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Seine Anspannung machte ihr gehörig zu schaffen, während er eine der Tassen unter den Auslauf des Kaffeeautomaten schob und kurz darauf zu hören war, wie die Bohnen gemahlen und aufgebrüht wurden. Doch sie schwieg, obwohl alles in ihr auf eine Antwort drängte. Bin ich wirklich einem Irrtum aufgesessen? Waren die Selbstvorwürfe für diesen Abend echt ungerechtfertigt?

Weiterhin hatte er ihr seinen Rücken zugedreht und sie hatte das Gefühl, wenn sie ihre Hand auf seine Schultern legen würde, könnte sie das Zittern seiner Muskeln unter dem Pulli spüren, den er übergeworfen hatte. Der Kloß in ihrem Hals verdickte sich immer mehr, je länger er schwieg. Doch sie wollte nicht Gefahr laufen, dass er sich verschloss.

„Ich habe geheult. Ich glaube, so viel wie an dem Tag hab ich ewig nicht geflennt. Ich hasse es. Aber das ist eine andere Geschichte. Mo hat mich in die Küche gezogen und während wir darüber geredet haben, warum ich heule, hab ich erkannt, dass es die Hilflosigkeit ist, die mich so fertig gemacht hat. Die Tatsache, dass ich keinen verdammten Zauberstab habe, um das Leid von den Menschen abzuwenden, die ich liebe."

Sein Blick huschte zu ihr, während sie trocken schluckte und er ihr die Tasse zuschob. Da er das Licht nicht angeschaltet hatte, brach sich nur das fahle Mondlicht am Rand des Kaffeebechers und legte einen silbrigen Schleier auf den dunklen Inhalt. Wie hypnotisiert starrte sie darauf, als Ben einen Teelöffel hineinfallen ließ und sich daraufhin kleine Wellen von der Stelle ausbreiteten und gegen den Tassenrand schwappten.

Sie hob den Blick zu seinem Gesicht, als ein kratziges Geräusch verriet, dass er ihr die Zuckerdose zuschob. Reflexartig nickte sie und gab ein bisschen des Süßungsmittels hinein. Unterdessen dehnte sich das Schweigen aus und Ben wandte sich ab und trat zum Kühlschrank. Der Lichtschein, der aus dem Gerät brach, brannte fast in ihren Augen und sie kniff sie zusammen. Mit der Milch in der Hand verharrte Ben plötzlich und sie schluckte, weil er im Schattenspiel des Kühlschranklichts noch verletzlicher wirkte.

Dann riss er sich abrupt aus seiner Starre und fuhr zu ihr herum. Reflexartig wich sie zurück und stieß mit der Hüfte gegen die Front der Unterschränke. „Er hat mich in die Küche gezerrt und mich getröstet. Das war mir erst ziemlich peinlich. Ich heule eigentlich nicht, wenn ich es vermeiden kann. Höchstens, wenn ich allein bin. Ansonsten ... Na ja, das war ein emotionaler Tag..."

„Meinetwegen." Obwohl sie versucht hatte, ihre Stimme sicher klingen zu lassen, bemerkte sie selbst, wie wackelig sie war. Doch Ben schüttelte überraschenderweise mit dem Kopf, während er ihr die Milchtüte reichte. Sie griff danach und wandte sich ab, um sich welche in den Kaffee zu gießen. Aber als Ben weitersprach, hielt sie automatisch inne.

„Du warst nicht der Grund dafür, dass ich so fertig war, wie ich dir schon erklärt habe. Ich war so hinüber, weil ich mich unnütz fühle."

Jetzt war sie es, die sich ruckartig zu Ben umdrehte und ihn fassungslos anschaute. Doch er wich ihrem Blick hastig aus und strich sich mit der flachen Hand über die Stirn. Dann schloss er die Kühlschranktür und wandte sich wieder dem Kaffeevollautomaten zu. Damit scheint er alles gesagt zu haben. Aber wie kommt er auf so einen Blödsinn?

„Warum?"

„Was, warum?" Er murmelte es der Kaffeemaschine entgegen und sie runzelte die Stirn noch mehr. Sie sollte es wahrscheinlich darauf beruhen lassen, denn sein Unbehagen ging in Wellen von ihm aus. Es breitete sich in ihr aus wie ein Tintentropfen, der auf ein Blatt Küchenrolle gefallen war. Ein Zittern erhob sich abwehrend dagegen und sie schluckte.

„Warum fühlst du dich nutzlos?" Sein Blick flog zu ihr und ihr Herz verpasste einen Schlag, als sie das Gefühlschaos in seinem Gesicht wahrnahm, das sie zuvor nur gespürt hatte. Mit einer heftigen Bewegung schrammte ihre Tasse über die Granitarbeitsplatte der Küche, als sie diese wegschob und ihre Arme um Ben legte.

Ich hatte recht: Er zittert vor Anspannung. Unter ihrem Ohr trommelte sein Herz und der Knoten in ihrem Bauch zog sich noch fester. Dennoch merkte sie, wie er langsam seinen Kopf gegen den ihren sinken ließ und bebend seinen Atem ausstieß. Er kitzelte etwas in ihrem Haar. „Ich kann dir nicht so genau sagen, wieso, Ella. Nur, dass es irgendwie nie anders war. Ich hab darüber nachgedacht. Ich denke, es hat sich über die Jahre nur verstärkt. Vielleicht, weil ich immer versuche, dieses Gefühl abzutun. Ich weiß es nicht."

„Hm m. Das ist Blödsinn." Ein Seufzen stieg aus seiner Kehle auf und sie drückte ihn reflexartig noch näher an sich. „Ich kann mir vorstellen, dass du dich wegen deiner Unfruchtbarkeit so gefühlt hast. Aber daran konntest du nicht rütteln."

„Nein." Die Wehmut in seiner Stimme bohrte sich in sie wie ein glühender Dolch, der gerade über der Hitze der Esse geschmiedet worden war. Instinktiv gruben sich ihre Nägel tiefer in seinen Rücken und sie hörte, wie er zittrig einatmete. „Du hast recht. Daran gab es nichts zu rütteln. Aber an diesem Abend habe ich begriffen, dass es nicht das erste Mal war, dass ich mich nutzlos gefühlt habe. Ich glaube, dass ich nicht nur deswegen an meiner Männlichkeit gezweifelt habe, weil ich keine Kinder zeugen kann. Ich denke, das war vorher schon so. Aber da bin ich mir nicht sicher."

Während Ella sich zurückbeugte, um ihm ins Gesicht sehen zu können, strichen ihre Hände zu seinen Schultern. Ben wirkte entrückt und sein Blick ging ins Leere, ehe ein spürbarer Schauer über ihn lief. Er fixierte sie wieder und setzte ein hilfloses Lächeln auf, das ihr beinahe die Luft raubte. „Wie?"

„Ich erklär es dir, ok? Lass uns unseren Kaffee nehmen und wieder ins Wohnzimmer gehen." Sie nickte, bevor sie es verhindern konnte, doch sie löste sich nur zögerlich von ihm. Zu gut hatte seine Wärme getan. Dennoch fügte sie sich seinem Wunsch, da sie nur zu gut verstand, dass innere Unruhe sich mit etwas Bewegung in Schach halten ließ. Und wenn es nur der Gang zwischen Küche und Wohnzimmer ist.

Sie trat von einem Fuß auf den anderen, während Ben sich Zucker in seinen Kaffee löffelte und ihn umrührte. Doch sie schwieg und ließ ihm die Gelegenheit, sich etwas zu fangen. Als er sich abwandte und Richtung Wohnbereich ging, bemerkte sie, dass seine Bewegungen steifer als sonst waren und erneut schluckte sie trocken. Wie viel es ihr bedeutete, dass er sich zwang, ihr seinen empfindsamsten Punkt zu öffnen, konnte sie nicht in Worte fassen. Doch ich kann ihm zeigen, dass es ok ist. So wie er es bei mir immer macht.

Sie folgte ihm langsam und ließ sich neben ihm auf sein Sofa fallen, während er gedankenverloren auf den Weihnachtsbaum starrte. Erst jetzt bemerkte sie, wie sich das Licht an seiner Haut brach, welchen Schimmer es über ihm ausschüttete und sie schluckte, als ihr Herz erneut zu rasen begann.

Eine leise Erkenntnis stieg in ihr auf und wollte ihr den Atem nehmen, doch dann seufzte Ben. „Ich muss weiter ausholen, ich hoffe, das ist ok."

„Ist es...", entfuhr ihr und sie atmete erleichtert aus, als sich ein Funken Belustigung in seine Augen schlich. Aber er verglomm sofort wieder und hinterließ das Gefühl des Verlustes in ihr. Ben trank einen Schluck seines Heißgetränkes und nahm dann ihre Hand in seine.

„Mein Erzeuger ist abgehauen, nachdem meine Mutter schwanger geworden ist. Zumindest denke ich das. Denn sie hat nie viel von ihm geredet. Es gab immer nur uns zwei." Sein Blick ging wieder ins Leere und sie strich ihm sachte über seinen Handrücken. Sofort wurde er klar und sie stieß den angehaltenen Atem aus.

Es lag so viel Kummer in seinen Augen und sie merkte, wie sich ein Knoten nach dem anderen in ihren Eingeweiden bildete. Doch sie zurrten sich überraschenderweise nicht fest. Denn Ben räusperte sich und zog sie etwas näher. Seine Wärme strahlte jetzt zu ihr aus und verhinderte, dass sich die Schlingen zuzogen. „Hab ich dir je erzählt, wie ich aufgewachsen bin? Warum es mir so wehgetan hat, dass ich zu spät erkannt habe, dass meine Mutter Hilfe braucht?"

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Rainbow Clouds - Weil Sonne und Regen sich vereinenWhere stories live. Discover now