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Lächelnd saß Ben auf seinem Stuhl und sog die Atmosphäre in sich auf. In den letzten Jahren war ihm Weihnachten ein Graus gewesen, doch dieses Mal konnte er sich gar nicht genug an den Gesichtern der Menschen sattsehen, die ihn umgaben.

Während die Hunde um und durch sie herumwuselten, um sich die eine oder andere Streicheleinheit von den Anwesenden abzuholen, verteilte Juliana grinsend ihre Geschenke an die Kinder. Er schmunzelte automatisch, als Max das Papier zerfetzte und mit großen Augen das Spiel von allen Seiten begutachtete.

Selbst Lara war heute lammfromm, wobei er zugeben musste, dass sie ihn nun anders behandelte als vor dem Break mit ihrer Mutter. Ich habe echt Respekt davor gehabt, wie sie es aufnehmen würde, dass ich wieder Teil von Ellas Leben bin. Vor allem, weil das nächtliche Aufeinandertreffen beim Gang aufs Klo mit Max so gar nicht geplant war. Genauso wenig, wie während des Fernsehens mit Ella einzuschlafen.

Auch die Söhne von Manni saßen zwischen den Erwachsenen und freuten sich an ihren Präsenten. Ebenso wie Kim, die gerade Sarah und Ella umarmte, um sich für ihr Geschenk zu bedanken. Er konnte sich kaum sattsehen an diesen kleinen Zuneigungsbekundungen, die hier so allgegenwärtig waren.

Weiterhin schnürte sich seine Brust vor Rührung zusammen, wenn seine Augen zu Mo und Achim wanderten, die ebenfalls Teil der Runde waren. Kurz begegnete sein Blick Juli, die ihn nur wissend anschaute und lächelte. Er zuckte kaum merklich mit den Schultern, was sie mit einem Nicken quittierte.

Er griff nach den Fingern, die der Frau neben ihm gehörten und als Ella ihn ansah, musste er erneut feststellen, wie sehr er es genoss, dass sie so aufgeräumt wirkte. Wie viel es ihm bedeutete, dass ihre Augen heute nicht matt waren, sondern einen leichten Glanz aufwiesen. Heute zumindest. Aber auch sonst immer öfter.

Er konnte zufrieden sein, obwohl er die Ahnung hatte, dass sie in vielen Dingen erst an der Oberfläche kratzten. Weiterhin plagten Ella viele Ängste – oft völlig irrationale. Aber Panik hat nicht immer etwas mit Vernunft zu tun. Und bis jetzt haben wir es jedes Mal in den Griff bekommen. Wir werden besser darin.

„Geht es dir gut?" Der Raum verschluckte ihre Frage fast, dennoch hatte er sie gehört. Wie Sarah offensichtlich, die gleich darauf feststellte, dass es ihm gutgehen musste, wenn er in so trauter Runde saß. Das entlockte ihm erneut ein Grinsen und Juli zwinkerte ihm gutgelaunt zu.

„So ... ein paar Geschenke warten noch darauf, den Besitzer zu wechseln. Was Bens Weihnachtsmann wohl gebracht hat?" Er musste kichern, als sofort wieder die Diskussion entbrannte, dass nicht der Mann im roten Samtanzug die Präsente lieferte, sondern das Christkind. Er wechselte einen Blick mit Mo, der sein Grinsen hinter seiner Hand verbarg und amüsiert die Anwesenden beobachtete. Er wusste, dass sein bester Kumpel den Spaß seines Lebens hatte.

„So, stopp jetzt, ok?! Es ist ganz einfach: Sie machen das gemeinsam. Das Christkind kann schließlich nicht alle Kinder beliefern. Ausgequatscht. Ben – du bist dran. Du bist der Letzte." Er merkte, wie sich sogar Ellas Lächeln vertiefte, als Sarah diese Feststellung unter Protest von Juliana und Kim traf, die Diskussion aber erstarb. Jetzt wanderten die diversen Augenpaare wieder zu ihm und er beeilte sich, aufzustehen.

Er kniete sich neben den Baum und kramte die restlichen Päckchen hervor, um sie den künftigen Besitzern zu überreichen. Überrascht bemerkte er, wie sich das altbekannte Flattern in seinem Bauch ausbreitete, das seine Finger zum Beben brachte. Auch das war hier unüblich: Es wurde gewartet, bis einer nach dem anderen sein Geschenk ausgepackt hatte, damit sich die Schenkenden an der Freude des Einzelnen sattsehen konnten. Das hätte ich nicht vermutet bei diesem chaotischen Haufen. Doch ich finde es schön.

Augenblicklich begann Max damit, das Papier von seinem neuen Playmobil-Piratenschiff zu reißen, das er sich so sehr gewünscht hatte. Das wiederholt in den Warenkorb von Ella gewandert – und sofort wieder gelöscht worden war. Ein Quieken ertönte und Ellas Sohn strahlte ihn mit leuchtenden Augen an, ehe er sich zu Kim drehte, die ebenfalls grinste. „Hilfst du mir dann, es zusammenzubauen?"

Julianas Tochter nickte nur und er bemerkte, dass alle sich genauso für Max freute wie er selbst. Nur eine nicht. Ella saß stocksteif auf ihrem Stuhl neben ihm und fixierte die Spielzeugpackung. Augenblicklich kribbelte sein Nacken und seine Finger begannen zu zittern. Hab ich was falsch gemacht?

Kaum hatte er den Gedanken zu Ende gesponnen wurde er aber abgelenkt, weil nun auch die anderen nacheinander ihre Päckchen öffneten. Doch so richtig konnte er sich nicht mehr an den Gesichtern erfreuen, die ihm teils dankbar, teils schelmisch und dann wieder mit Wohlgefallen entgegenleuchteten. Denn die Frau neben ihm biss sich jedes Mal mehr auf die Lippen und wurde noch steifer. Er schluckte trocken und wollte nach ihrer Hand greifen, doch sie entzog sie ihm und strich sich stattdessen eine Strähne ihres Haares hinters Ohr.

„Erde an Ella. Du bist dran." Obwohl Juliana einen amüsierten Ton aufgelegt hatte, bemerkte er das Stirnrunzeln, das nun in Julis Gesicht vorherrschte. Ihm lief eine Gänsehaut über den Rücken, als Ellas Kopf zu ihrer Freundin ruckte, sie ein unechtes Lächeln aufsetzte und das Kuvert öffnete, das er ihr überreicht hatte.

Er hätte nicht für möglich gehalten, dass sie sich noch mehr verkrampfte als die Konzertkarten herausrutschten, von denen sie einmal gesprochen hatte und dann angemerkt hatte, dass sie nicht hingehen würde. Sein Wunsch, dass ihre Augen ihn vergnügt funkelten, wurde ihm nicht erfüllt. Der Dank, der aus ihrem Mund kam, klang genauso wenig echt wie das Lächeln ausschaute, das sie nun intensivierte. Was geht in ihr vor?

Er beobachtete, dass Ella die Karten zurück in den Umschlag schob. Von Juliana hatte sie auch ein einmaliges Erlebnis in Form einer Revue bekommen und da hatte sie gestrahlt wie ein Honigkuchenpferd. Warum also reagiert sie jetzt bei dem Konzert anders?

Ratlos sah er in die Runde und registrierte, dass die meisten auch verwundert waren. Doch Ella kümmerte sich nicht darum, sondern beugte sich zu ihm und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. Er war noch nie so halbherzig geküsst worden, was nochmals einen Schauer über sein Rückgrat schickte. Dann stand sie auf und begann, das Geschenkpapier aufzusammeln. Fassungslos beobachtete er sie dabei, als auch die anderen ihre Betriebsamkeit wieder aufnahmen. Doch jetzt mit deutlich gemäßigteren Bewegungen und Stimmen als vorher. Oder zumindest kommt es mir so vor.

Auch er erhob sich nun und half, in dem vollen Wohnzimmer wieder für Ordnung zu sorgen, während die Jugendlichen sich um Max scharrten und zusammen das Piratenschiff aufzubauen. Wenigstens habe ich da ins Schwarze getroffen. Reflexartig hielt er Ausschau nach Ella und stellte irritiert fest, dass sie wohl unbemerkt aus dem Raum geschlüpft war.

Was sollte er jetzt tun? Er musste das jedenfalls mit ihr klären, so viel war sicher. Doch er wollte jetzt auch kein großes Drama draus machen. Ebenso wenig wie Ella offenbar, denn sonst hätte sie sich nicht still verdrückt. „Gebt mir eure Beutel, ich bring den Müll am besten sofort zur Tonne, oder?"

„Hm, ja. Und dann kannst du auch gleich gucken, welche Laus Ella über die Leber gelaufen ist." Sarah stellte das in einem nüchternen Ton fest, dennoch bemerkte er die Sorge in ihrem Blick. Juliana seufzte ebenfalls und murmelte, dass sie sich wünschen würde, Ella würde endlich aus diesem Loch kommen. Da konnte er nur zustimmen. Aber er schwieg sich dazu aus und nahm stattdessen die Müllsäcke entgegen, bevor er sich aus dem Raum trollte. Manchmal konnte er nicht mit deren Verhalten umgehen. So wie gerade. Doch er würde dem auf den Grund gehen.

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now