zwei

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Wir beeilen uns mit dem Frühstück und machen uns dann auf den Weg zur Schule. Es ist ein Segen, dass Theo seit kurzem achtzehn ist und mich seitdem mit dem Auto mitnehmen kann. Davor kamen wir nur mit dem Rad und dem Bus zur Schule im Nachbarort, was fast eine Stunde gedauert hat.

„In der Pause kommst du heute zu uns.", ordnet mein Bruder an. „Und du kannst mir jederzeit schreiben, wenn ich dich nach Hause bringen soll."

Ich verdrehe die Augen. „Schreiben kann ich machen. In der Pause zu euch – nein danke."

Theo seufzt auf. „Stell dich nicht so an. Ich will auf dich achten. Stell dir vor, in der Pause passiert was, und ich bin nicht da."

Wahrscheinlich hat er Recht. Wenn im Unterricht ein Anfall kommen sollte, wäre das zwar sehr unangenehm, aber wenigstens wäre ein Lehrer da. Wenn ich einen Anfall bekommen sollte, während ich mich wie immer in der Pause allein auf dem Klo verbarrikadiert habe, wäre das ziemlich ungünstig. „Na gut.", sage ich widerwillig.

Theo parkt sein Auto auf dem Schulparkplatz. Er streicht mir kurz über die Schulter und lächelt ermutigend. „Das wird schon."

Ich nicke, auch wenn ich mich absolut nicht besser fühle als zuvor. „Ja, bestimmt.", antworte ich bemüht zuversichtlich.

Mein Bruder und ich machen uns auf den Weg ins Schulgebäude zu unseren Schließfächern. Unterwegs wird Theo von einem Mädchen abgefangen, deren Namen ich vergessen habe – Tessa? Tina? Theo hat ständig irgendwelche neuen Anwärterinnen und ich habe völlig den Überblick verloren. Auch sie tut mir jetzt schon ein bisschen leid, denn sie scheint sich wirklich große Mühe zu geben, ihm zu gefallen. Ihre langen, braun glänzenden Haare fallen ihr in Wellen über den Rücken, an den Theo jetzt eine Hand gelegt hat. Ich verziehe das Gesicht und gehe weiter in Richtung meines Schließfaches.

In diesem Moment taucht ausgerechnet Josh neben mir auf. „Na, Streberin? Wie geht's?"

Ich verdrehe die Augen. „Ganz gut. Und dir?" Ich bleibe neben meinem Schließfach stehen, öffne es und starre konzentriert hinein, nur um Josh nicht allzu viel Aufmerksamkeit schenken zu müssen.

„Auch sehr gut." Josh deutet in die Richtung von Theo und dem Mädchen. „Also, wenn dein Bruder so weiter macht, hat er bald die 50 geknackt."

Ich verziehe das Gesicht. „So genau will ich gar nicht über das Sexleben meines Bruders Bescheid wissen.", erwidere ich angeekelt und versuche, in meinem Kopf keine unangebrachten Bilder entstehen zu lassen.

Josh erzählt unbeeindruckt weiter. „Ich glaube, sie ist gerade Nummer 46. Womit er eine mehr hat als ich, ich bin bei 45. Ich sollte mich also ranhalten, wenn ich die Wette gewinnen will."

Ich wende mich ihm zu. „Ihr... wettet darum? Wer zuerst die 50 hat?", frage ich angewidert. Dass die beiden mit einer Menge Mädchen schlafen und sie dabei auch ziemlich verarschen, ist mir nicht neu. Aber dass sie tatsächlich eine Wette am Laufen haben, hätte ich von meinem Bruder nicht erwartet.

Josh zuckt gleichgültig mit den Schultern und lacht. „Ja. Reg dich ab, Kleine, das ist doch kein Verbrechen."

„Das ist abscheulich.", murmele ich, während ich meine Bücher für die ersten beiden Stunden aus dem Schließfach hole.

„Na ja, immerhin haben wir überhaupt ein Sexleben. Im Gegensatz zu dir, nehme ich an. Oder? Du bist doch sicher noch Jungfrau."

Ich atme kurz durch, um mich etwas zu beruhigen, damit nicht gleich meine Hand in seinem Gesicht landet. Dann wende ich mich ihm zu und funkele ihn wütend an. „Du, Josh Winter, bist wirklich der letzte, den das auch nur irgendetwas angehen würde."

Joshs Grinsen weicht nicht aus seinem Gesicht und meine kühle Stimme scheint wenig Einfluss auf ihn zu haben. Stattdessen legt er seine Hand an meinen Nacken und nähert sich mir, bis seine Lippen nur Zentimeter von meinem Ohr entfernt sind. „Ach ja? Interessieren würde es mich aber schon.", haucht er. Seine Finger streichen leicht über meinen Nacken. Ich kann nicht verhindern, dass sie ein angenehmes Kribbeln hinterlassen.

Mit einem Ruck löse ich mich von ihm und knalle lautstark die Tür meines Schließfaches zu. „Ich muss los.", sage ich und mache mich mit schnellen Schritten auf dem Weg zum Klassenraum.

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