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„Da ist er ja – der fremde Mann, dessen Lebenszeit ich schon so lange begleite!" Ben zuckte kaum merklich zusammen, als er in Mos grinsendes Gesicht sah, während er sich auf einen der Barhocker schob.

„Ja, sorry. Hatte viel zu tun." Er hatte eine vage Ahnung, dass Mo ihn beim Lärm der restlichen Feierwütigen hier kaum verstehen konnte, doch es war ihm egal. Noch immer hatte er mit den Erlebnissen des heutigen Tages zu kämpfen und er wollte einfach nur abschalten. Ob ihm das gelingen würde, bezweifelte er jedoch, als er beobachtete, wie Mos Grinsen einem forschenden Blick wich.

Hastig ließ er seine Augen über die gutgefüllte Auswahl an Spirituosen wandern, die sich hinter seinem besten Freund in einem beleuchteten Regal aus warmem Mahagoni präsentierten. Es war laut hier. Er erhaschte Gesprächsfetzen von den anderen Gästen und drehte sich wieder zu Mo, der ihn mit hochgezogenen Brauen anschaute. „Ok, der Humor ist heute ausgegangen. Demnach einen Scotch?"

„Hm. Ja, glaub schon." Er hatte nicht geahnt, dass Moritz die Stirn noch mehr runzeln konnte. Doch sein bester Freund widerlegte diese These gerade. Er wollte den stillen bohrenden Fragen auf seinem Gesicht nicht nachgeben und darüber reden. Er wusste im Grunde ja nicht, warum er so missgelaunt war. Ella hatte sich auf die Freundschaft zwischen ihnen eingelassen und alles war gut. Zumindest fast. Der Knoten in seinem Bauch sprach dagegen.

„Ok, das reicht. Da sehe ich dich wochenlang nicht und jetzt sitzt du hier und siehst aus, als würdest du die Last der Welt auf den Schultern tragen. Damit lasse ich dich nicht durchkommen." Irritiert beobachtete Ben, wie Mo statt nach einem, nach zwei Gläsern und der gesamten Flasche Scotch griff, ehe er seinen Platz hinter der Bar verließ. Sein hastiges Kopfschütteln ignorierte Mo geflissentlich. Stattdessen rief er seiner Kellnerin Nadine die Bitte zu, sie möge übernehmen und verschwand mit einem auffordernden Nicken in der hintersten Nische neben dem Zugang zur Küche.

Automatisch rollte Ben mit den Augen und seufzte. Er wollte nicht reden. Der Gedanke, sich zu betrinken, war viel verlockender, wenn er an die Erlebnisse des vergangenen Tages dachte. Einfach abschalten und sich im Selbstmitleid baden. Immerhin war der Tag emotionaler gewesen, als er es mochte. Zumindest das konnte er zugeben.

„Benjamin, brauchst du eine Extra-Einladung?" Erneut verdrehte er die Augen und rutschte widerwillig von seinem Platz an der Bar. Er wusste, dass Widerspruch bei Mo nichts nutzte, also konnte er sich genauso gleich seinem Schicksal beugen, oder?

Die mahagonifarbenen Tische waren wie an jedem Samstag gut besetzt und wie sonst auch, blieben seine Augen an den hellen Drucken hängen, die an den pinienfarbenen Wänden prangten. Manche zeigten Nachbildungen von Künstlern aus der Moderne, andere waren Fotografien von der Küste. Sein Kumpel hatte ein Auge dafür, die Sanddünen mit ihren Gräsern und tierischen Bewohnern mit der Kamera einzufangen, wann immer er sich eine Auszeit gönnte, um Urlaub zu machen.

Doch das alles lenkte ihn nicht davon ab, dass sein Kumpel ihn wohl weiterhin hypnotisieren wollte, damit er zu ihm an den Tisch trat. Also schob er seine Hände in die Taschen seiner Jeans und funkelte Mo unwillig an. Er spürte förmlich, wie sich sein Kiefer anspannte, während er auf dem Stuhl gegenüber von seinem Freund Platz nahm. Obwohl das Licht in dieser Nische nur als dämmrig zu bezeichnen waren, hoben sich Mos Tattoos deutlich von seinen Unterarmen ab, die sein in den Ellbeugen hochgekrempeltes Hemd freigab.

Wortlos beobachtete er, wie Moritz ihnen einschenkte und nickte nur, als dieser ihm sein Glas zuschob. „Also, wo drückt der Schuh."

„Ich will nicht..."

„Nein, Ben. Definitiv nicht. Du kommst hier nicht an wie aus dem Arsch gezogen, besäufst dich und schweigst ansonsten, wieso du in so einem Zustand bist, hast du mich verstanden?" Mos dunkle Augen blitzten ihn genauso finster an, wie er seinen Freund. Er bemerkte auch, dass Moritz' Kiefer mahlte und seufzte. Um Zeit zu gewinnen, nahm er einen Schluck von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit und spürte den herben, malzigen Noten auf seiner Zunge nach.

Er schwenkte den Scotch in seinem Glas und fixierte die Tischplatte, weil sich Mos Blick weiterhin in sein Gesicht brannte und er nicht wusste, wie er das Chaos in seinem Innersten benennen sollte. Erneut begannen seine Finger zu zittern und wieder fragte er sich, wieso er in dieser eigentümlichen Stimmung war. Warum habe ich so viel Druck auf der Brust, den ich ums Verrecken nicht verleugnen kann?

