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Er drehte Ella herum, sodass sie ihre Positionen wechselten und setzte sich aufs Sofa, ehe er sie auf seinen Schoß zog. Sie ließ sich sofort erneut gegen ihn sacken und er dachte, er würde nie wieder richtig Luftholen können.

Er hatte nicht geahnt, wie schlecht es wirklich um sie stand. Die Wohnung befand sich in keinem guten Zustand und Ella war nur noch ein Schatten ihrer selbst mit den dunklen Ringen unter den Augen, die sich stechend von ihrer fahlen, beinahe durchsichtig wirkenden Haut abhoben. Mit den wirren, strähnigen Haaren, die kaum mehr Brennnesselduft ausströmten.

Er hatte sich getäuscht. Denn bis zu dem Zeitpunkt, als er sie gesehen und ihre Wohnung betreten hatte, hatte er gedacht, es würde reichen, schlafen zu können. Das war vielleicht ein Teilaspekt, damit sie sich wieder wohlfühlen konnte, doch die Lösung war es nicht. Ella brauchte Hilfe. Wenn da nur nicht die Tatsache wäre, dass genau diese Feststellung sie noch mehr triggern würde.

Alles an ihrem Verhalten zeigte ihm, wie lost sie gerade war, wie sehr sie sich an die Fetzen ihres Lebens klammerte. Er bezweifelte keineswegs, dass sie versuchte, das Beste aus ihrer Situation zu machen. Doch er verstand jetzt auch Tobi ein bisschen. Dass er sich überfordert gefühlt haben musste, als Ella zum letzten Mal so abgerutscht war. Trotzdem bleibt unverzeihlich, dass er danach alles dafür getan hatte, um Ella das Gefühl zu geben, sie wäre wertlos, damit sie tut, was ER wollte.

Doch das war gerade egal. Er würde nicht so handeln. Aber er würde einen Weg finden müssen, Ella beizustehen, ohne ihr das Gefühl zu bestätigen, sie wäre zu nichts mehr fähig. Dass sie davor Angst hatte, zeigten ihm jetzt ihre Worte, sie hätte die Kaffeemaschine entkalkt. Er unterdrückte im letzten Moment ein Kopfschütteln und streichelte ihr stattdessen sachte über den Rücken.

Daraufhin bohrten sich Ellas Nägel noch mehr durch sein Shirt. Er merkte, wie sie die Nase an die Stelle unter seinem Ohr schob und schloss die Augen. Sofort schlich sich ein wehmütiges Lächeln auf seine Züge. Er hatte sie auch unfassbar vermisst. Schweigend hielt er dem Sturm stand, der offenbar in ihr wütete. Er konnte ohnehin nichts tun, abgesehen davon, da zu sein. Und mir danach überlegen, wie ich ihr helfen kann. Soll ich professionelle Hilfe vorschlagen oder schlage ich sie damit eher in die Flucht?

„Es tut mir so leid." Ihr Flüstern klang rau und abgehackt, doch der Sinn ihrer Worte schwirrte um ihn herum. Reflexartig schüttelte er mit dem Kopf und zog sie näher zu sich. Obwohl sowieso kein Blatt Papier mehr zwischen sie passen würde. Schon allein deswegen, weil Ella wohl in ihn reinschlüpfen wollte und sich ihr Körper dementsprechend eng an ihn drückte.

„Nicht doch, Ella. Entschuldige dich nicht. Bei uns ist alles ok." Jetzt stupste ihre Nase wiederholt gegen seinen Hals, weil sie immer wieder den Kopf schüttelte, während sich ihr Schluchzen aufs Neue verstärkte. Wie konnte er ihr nur zeigen, dass er ihr nichts übelnahm? Nicht mehr. Nicht nachdem er erkannte, wie es wirklich in ihr aussah. Jetzt machte ihre Ablehnung einen Sinn. Nun war klar, warum sie keine Liebesbeziehung wollte.

Juli hatte Recht. Einen Schritt zurück. Ella braucht einen Freund, um einen Partner erst wieder in Erwägung ziehen zu können. Er lauschte ihrem Schluchzen und spürte, wie ihre Tränen auf den Übergang zwischen seinem Hals und seiner Schulter fielen. Dort durchweichten sie den Saum seines Shirts und waren stiller Zeuge ihres Gefühlsaufruhrs.

Er wollte nur, dass sie sich beruhigte. Denn auch in ihm zitterte alles, egal, wie ruhig er nach außen hin war. Er gebot sich, die verkrampften Muskeln Stück für Stück zu entspannen, indem er sich sagte, es gäbe keine Grundlage, sich weiter aufzuregen, denn nun er war da. Und er würde nicht mehr verschwinden. Zumindest nicht aus ihrem Leben.

