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Er konnte nicht anders. Langsam senkte er seine Stirn gegen ihre und drückte ihr seine Lippen auf. Noch immer hallte seine Erschütterung durch ihn. Sie hatte ihn nie zuvor mit den Details versorgt und wie schwer es ihr gefallen war, hatte nicht nur ihre Stimme verraten. Weiterhin spürte er, wie angespannt sie war. Das Zittern unter seinen Fingern gab es ihm preis. Oder sind es meine, die beben?

„Du bist eine so unfassbar starke Frau." Sein Raunen schwebte zwischen ihnen und Ellas Augenbrauen ruckten hoch, während ihr Mund aufklappte. Sanft drückte er von unten gegen ihr Kinn und hauchte einen Kuss auf ihre Lippen. Deutlich hörbar schluckte Ella hart, ehe sie langsam den Kopf schüttelte.

„Du hast nicht verstanden, Ben. Ich bin total kaputt." Erneut lehnte er seine Stirn gegen ihre und seufzte. Er zuckte mit den Schultern und strich nochmal über ihre Wange, um die letzte Träne aufzufangen, die sich aus ihren Augen gestohlen hatte.

„Nicht mehr oder weniger als andere, Sunny." Jetzt schlich sich Irritation in ihr Gesicht und erneut schüttelte sie mit dem Kopf.

„Du willst mir sagen, dass jeder normale Mensch dissoziiert und sich nicht mehr unter Kontrolle hat, sodass er wie wild geworden mit Worten um sich schießt?" Jetzt war es an ihm, mit einem Kopfschütteln zu antworten. Anschließend schlüpfte ein Seufzen über seine Lippen. „Das nicht. Aber ich wollte damit sagen, dass jeder sein Päckchen zu tragen hat, Ella. Bei dir mag es schwerer wiegen als bei anderen, das kann ich nicht beurteilen. Doch ich kenne niemanden, der nicht irgendetwas zu schultern hätte."

„Das stimmt natürlich." Obwohl sie ihm zustimmte, wich sie seinem Blick aus und biss sich auf die Unterlippe. Er legte sanft wieder seinen Finger unter ihr Kinn und wartete, bis sie ihn anschaute.

„Das heißt nicht, dass ich dir widersprechen möchte, weißt du? Ich möchte damit nur klarstellen, dass jeder irgendwie in irgendeiner Weise kaputt ist. Ich hab letztens einen Spruch gelesen, der hat mir wirklich gefallen." Ihr Gesicht drückte nach wie vor ihre Vorsicht aus und er strich ihr über die Wange. „Es ist nicht schlimm, wenn man einen Knall hat. Die Schwierigkeit besteht darin, jemanden zu finden, der einen kompatiblen Knall hat."

„Ah, hm." Obwohl er es sich verkneifen wollte, zuckte doch ein Lächeln über sein Gesicht. Ihre Reaktionen waren zu süß, wenn sie nicht wusste, was sie erwidern sollte. Aber er wurde ernst, als ein abgrundtiefes Seufzen über ihre Lippen drang. „Ich weiß nicht, was du mir damit sagen willst."

„Ich will damit sagen, dass du vollkommen in Ordnung bist. Ich bewundere dich dafür, dass du diesen Scheiß hinter dir hast und es da raus geschafft hast. Aber es hält mich nicht davon ab, eine Beziehung mit dir führen zu wollen."

Jetzt flogen ihre Augen zurück zu seinen und er biss sich auf die Unterlippe, weil er bemerkte, dass sie weitaufgerissen waren. Sofort schluckte er und ballte unbewusst die Fäuste. Wieso macht es ihr verdammt noch mal so viel Angst, ihren Gefühlen nachzugeben?

Doch er konnte nicht so weitermachen wie bisher. Das war ihm in den letzten Stunden klar geworden, seit er - ziemlich unkonzentriert – vor seinem Laptop gesessen und gearbeitet hatte. „Du willst eine Beziehung mit mir? Eine ernsthafte?"

„Das dürfte dich nicht überraschen, Ella, oder?" Hastig biss er sich auf die Zunge und schluckte seinen Unmut hinunter, als sie unwillkürlich etwas von ihm zurückwich. Seufzend strich er sich durch seine Haare und wendete seinen Blick ab. „Um ehrlich zu sein: Ja, ich will eine ernsthafte Beziehung zu dir. Das hab ich mir immer gewünscht und das weißt du. Ich kann nicht weiter so tun, als würde ich damit klarkommen, dass wir nur Freunde sind. So ist es nicht. Und ich habe genug von unserer On-Off-Freundschaftsfarce. Ich fühle das nicht."

„Ich bin eine beschissene Freundin, wenn wir versuchen, nur eine Freundschaft zu pflegen, und jetzt willst du eine Liebesbeziehung mit mir?" Alles in ihm verkrampfte sich zu einem einzigen Eisklumpen, doch er gebot sich, ruhig zu bleiben. Aber er konnte nicht verhindern, dass seine Hände zitterten, als er nach ihren griff.

„Wieso denkst du, du wärst eine beschissene Freundin?"

„Ben, du ... du hast dich genötigt gefühlt, dich zu betrinken und so bei mir aufzukreuzen..." Ihre Stimme verhallte im Raum, als sie sich unterbrach. Er vermutete, dass sie sein Stirnrunzeln wahrgenommen hatte, das sich zeigte, während er ihr ungläubig in die Augen schaute.

Sein Gesichtsausdruck wurde von ihr gespiegelt, weil er reflexartig mit dem Kopf schüttelte. Er hätte nicht gedacht, dass sich ihre Verwirrung noch vertiefen könnte. Sofort schwappte eine Welle Hoffnung durch ihn und er strich mit den Daumen über ihre Handrücken. „Ich hab mich nicht wegen dir betrunken, Sunny."

Jetzt riss Ella die Augen noch ein bisschen mehr auf und starrte ihn daraus mit offenem Mund an, während er mit den Schultern zuckte, eine Hand losließ und sich damit seufzend durch sein Haar strich. „Wir haben nach diesem Abend nicht darüber geredet, was offenbar ein Fehler war. Doch du warst nicht die Ursache für meinen Absturz. Du warst der Grund, dass ich es besser wegstecken konnte."

Er sah Ella zurück ins Gesicht und hörte, wie sie schluckte, ehe ihr krächzendes Flüstern ihn fragte, wieso er sich die Kante gegeben hatte. Unwillkürlich spannte sich sein Körper wieder an, als er an diesen Abend dachte. Aber ich muss und möchte Ellas Zweifel ausräumen. Denn je mehr ich diese Erkenntnis zulasse, dass ich nur so weiterhin ein Teil ihres Lebens sein kann, desto mehr spüre ich, wie wahr diese Aussage ist.

„Ich will nicht lügen, der Tag war für mich sehr aufwühlend. Als ich von dir weggefahren bin, wollte ich ursprünglich nach Hause. Da war ich. Ich saß im Auto, in meiner Garage und stierte gegen die Wand, denn ich konnte nicht hineingehen. Ich hatte keine Ahnung wieso, aber ich hatte so viel Druck auf der Brust, dass ich kaum Atmen konnte."

Ellas Schultern sackten nach vorne und sie wich seinem Blick aus. Sanft umfasste er ihr Gesicht und drehte es zu sich. Als sie ihn wieder fixierte, strich sein Daumen wie von selbst über ihre Unterlippe. Ich würde sie so gerne küssen und ihr damit ihre Verzweiflung nehmen.

Das leise Beben, das durch ihren Körper ging, verstärkte seinen Impuls noch. Doch er gebot sich, ihm nicht nachzugeben. „Ich bin also zurück in die Innenstadt gefahren und dachte, ich besuche mal wieder Mo, weil ich ihn schon länger nicht mehr getroffen hatte. An einem Samstag ist es im Bistro laut, voll und die Atmosphäre kann einen hervorragend ablenken. Ich wollte einen oder vielleicht zwei Scotch trinken, dass ich zur Ruhe komme und dann nach Hause fahren. Na ja, es kam anders."

„Demnach habe ich dir so zugesetzt, dass du ruhelos warst. Wie kannst du jetzt also wollen, dass wir..." Erneut unterbrach sie sich, weil er mit dem Kopf schüttelte. Wieder zeigte sich diese Verwirrung in ihrem Blick, der noch vergoldet wurde von dem warmen Schimmer der Lichterkette. Sofort verstärkte sich der Drang aufs Neue, ihr näher zu kommen.

„Nein, du warst nicht der Grund dafür. Das könnte man meinen, da stimme ich dir zu. Und hättest du mich in dem Moment gefragt, warum ich so mitgenommen war, hätte ich es dir nicht beantworten können. Ich hatte ja eigentlich keinen Grund dafür, so durchzuhängen, denn du hast eingewilligt, dass wir ein paar Schritte zurückgehen und nur Freunde sind. Ich hab mein Ziel also erreicht."

Seine Kehle schnürte sich auf altbekannte Weise zu und er ließ Ella los, um ein bisschen Abstand zu gewinnen. Er spürte, wie ihr Blick ihn verfolgte, als er das Sofa umrundete, die Tassen mit dem mittlerweile kalten Inhalt nahm und sie in die Küche trug. Er wusste, dass sie ihm langsam folgte. Das Brennen zwischen seinen Schultern verriet es ihm.

Seine Zunge schien aus Blei zu sein, während er die Tassen in den Geschirrspüler stellte und zwei frische aus dem Hochschrank holte. „Ich bin also zu Mo, hab mich an den Tresen gepflanzt und wollte mich ablenken. Aber er hat gemerkt, dass etwas in mir arbeitet. Er hat sich mit mir in eine ruhigere Ecke gesetzt – das war das Gegenteil von dem, was ich wollte – und hat nachgebohrt. Bis ich geplatzt bin und ihm alles erzählt habe."

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