Nochmals seufzte er tief, bevor er seinem Freund ins Gesicht sah. Es half nichts, es aufzuschieben. „Ich hab mit Ella geschlafen."

Normalerweise hätte es ihn amüsiert, dass Mo sich verschluckte, weil er in diesem Moment ebenfalls einen Schluck aus seinem Glas getrunken hatte. Doch diesmal wartete er still, bis das Husten seines Freundes verklang und er ihn mit wässrigen Augen fixierte. „Du hast was?!"

„Mit Ella geschlafen. Heute."

„Yeah. Juhu. Oder was auch immer man darauf erwidert. Doch um ehrlich zu sein, siehst du nicht so aus, als hätte es dich sonderlich entspannt." Ben zuckte reflexartig mit den Schultern und starrte erneut auf die Tischplatte, während er sich fragte, wieso er es Mo erzählt hatte. „Ich wusste nicht, das Ella und du jetzt zusammen seid."

Sein Kopf ruckte automatisch hoch und er schloss kurz die Augenlider, ehe er sich über sein Gesicht fuhr. „Sind wir nicht. Jedenfalls nicht richtig. Es war auch nicht so geplant. Und na ja, ich ... ich hab nicht ... ich konnte nicht ... also..." Er bemerkte, wie Mo die Stirn runzelte, und schluckte gegen den Kloß in seinem Hals an. „Ich hab abgebrochen."

Jetzt entglitten Mo für einen Moment seine Gesichtszüge und Ben stürzte schnell den Inhalt seines Glases hinunter. Diesmal schenkte er den holzigen Noten keine Aufmerksamkeit, sondern verzog das Gesicht, weil der Scotch seine Schärfe zeigte. „Oh. Äh. Ok."

Er musste seinen Kumpel nicht ansehen, um zu wissen, dass die Fragezeichen über seinem Kopf zu greifen wären. Irgendwie verstärkte es den Druck in seinem Innersten nochmal. Als würden sich seine Eingeweide zusätzlich zu seinem Magen verknoten. Ich muss hier weg.

„Hat es einen Grund? Äh ... es hat doch ... alles funktioniert?" Verwirrt schaute er seinem Kumpel an, ehe der Groschen fiel, und er nickte nur. Dass Mo jetzt erleichtert wirkte, konnte er ihm nicht verdenken. Diese Art von Gespräch wollte er definitiv auch nicht führen. Doch kaum hatte er den Gedanken zu Ende gebracht, wechselte Moritz Gesichtsausdruck wieder zu Verwirrung. Es hilft nichts. Du wirfst mehr Fragen auf, als sie zu beantworten. Und Mo ist nicht wirklich geduldig, also spuck es einfach aus.

„Ella ist krank." Erneut verzog sein Kumpel sein Gesicht zu einer Grimasse der Irritation: Er hob einen Mundwinkel, runzelte die Stirn und es hätte nur noch gefehlt, dass er sich am Kopf kratzte. Auch etwas, was mich sonst amüsieren würde. „Sie ... ich konnte nicht. Es hat sich falsch angefühlt, mit ihr zu schlafen. Als würde ich meine Bedürfnisse über ihre stellen, obwohl es eher von ihr ausging. Doch das ändert nichts daran, dass es nicht richtig war."

„Benjamin, du bringst mich um den Verstand, ist dir das klar? Würdest du jetzt bitte einfach auskotzen, was mit dir los ist? Klartext. Was hat Ella? Wieso warst du überhaupt bei ihr? Was zum Teufel ist in den vergangenen Wochen passiert, seit wir uns nicht mehr gesehen haben?" Der Geduldsfaden seines Kumpels war soeben gerissen, dachte Ben und wich nochmal kurz Mos stechendem Blick aus.

Als er seinen Vertrauten aus Kindertagen wieder fixierte, stellte er fest, dass plötzlich Tränen in seinen Augen schwammen. „Sie ist depressiv, Mo. Mehr als ich geahnt hab. Ich weiß nicht, wie ich ihr helfen soll."

Hastig wischte er sich über die Stirn und hoffte, dass er so kaschieren konnte, tatsächlich zu flennen. Außerdem hat es den Nebeneffekt, mich dem Erstaunen auf Mos Gesicht nicht stellen zu müssen. Doch zu seiner Verblüffung wurde er kurz darauf vom Stuhl hochgezogen und in den Durchgang zur Küche geschoben, bevor sich die Arme seines Kumpels um seine Schultern legten. Erschrocken schüttelte er den Kopf.

Er nahm Achim wahr, der offenbar bereits dabei gewesen war, die Küche zu putzen und nun aufschaute. Im Augenwinkel sah er, dass sich das Ehepaar sorgenvolle Blicke zuwarf, ehe Mos Ehemann seine Putzutensilien weglegte und den Raum verließ. Eine Gänsehaut überlief ihn und er biss sich auf die Unterlippe, um die Tränen nicht zu vergießen, die zugegebenermaßen schon den ganzen Tag darauf drängten. „Ist ok, Ben."

Erneut schüttelte er den Kopf und sackte dann doch gegen Moritz. „Gar nichts ist ok, Mo. Ich liebe sie. Und ich bin nutzlos. Wie immer."

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now