Das schwor er sich, während er wahrnahm, dass Ellas Weinen nun allmählich nachließ. Obwohl sie weiterhin wie Espenlaub zitterte, kamen nur noch wenige Schluchzer aus ihrem Mund. Automatisch drückte er ihr einen Kuss auf ihre erhitzte, leicht schwitzige Haut. „Ich wünschte, ich wäre anders."

„Von meiner Warte aus bist du ganz ok, wie du bist, Ella. Wir bekommen das hin, weißt du?"

„Aber ... aber ich kann das nicht. Ich kann dir nicht standhalten. Dann verliere ich mich noch mehr, ich ..."

„Ich bin als Freund da, Ella. Dein Helfer im Hintergrund, verstehst du?"

„Nein. Ich verstehe gar nichts mehr. Ich habe einfach nur noch Angst. Vor allem. Sie lähmt mich. Ich bin nur noch müde. Und traurig, weil ich es vergeige. Das mit uns. Alles." Er wollte widersprechen und ihr erklären, dass es ok war, sich gerade so zu fühlen. Genauso wie er ihr sagen wollte, dass sie keine Angst haben musste, sich zu verlieren.

Doch bevor er etwas entgegnen konnte, wisperte sie zittrig: „Tobi will mir die Kinder wegnehmen. Ich weiß nicht, ob er sie am Sonntag echt zurückbringt. Ich weiß gar nichts mehr. Nur, dass ich dir nicht standhalten kann. Nicht wirklich. Ich will nichts aus der Vergangenheit wiederholen. Das steh ich nicht nochmal durch."

Ihre Stimme überschlug sich leicht, als sie ihm ihr vermeintliches Geheimnis gestand und er spürte, wie ein kleiner Teil sich über die Tatsache freute, dass sie ihn nun einbezog. Zeitgleich zog sich seine Brust noch ein bisschen mehr zusammen, während er sich zurücklehnte, um ihr ins Gesicht sehen zu können. „Ella, du wirst nichts wiederholen müssen, denn ich bin nicht Tobi."

Er begegnete ihrem Blick fest und bemerkte, dass sie automatisch die Stirn gerunzelt hatte. Womöglich zweifelte sie nicht an seinen Worten, doch sicherlich an der Tatsache, dass sie nicht einschätzen konnte, wie er wirklich reagierte. „Ich erwarte keine Beziehung. Freundschaft wäre schön. Außerdem sehe ich mich nicht als dein Retter, Ella. Ich bin nur ein Freund, mit dem du deine Gefühle teilen kannst. Der da ist – wenn du möchtest."

Die Falten auf ihrer Stirn vertieften sich noch mehr und sie schürzte die Lippen, ehe sie kurzangebunden nickte und seufzend den Kopf wieder an seiner Schulter platzierte. Erneut wollten sich seine Augen reflexartig schließen, um ihre Nähe noch ein bisschen mehr genießen zu können, doch stattdessen lehnte er sich gegen sie und atmete tief ein.

„Ich bin so müde, Ben. Aber die Angst lässt mich nicht schlafen. Nicht ohne dich. Was mir zusätzlich Angst macht. Ich will dich nicht ausnutzen. Dir nicht wehtun. Mich nicht von dir abhängig machen." Erneut wollte er ihr erklären, dass er nicht so reagieren würde, wie ihr Ex, der ihr damals jede Selbstständigkeit entzogen hatte. Doch bevor er dazu kam, seufzte Ella aufs Neue. „Wenn du da bist, fühl ich mich trotzdem ein bisschen weniger wund. Obwohl ich nicht sollte."

Sein Herz machte einen Hopser in seiner Brust, wenngleich er sich mahnte, die aufkeimende Hoffnung im Keim zu ersticken. Dennoch pochte es jetzt wieder schneller und der Impuls, ihr einen Kuss ins Haar zu drücken, wurde stärker. Mühselig unterdrückte er ihn, während sie sich nun in Schweigen erging. Er gestattete sich, die Augen zu schließen, und sog nochmals einen Hauch Ella in seine Lunge. Das tut so gut. Unabhängig von unserer Situation.

„Bleibst du? Bitte?"

Ihr Flüstern schwebte wie ein bittersüßes Versprechen durch den Raum und er nickte. Nichts wollte er gerade mehr, als sich mit ihr ins Bett zu kuscheln, und sie im Arm halten. Das würde das schmerzliche Pochen in seinem Innersten auch besänftigen, dessen war er sich sicher. Das Ziehen, das er die letzten Wochen rigoros verdrängt hatte und das er jetzt wieder annahm.

Er könnte es einfacher haben und gehen. Doch dann würde er gegen seine Überzeugung handeln, dass Ella zu ihm gehörte. Egal, wie es in ihr aussieht.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenΌπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα