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Ella beobachtete, wie sich Ben zu der Frau hinunterbeugte, die in ihrem mintgrünen Sessel saß und die Neuankömmlinge musterte, die ihr Zimmer betreten hatten. Sie konnte die Ähnlichkeit zwischen Ben und seiner Mutter sofort erkennen. Die gleichen grünen Augen blitzten sie an, ehe sie zurück zu ihrem Sohn wanderten. „Hey, Mama."

„Ben. Schön, dass du vorbeischaust." Selbst auf die Entfernung hin bemerkte sie, wie wohl Tonnen von Steinen von seiner Brust fielen. Sofort wurden seine Bewegungen wieder flüssiger und er strahlte seine Mutter an, die sie erneut in Augenschein nahm.

„Becca. Ich freu mich auch, dass du mich besuchst." Jetzt gefror Bens Lächeln und er erstarrte zur Salzsäule. Er warf ihr einen panischen Blick zu und obwohl der Stich tief traf, strahlte sie die Frau an, deren Augen sie freundlich anschauten. Ben öffnete den Mund und wollte seine Mutter offenbar darüber aufklären, dass sie nicht Becca war, doch sie schüttelte kaum merklich den Kopf.

„Sehr gerne. Das hätte ich schon lange machen sollen. Tut mir leid, dass ich es nicht früher geschafft habe." Ella trat näher an Bens Mutter zu und beugte sich ebenfalls vor, um ihr einen Kuss auf die Wange zu hauchen, nachdem sie ihr das Gesicht zusteckte.

Weiterhin wirkte Ben, als hätte ihn ein Blitz getroffen, doch sie ignorierte die Betroffenheit, die er ausstrahlte und konzentrierte sich stattdessen auf seine Mutter, deren kräftige Hand nach ihrer griff, um ihre zu drücken. Zumindest kann ich jetzt erahnen, woher Ben seine Herzensgüte hat. „Ach, das ist doch kein Problem. Ihr jungen Leute habt so viel zu erledigen und zu wuppen. Da ist es umso schöner, dass ihr euch die Zeit nehmt, mich abzuholen."

„Äh, Mama, das mit dem Abholen, das funktioniert leider gerade nicht so." Sie wechselte einen Blick mit Ben, der weiterhin geschockt zu sein schien, dass seine Mutter nicht mehr erkannte, dass eine andere Frau vor ihr stand, die mit seiner Ex nichts zu schaffen hatte. Oder sehe ich ihr womöglich ähnlich?

„Ok, mein Liebling, das ist auch nicht so schlimm. Becca sollte in ihrem Zustand ja sowieso nicht allzu herumhetzen, nicht wahr?" Ella biss sich auf die Lippe, als sich der Sinn der Worte von Bens Mutter ihr erschloss. Ihr Sohn schaute sie unterdessen irritiert an. Dann begriff er offenbar, was seine Mama gemeint hatte, und wurde blass, während sein Blick gehetzt zu ihr flog und sein Adamsapfel nervös auf und ab hopste.

Dann ging er neben seiner Mutter in die Hocke, nahm ihre Hand und schaute sie an. Alles in Ella verkrampfte sich, als sein Unbehagen noch höhere Wellen schlug. „Mama, ich bin unfruchtbar. Ich ... ich kann nicht ..."

Ella wusste gar nicht, wohin sie gucken sollte. Bens Mutter runzelte die Stirn und wurde innerlich unruhig, was sie zusätzlich erschütterte. „Und das ist nicht Becca, Mama. Das ist Ella. Rebecca hat sich vor über zwei Jahren von mir getrennt, erinnerst du dich?"

Ella merkte, wie sie zu zittern anfing, weil sich jetzt Verzweiflung in die Atmosphäre mischte. Der Blick von Bens Mutter flog zu ihr und sie schluckte hart. Die Verwirrung darin fast greifbar war. „Aber, äh. Sie hat ..."

„Ella wollte dich nicht bloßstellen, Mama." Sie musste hier raus. Unbedingt.

Ihre Knie fühlten sich wie Pudding an und sie wunderte sich, dass ihre Beine sie überhaupt noch trugen. „Ähm. Möchte jemand Kaffee? Oder Tee? Ich hol fix was, hm." Bens Blick wanderte nun zu ihr und er nickte. Die Betroffenheit in seinem Gesicht, die eingesunkenen Schultern würden sie jeden Moment wanken lassen.

