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Sie konnte nicht auf der Stelle ausharren, während sie versuchte, Ben zu erklären, was wirklich geschehen war an diesem Nachmittag. Wieso sie ihm diese verletzenden Vorhaltungen gemacht hatte. Wie oft wird er sowas noch hinnehmen und sogar verzeihen?

Diese Frage hallte mit einer solchen Vehemenz durch ihren Kopf, dass ihr immer flauer wurde. Doch es half nichts, es aufzuschieben. Nicht, wenn sie ihn nicht verlieren wollte. Immerhin war er da und hörte ihr zu. Das hieß aber nicht, dass sie wie ein Zinnsoldat vor ihm stehen konnte, um ihm zu sagen, wie irre sie wirklich war.

Sein abwartender Blick ruhte weiterhin auf ihr, während sie mit weitausholenden Schritten den großen Raum durchmaß, ehe sie vor der großen Fensterfront kehrtmachte und wieder in seine Richtung stapfte. Sie musste unbedingt die Unruhe in sich in den Griff bekommen, wenn sie nicht wollte, dass sie in Panik ausbrach. Die Vorzeichen davon spürte sie bereits deutlich: Das Zittern, die Hitze, die sich wellenartig in ihr ausbreitete, die zugeschnürte Brust, das Gefühl, keinen Sauerstoff in ihre Lunge pressen zu können. Es wird leichter, wenn du anfängst. Das weißt du.

„Ich ... ich hab nicht mit dir gesprochen, Ben. Ich ... ich hab Tobi angeschrien." Sein Stirnrunzeln vertiefte sich zu Falten, die wirkten, als hätte sie diese in seine Stirn gefräst und sie zuckte hilflos mit den Schultern. Sie wich seinem Blick aus und merkte, wie ihre Stimme schwankte und sich Tränen in ihren Augen sammelten, als sie flüsterte: „Ich bin anscheinend dissoziiert. Ich ... ich war nicht in der Gegenwart. Nicht wirklich. Scheiße, wie verrückt das klingt. Wieso solltest du mir das glauben?"

Da er tatsächlich die Augen zusammenkniff und sie mit mahlendem Kiefer musterte, schnürte sich ihre Brust noch mehr zu. Sie rang ihre Hände und versuchte, Worte zu finden, die Ben erklären konnten, was abgelaufen war. Doch es gelang ihr nicht. Sie drehte ihm ihren Rücken zu und biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Aber die Panik in ihrem Inneren schwoll immer weiter an. Drückte gegen ihre Rippen, verdrängte die Lunge, verschloss den Durchgang zwischen Bronchien und Luftröhre, quetschte ihren Kehlkopf, verengte...

„Ella, Luftholen." Verwirrt schaute sie Ben an, der seine Hand auf ihre Schulter gelegt hatte und ihr beunruhigt in die Augen sah. Hastig schnappte sie nach Luft und versuchte, sich auf sein Gesicht zu konzentrieren, um den Fokus nicht ganz zu verlieren. Doch das ist heute schwer.

Trotzdem nickte sie und wich seinem stechenden Blick aus. Er war einfach gerade zu viel, als dass sie ihn ertragen würde. Sie wünschte wirklich, sie könnte sich mehr im hier manifestieren. „Wie hast du das gemeint?"

Bens Stimme klang sanft und doch gellte sie in ihren Ohren. Hastig wich sie einen Schritt von ihm zurück und schlang die Arme um sich, weil sie fröstelte, obwohl sie sich nach klarer, frischer, reiner, kalter Luft sehnte. „Ich weiß einfach nicht, wie ich es dir erklären soll."

„Versuch es, Ella." Auch seine Forderung klang keineswegs hart, dennoch sträubten sich ihre Nackenhärchen. Sie fühlte sich wie ein Schnellkochtopf auf höchster Stufe, der jeden Moment zu pfeifen anfangen würde. Sie strich sich mit zitternden Fingern eine Strähne ihres Haares hinters Ohr, nur um etwas Zeit zu gewinnen. Allein, weil sie daran dachte, spürte sie, wie sich Hitze in ihren Wangen sammelte und sie zum Glühen brachte.

Sie warf Ben einen Blick zu, der seine Hände nun in seine Hosentaschen vergraben hatte und schluckte, ehe sie sich räusperte. „Es ist, als würdest du neben dir stehen. Du beobachtest dich praktisch, während du etwas tust. Aber du kannst nicht ... es ist, als würde ein Schleier über dir liegen. Dein Instinkt sagt dir, dass was falsch ist, doch du bist unfähig aufzuhören. Ich habe Tobi angeschrien."

Sie krümmte sich fast unter Bens Stirnrunzeln und ihr Nacken begann wieder zu prickeln. Mühselig hielt sie seinem Blick stand, als er den Kopf schief legte und die Augen zusammenkniff. „Aber er war nicht da..."

