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Seufzend klappte Ben den Laptop zu, stellte ihn auf seinem Nachtisch ab und ließ sich tiefer ins Bett gleiten. Er hatte den ganzen Tag immer wieder an Ella denken müssen. Das war jetzt nicht wirklich etwas Besonderes. Er dachte oft an sie, sie begleitete ihn durch seine Tage. Doch heute hatte er sie nicht einfach in einen Winkel seines Kopfes verbannen können. Weswegen du die Deadline gerade noch so hast einhalten können.

Er starrte an die Decke und seine Gedanken wanderten wieder zu Ella. Hatte das Klicken in der Leitung und die darauffolgende Stille sie aus ihren Träumen gerissen? Oder hatte sie tatsächlich weiterschlafen können, nachdem er eine Weile ihren ruhigen, regelmäßigen Atemzügen gelauscht hatte? War sie ebenfalls heute Morgen mit einem übervollen Herzen aufgewacht, da es ihr so viel bedeutet hatte, diesen Moment mit ihm zu verleben?

Er schüttelte den Kopf und drehte sich zur Seite, nachdem er sein Kissen in Form geknüllt hatte. Sie hatte sich nicht gemeldet. Aber wenn er ehrlich war, hatte er das auch nicht erwartet. Sie hatte genug mit sich zu tun, um an sowas zu denken. Trotzdem hätte er gerne ihre Stimme gehört. Oder ihre Nachricht gelesen.

Jetzt blieb ihm erneut nur zu warten. Dabei hatte sein Herz bereits vor Vorfreude und Hoffnung gepocht und die latente Leere in seinem Brustkorb wieder etwas gefüllt. Er hatte nicht verhindern können, dass sein Kopf seine geheimsten Träume ausgegraben hatte. Die er doch längst als verloren abgestempelt hatte.

„If I could take your troubles away,
I'd do it today,
just know, that I'm here for you..."

Seine Hand ruckte sofort zu seinem Telefon, als Jack Curleys Song erklang und ankündigte, dass Ella doch den Rufknopf gedrückt hatte. Schlagartig wurden seine Finger schwitzig. „Ella?"

Er bemerkte selbst, wie atemlos er klang, und er lauschte in die Stille hinein. Schon runzelte sich seine Stirn automatisch und er fragte sich, ob sie nicht absichtlich angerufen hatte. „Hi."

Erleichterung flutete ihn schlagartig und das Zittern seiner Finger verstärkte sich etwas, während sich sein Puls beschleunigte. „Hast du schon geschlafen?"

„Nein, keine Sorge. Ich habe noch gearbeitet."

„Dann störe ich."

„Nein, ich hatte den Laptop gerade zur Seite gestellt. Ich hab nur nicht damit gerechnet, dass du anrufst."

„Ich auch nicht." Ihr Flüstern war kaum zu vernehmen und doch brannte es sich in sein Ohr. Die Stille, die dem zittrigen, abgrundtiefen Seufzen folgte, schickte eine Gänsehaut sein Rückgrat hinunter, weil ihm aufs Neue auffiel, wie kraftlos sie sich anhörte.

Sein Nacken prickelte ebenfalls und er versuchte sich nicht auszumalen, was sein Kopf wiederholt ausspuckte. Welche Angst in ihm gärte, egal wie oft er sie beiseiteschob. „Ich hab das Waschbecken geputzt. Zumindest ein bisschen, die Kalkflecken sind noch da. Und ich habe die Kaffeemaschine entkalkt."

„Ok." Verwirrt starte er auf den Digitalwecker, der im fahlen Mondlicht mit seinen leuchtenden Ziffern die Uhrzeit verkündete. Automatisch fragte er sich, wieso er dieses Relikt da noch stehen hatte. Das Ding riss ihn schon ewig nicht mehr aus dem Schlaf, das hatte längst sein Handy übernommen. Trotzdem kann ich mich nicht von ihm trennen.

„Ich weiß, darauf sollte man nicht stolz sein. Aber ... aber sonst hab ich es nicht geschafft. War zu anstrengend, sich auch noch darum zu kümmern." Seine Stirn glättete sich, als er verstand. Ella berichtete ihm gerade von ihrem Tag. Der offenbar besser verlaufen war, als die zuvor. Er erinnerte sich an seine Recherche, wo gestanden hatte, dass besonders die Kleinigkeiten des Lebens Menschen mit Depressionen Schwierigkeiten bereiteten und nickte reflexartig.

„Ich finde schon, dass man darauf stolz sein darf, was man den Tag über so geschafft hat. Egal, wie klein die Dinge erscheinen. Man hat sie trotzdem erledigt, oder nicht?"

„Ja. Vielleicht."

Wieder stellte sich Stille ein und er dachte, er müsste fast sehen können, wie Ellas Kopf rauchte. Doch auch er schwieg. Es fühlte sich zu gut an, dass sie ihn kontaktiert hatte, um ihm das zu erzählen. Die Vermutung, er hätte vielleicht einen kleinen Anteil daran, dass sie die beiden Kleinigkeiten erledigen konnte, füllte ihn mit Hoffnung. Egal, wie fragil sie war, es konnte ein Anfang sein. Ihr Neuanfang.

„Ok. Das wollt ich dir nur sagen. Weil du dabei geholfen hast. Mehr nicht. Ich lass dich jetzt schlafen." Jäh flutete ihn Enttäuschung, doch er gebot sich, sie loszulassen. Er musste sich mit dem zufriedengeben, was sie ihm schenken konnte. So wie Juli ihm das geraten hatte.

„Schlaf du auch gut, Sunny." Wie sehr er sich wünschte, sie jetzt an sich ziehen zu können und ihr einen Kuss auf ihr nach Brennnesseln duftendes Haar drücken zu können. Aber da standen sie nicht. Er wusste im Grunde nicht mal, ob sie da jemals wieder ankamen. Reflexartig wischte er sich über sein Gesicht und lauschte ihrem Atmen.

„Ich wünschte, ich könnte anders sein." Er erstarrte mitten in der Bewegung, weil ihre Stimme so bebte. Augenblicklich suchte er nach Worten, die ihren spürbaren Kummer mildern könnten. Doch er hatte die Ahnung, dass sie ihm nicht glauben würde, wenn er ihr widersprach. „Ich bin nicht so, wie ich sein sollte. Denn dann könnten wir ein Paar und glücklich sein."

Seine Brust zog sich schmerzhaft zusammen und er spürte, wie sich das Zittern seiner Hände wieder verstärkte, während sein Herz sich hinter seinen Rippen ausdehnte vor Freude. Trotzdem sammelte sich ein Knoten in seinem Hals. „Schon ok, Ella."

„Nein, gar nichts ist ok." Er hörte die Tränen in ihrer Stimme und sofort drängte es ihn, sich aus dem Bett zu schieben und zu ihr zu eilen. Doch er wusste nicht, ob das gut war. Ob er sie dadurch noch mehr unter Druck setzen würde. Jeder Muskel in ihm verspannte sich, als er sich zwang, einfach liegenzubleiben. „Es tut mir so leid, dass ich bin, wie ich bin."

„Ella, hör auf. Bitte. Nichts an dir ist falsch." Ihr Schluchzen bohrte sich bis in sein Innerstes, während er sich so hilflos wie schon lange nicht mehr fühlte. Reflexartig schüttelte er den Kopf und gab dem Druck nach. Er glitt unter der Decke hervor, griff nach einem Shirt und zog es sich über den Oberkörper, bevor er sich sein Telefon zwischen Schulter und Kinn klemmte und nach der Jogginghose angelte.

Währenddessen drang dieses unkontrollierbare Weinen durch die Leitung und er merkte, wie sein Mund immer trockener wurde. „Ich sollte aufgeben. Einfach aufgeben. Nicht mehr kämpfen. Ich habe keine Kraft mehr."

Er schluckte hart, als der Sinn ihrer abgehackten Worte sich in seinen Kopf fräste. Automatisch beschleunigte sich sein Schritt und er lief die Treppe ins Erdgeschoss hinunter, so schnell er konnte. „Nein, Ella. Aufgeben ist keine Option, hörst du?"

„Aber ich kann es nicht mehr ertragen. Alles. Die Blicke. Kein Kind sollte so seine Mutter anschauen. Tobi sollte sie haben. Ich bin nicht gut für sie." Kurz verharrte er und nahm die Welle Erleichterung dankbar an, die die Härchen auf seinen Armen wieder in die Waagrechte beförderte, ehe er den Kopf schüttelte. Endlich hatte sie sich ihm offenbart. Doch sie würde sich nie verzeihen, wenn sie ihre Kinder aufgeben würde.

„Wie sehen sie dich denn an, Ella?" – Ich muss sie am Reden halten, bis ich bei ihr bin. Bis ich sie in die Arme schließen kann.

„So, als hätten sie Angst. Ich hab auch Angst. Ich bin nicht stark genug. Ich kann es nicht mit Tobi aufnehmen." Wieder schüttelte er den Kopf und hastete zu seinen Schuhen, um hineinzuschlüpfen und nach den Schlüsseln zu grabschen. Er hoffte, es war heute nicht glatt. Immerhin schneite es nicht mehr. Das war gut. Denn gleich würde er Ella in seine Arme schließen und ihr sagen, dass sie falschlag. So lange, bis sie ihm glaubte.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon