sie sich. „Ich weiß nicht. Du ... du hast es gesehen?"

„Ich war im Büro und hab versucht, zu arbeiten. Also ja." Noch immer leuchteten seine grünen Iriden ihr kalt und hart entgegen und sie wich seinem Blick aus, ehe sie nickte. Sie schloss kurz die Augen und biss sich auf die Unterlippe. Dann ging ein Ruck durch sie. Er hat geöffnet.

Sofort hob sie den Kopf und schaute ihn wieder an. „Du arbeitest an Weihnachten?"

„Ja, offenbar. Geplant war's nicht." Sie vernahm den leichten Vorwurf in seiner Stimme und schluckte gegen den Kloß in ihrem Hals an, der sich wieder verdicken wollte. Immerhin stand er vor ihr und sprach mit ihr. Trotzdem konnte sie nicht verhindern, dass ihre Augen wässrig wurden. Sie biss sich auf die Unterlippe und suchte nach einer adäquaten Erwiderung. Dann seufzte Ben, kniff sich in die Nasenwurzel und sah sie wieder an. „Willst du dich weiter einschneien lassen oder kommst du rein?"

Sie schaute zum Himmel und runzelte reflexartig die Stirn. Wann hatte es begonnen, dass so dicke Flocken zur Erde fielen? Vorher war es doch nur Nieselschnee gewesen, den der leichte Wind gegen ihre Fahrerscheibe gewirbelt hatte. Wieso konnte sie das nicht beantworten? Weil sich dein Kosmos wieder einmal nur um dich selbst gedreht hat, Ella. Das muss aufhören! Du bist nicht die Sonne, um die sich das ganze Universum dreht! Wann lernst du das endlich? Sie fixierte Ben erneut, der ihr Stirnrunzeln übernommen hatte. „Wenn ich darf, würde ich gerne reinkommen."

Er nickte und gab der Tür einen Stoß, sodass sie nun weit offenstand. Ben selbst trat einen Schritt zurück und schaute sie erwartungsvoll an. Nochmals schluckte Ella trocken. Wenn sie jetzt eintrat, gab es keine Ausflüchte mehr. Doch sie wusste, dass sie im Grunde ohnehin keine Wahl hatte. Also ging sie an Ben vorbei und wartete, bis er die Tür geschlossen hatte.

Sofort stopfte er seine Hände in die Jogginghose, die er mit der Jeans getauscht hatte und ihr Blick blieb daran hängen. Wieso bekam sie immer das Gefühl von zuhause, wenn eine Jogginghose im Spiel war? Nicht ablenken, Ella. Dafür bist du nicht da.

Dennoch brachte sie keinen Ton raus, als sie ihr Gesicht wieder zu Bens hob. Stattdessen merkte sie, wie ihre Finger am Saum ihrer Jackenärmel nach losen Fäden suchten. Augenblicklich stellte sie das ein. „Ich ... ich bin heute ein ziemliches Arschloch gewesen."

„Ich würde gerne widersprechen. Aber ich gebe dir recht." Sie nickte und wich seinem Blick kurz aus. Obwohl seine Stimme neutral klang, spürte sie, wie verletzt er weiterhin deswegen war. Was hast du erwartet, Ella? Dass er dir die Tür öffnet, dich in seine Arme reißt und küsst, nachdem du dich so beschissen verhalten hast?

„Darf ich erklären, warum?" Ihre Stimme schwankte bedrohlich und sie biss sich auf die Zunge. Sie hatte sich doch wie eine normale Erwachsene benehmen wollen, nachdem sie heute wie ein Kind gegen alles Mögliche getrotzt hatte!

„Hätte ich dich reingelassen, wenn ich jetzt nein sagen wollte?" Ihre Augen flogen wieder zu seinem Gesicht, da seine Stimme nun einen Ticken wärmer klang. Auch sein Blick war nicht mehr so hart, sondern drückte etwas Milde aus. Hastig schüttelte sie den Kopf, während ihr Puls sich beschleunigte und ihre Hände feucht wurden.

„Ich weiß, dass es mein Thema ist, nicht deins. Dass ich lernen muss, mich nicht infrage zu stellen. Du hattest recht damit, dass ich mich minderwertig gefühlt habe. Aber das ist mein Ding und ich hätte es nicht an dir auslassen dürfen. Es tut mir wirklich leid." Jetzt entkam ihr doch eine Träne und rollte ihre Wange hinunter. Schnell wischte sie sich darüber und biss sich erneut auf die Zunge.

Ein Seufzen drang aus Bens Mund und er strich sich über die Stirn, ehe er ihrem Blick wieder begegnete. „Lass uns ins Wohnzimmer gehen. Ich wollte mir gerade Kaffee machen. Du siehst aus, als könntest du auch was Warmes brauchen. Deine Lippen sind blau. Dabei kannst du mir erklären, wieso du dich so minderwertig gefühlt hast."

„Fühlst...", verbesserte sie automatisch und Hitze schoss ihr ins Gesicht, als sich sein Blick umwölkte. Doch dann nickte er und setzte sich in Bewegung. Ella schob sich hastig die Schuhe von den Füßen und folgte ihm in die Küche, wo sie bereits das Mahlgeräusch des Kaffeeautomaten ausmachte. Sie bemerkte, wie Ben sie musterte und sein Blick an ihren Socken hängenblieb.

Sie hoffte, er verstand, was sie ihm damit sagen wollte: Dass sie nicht gehen würde, bevor sie sich ihm erklärt hatte. Ab da war noch offen, ob sie wieder in ihre Stiefel schlüpfte und nach Hause fuhr. Wobei ihr dabei schon jetzt nicht mehr wohl wäre. Der Wind pfiff nun ums Haus und aus dem friedlichen Schneetreiben war ein Sturm geworden. Wie ironisch, dass es in mir genauso aussieht.

Sie beobachtete, wie Ben sich vom Anblick ihrer Füße losriss und ihr den Rücken zudrehte, um die zweite Tasse unter den Ausguss der Kaffeemaschine zu stellen. Dann griff er nach dem Zucker und gab einen Löffel hinzu, bevor er sich erneut abwandte und den breiten Side-to-Side-Kühlschrank öffnete. Er gab einen Schuss Milch in den Kaffee und Ella biss sich auf die Unterlippe, als er ihr die Tasse reichte.

„Danke." Er nickte nur und drehte sich wieder weg. Obwohl sie es nicht sah, wusste sie, dass er gerade zweieinhalb Teelöffel Zucker in seinen Kaffee häufte. Das kaum hörbare Klackern des Metalls in der Keramiktasse verriet ihr, dass sie recht gehabt hatte, und das schnürte ihr die Brust noch mehr zu. Wieso galt für sie der Fakt, dass sie wusste, wie er seinen Kaffee am liebsten mochte, als Inbegriff von Nähe?

„Deine Jacke willst du anlassen?" Irritiert schaute Ella an sich herunter und schüttelte den Kopf. Mit einem entschuldigenden Blick drückte sie Ben die Tasse wieder in die Hand und zog ihre Winterjacke aus. Nur, um dann wie doof auf das Kleidungsstück zu gucken und nicht zu wissen, wohin damit. Sofort begann es abermals in ihrem Nacken zu kribbeln. „Ich ... äh ... häng die schnell an die Garderobe?"

Sie fing Bens Zustimmung auf und ging an ihm vorbei in den großen Eingangsbereich, während sie sich fragte, wieso sie sich anstellte, als könne sie nicht bis fünf zählen.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now