„Klar. Äh, Mama? Einen Tee? Oder magst du lieber Kaffee? Ich möchte jedenfalls einen." Sie beobachtete, wie Ben sein Portemonnaie hervorzog und schüttelte hastig mit dem Kopf, woraufhin er mitten in der Bewegung erstarrte. Sie hörte, wie seine Mutter mit zittriger Stimme um einen Tee bat und quittierte das mit einem Nicken.

Schnell murmelte sie, sie würde alles holen und verließ den Raum. Kaum war sie aus dem bedrückenden Zimmer, atmete sie hastig durch. Ein Schauer jagte ihr über den Rücken. Die Luft war plötzlich so dick gewesen, dass man sie hätte schneiden können. Vor allem der Schmerz in Bens Stimme hatte ihr zugesetzt. Alles andere hätte sie vielleicht noch wegstecken können, dachte sie und lief den langen Flur entlang.

Die Leitung hatte sich hier wirklich Mühe gegeben, eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen. Fröhliche Bilder zierten die gelben Wände und am Ende des Ganges versprachen ein hübscher Essbereich und ein großer Gemeinschaftsraum etwas Zerstreuung und Gesellschaft. Auch im Zimmer hatte man sich bemüht, von den Krankenhausbetten abzulenken. Sie hatte Bilder von Ben an den Wänden entdeckt. Fotos von seiner Mutter, zusammen mit ihm, hatten ebenfalls dort geprangt.

Die Kristallfigürchen hatten selbst das fahle Sonnenlicht eingefangen, das durch die großen Fenster fiel, und kleine Regenbogenreflexe an die Wände gezaubert. Bücher hatten fast jede Fläche bedeckt. Liebesromane. Wieder krampfte sich ihr Herz zusammen. Soweit sie wusste, hatte nur die Liebe zwischen Mutter und Sohn das Leben von Bens Mama getragen. Der Gedanke machte sie traurig, als sie in den Fahrstuhl stieg, um in der Cafeteria am Eingang zu holen.

Hier hatten die Heimbetreiber ebenfalls auf eine gewisse Wohlfühlatmosphäre geachtet. Fröhliche Blumen zierten die Holztische mit den bequemen Sesseln drumherum. Wenn man hier saß, vergaß man fast, dass es ein Café in einer Seniorenresidenz war, befand sie und atmete nochmal tief durch. Zumindest ließen jetzt das Zittern und ihre Unruhe nach. Sie hatte nicht geahnt, wie sehr sie die Situation auch an ihre eigene Oma erinnern würde. Ich habe gedacht, ich könnte die Emotionen besser wegstecken, die sich ergeben.

Mit einem Kopfschütteln stellte sie sich an den Tresen und orderte die gewünschten Getränke. Der Gedanke, sich all den Gefühlen wieder zu stellen, schickte erneut einen Schauer über ihren Rücken. Doch sie hatte es Ben versprochen. Und sie wollte genauso für ihn da sein, wie er es für sie war. Das änderte jedoch nichts daran, dass sie zu kämpfen hatte und nicht wusste, wie sie damit umgehen sollte.

Sie lächelte die Angestellte an, bezahlte die Getränke und machte sich auf den Weg zurück. Viel lieber würde sie sich jetzt verkriechen, bis sie sicher war, dem Gefühlswirrwarr standhalten zu können. Doch so würde sie den Besuch nicht enden lassen. Bestimmt hatte Ben seine Mutter inzwischen beruhigen können, sprach sie sich selbst Mut zu und drückte auf den Knopf für die dritte Etage. Sie konnte nicht verhindern, dass sie zu ihrer Oma zurückfand, die sie nach wie vor oft schmerzlich vermisste. Sie hatte viele gute Zeiten bei ihr verbracht.

Das „Bing" der Aufzugtüren brachte sie zurück in die Gegenwart und sie atmete nochmal tief durch, ehe sie die Kabine verließ. Sie würde das schaffen. Bisher hatte sie alles bewältigt. Mit Beulen und Schrammen manchmal, aber sie war durch jede Situation gegangen, so gut es ihr möglich war. Und das würde diesmal genauso sein. Jetzt wusste sie ja, was sie erwartete, erklärte sie sich und setzte ein Lächeln auf, bevor sie an die Zimmertür klopfte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 05 ⏰

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