„Das stimmt nicht. Er war in meinem Hirn, ab dem Moment, in dem das Piratenschiff zum Vorschein gekommen ist. Versagerin. Du kannst dich nicht allein um deine Kinder kümmern. Das hat er mir ins Ohr geflüstert, denn er war es, der die teureren Geschenke gekauft hat, die ich mir nicht leisten konnte. Er hat mich mit der Konzertkarte bezahlt..." Sie brach ab, weil Ben schockiert Luft einsog.

Sie schluckte trocken, als er mit schwankender Stimme fragte: „Bezahlt?"

„Ja, Ben. Nichts ohne Gegenleistung. Benimmst du dich so, wie er es als richtig befindet, ist er sehr spendabel. Ein Restaurantbesuch? Kein Problem. Konzert oder Kino? Auch kein Ding. Du brauchst neue Kleidung, weil deine Jeans sich schon auflösen – hey, Schatz, bestell dir einfach welche. Du weißt doch, dass ich gerne für dich sorge. Du musst nicht fragen." Wieder spielte ihr Kopf einige Sequenzen solcher Erlebnisse ab und sie schüttelte ihn hastig, um sie zu vertreiben.

„Du fragst trotzdem. Denn du hast zu oft erlebt, dass er dir genau das zum Vorwurf macht. Immer dann, wenn du eine Forderung stellst, die nicht angemessen ist. Da sagt er dir, wie ermüdend du bist. Wie undankbar. Immerhin tut er alles, damit es dir gutgeht, nicht? Ohne ihn hätte man schließlich kein Dach über dem Kopf, kein Essen auf dem Teller, keine Klamotten am Leib."

Bens Augen nahmen einen bekümmerten Ausdruck an, doch sie hatte sich in Rage geredet. Es war, als müsse sie es ihm jetzt sagen. Als würden die Worte von allein über ihre Zunge rollen und aus ihrem Mund brechen.

„Einfach alles wird aufgerechnet, weil du es gewagt hast, zu fragen, ob es in Ordnung ist, dir einen Job zu suchen - und unabhängiger zu werden. Es macht dir ein unbehagliches Gefühl, so fremdbestimmt zu sein. Doch er will nicht, dass du autark bist. Die Kinder kapieren nicht, dass es keine Geschenke sind. Sondern Bezahlung. Er wird sie einfordern. Irgendwann. Und ich kann sie nicht davor beschützen."

Sie blinzelte und merkte, wie ihr Blick wieder klarer wurde, obwohl Tränen ihr die Sicht nahmen. Ein Schluchzen drang über ihre Lippen, als sie bemerkte, wie Bens Hand warm an ihrer kühlen Wange lag und sachte mit dem Daumen die kleinen Tropfen wegwischte, die daran herunter perlten. „Ich habe selbst ewig gebraucht, zu erkennen, dass seine Großzügigkeit nicht echt ist. Die Kinder können es nicht. Er wiegelt sie schon gegen mich auf. Ich werde sie verlieren, wenn ich nicht aufpasse..."

Hastig unterbrach sie sich und besann sich darauf, dass nicht ihr Drama im Vordergrund stand. Dafür war sie nicht hierher gefahren. Dennoch bekam sie kaum Luft, als sie erklärte: „Aber das tut nichts zur Sache. Ben, du warst nicht derjenige, dem ich mit meinen Worten treffen wollte. Ich erinnere mich nicht mal, was ich genau gesagt habe. Das liegt unter dem Schleier begraben. Aber ich weiß, dass ich nicht zimperlich war, weil ich Tobi verletzen wollte. Ich wollte ihm so wehtun, wie er es bei mir getan hat und es mit meinen Kindern tun wird. Ich war auf Gefechtsstation und du bist im Friendly Fire getroffen worden. Ich ... ich kann nicht sagen, wie leid mir das tut. Du hast absolut nichts falsch gemacht. Genauso wenig wie die anderen, denen ich ihr Weihnachtsfest verdorben hab, weil ich zu kaputt bin, um mich im Griff zu haben."

Seine Augen leuchteten sie bekümmert an unter seinen zusammengezogenen Brauen und sie zuckte hilflos mit den Schultern. Sie wusste nicht, was sie sonst noch sagen sollte. Mehr gab es nicht zu erklären, da war es egal, wie viel Druck auf ihrer Brust lastete und ihr das Atmen erschwerte.

„Das regelt sich wieder." Sein Murmeln verwirrte sie, denn sie konnte beim besten Willen nicht erahnen, was er damit meinte. Doch sie spürte schlagartig die Wärme, die von seinem Körper ausging und nahm auch einen Hauch davon in seiner Stimme wahr. Sie schluckte und traute sich nicht, zu hoffen. Sie konnte ihm nur in die Augen schauen, die erstaunlicherweise ihren traurigen Glanz verloren hatten. Stattdessen meinte sie, Zuneigung darin zu lesen und – Stolz. Doch das kann nicht sein, Ella. Du täuschst dich.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin