sieben

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Der nächste Tag vergeht etwas besser. Ich fühle mich zwar schlapp, aber fit genug, um wieder zur Schule zu gehen. Nachdem ich gestern schon so viel verpasst habe, will ich mir das heute nicht schon wieder erlauben. In der Schule entgehen mir jedoch nicht die Blicke, die immer wieder auf mir liegen. Offenbar habe ich wohl gestern doch einiges an Aufsehen erregt. Ich versuche, das zu ignorieren, doch natürlich verunsichert es mich.

Der Schultag ist zwar anstrengend, doch ich bringe ihn einigermaßen glimpflich hinter mich. Nachmittags sitze ich gerade an meinen Hausaufgaben, als Theo in mein Zimmer kommt und sich auf mein Bett fallen lässt.

„Man kann auch mal klopfen.", merke ich an.

Theo grinst. „Ja, ja. Na, bist du am Lernen?"

„Hausaufgaben.", antworte ich nur. „Aber fast fertig. Was gibt es denn?"

„Darf man nicht einfach mal seine kleine Schwester besuchen?", fragt Theo gespielt empört.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. „Das nehme ich dir nicht ab, dass du mich nur mal besuchen wolltest."

„Hast ja Recht.", gibt Theo zu. „Ich wollte nur nochmal sicher gehen, dass mit heute Abend alles in Ordnung geht. Mama und Papa sind ja nicht da und ich hatte die Jungs eingeladen, um das Champions-League-Finale zu sehen. Aber wenn dir das zu stressig oder zu laut ist, dann kann ich das auch vollkommen..."

„Auf keinen Fall.", unterbreche ich ihn. „Das ist wirklich in Ordnung." Auch wenn ich mich nicht unbedingt auf Theos Freunde freue, ist mir gestern wieder einmal klar geworden, wie oft Theo für mich verzichten muss.

Unsicher schaut mein Bruder mich an. „Sicher?"

Ich nicke bestimmt. Theo springt auf und wuschelt mir durch die Haare. „Danke, Schwesterchen. Du darfst auch gerne dabei sein. Ich habe eine Menge Getränke und Snacks gekauft."

„Mhm. Mal gucken.", sage ich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass mir wirklich danach ist, mit einer Horde Jungs Fußball zu schauen – dafür müsste meine Verzweiflung schon sehr groß sein

Der Abend kommt leider schneller als erwartet. Schon um 18 Uhr ist von unten das Gegröle der Jungs zu hören. Ich hatte leider nicht eingeplant, dass dieses Finale so früh los geht. Leider habe ich auch noch nichts zu Abend gegessen und muss mindestens dafür noch einmal nach unten in die Küche. Die ganze Zeit versuche ich zu lauschen, wann ein guter Zeitpunkt dafür ist. Irgendwann scheint es so, als würde die Jungs alle im Wohnzimmer sitzen und ich laufe lautlos die Treppe herunter. So, wie ich gerade aussehe, sollte mich wirklich niemand zu sehen bekommen. Ich trage einen ausgewaschenen, locker sitzenden Pullover ohne BH und dazu meine Schlafshorts, die ganz schön kurz ist und die ich so im Alltag nie tragen würde.

In der Küche schmiere ich mir ein Brötchen und will es gerade mit nach oben in mein Zimmer nehmen, als jemand die Küche betritt. Dieser jemand ist ausgerechnet Josh. Er lächelt mich schief an, bevor sein Blick demonstrativ langsam meinen Körper hinabwandert. Seine linke Augenbraue zuckt kurz auf eine Art, die ich nicht deuten kann. Unter seinem Blick wird mir warm und ich stelle meinen Teller wieder auf der Arbeitsfläche ab.

„Hey.", sagt er betont lässig und läuft auf mich zu.

„Hi.", bringe ich krächzend hervor. Direkt vor mir bleibt Josh stehen. Der Abstand zwischen uns ist viel zu klein, doch trotzdem schaffe ich es nicht, zurückzuweichen. Nur Zentimeter trennen unsere Körper voneinander.

„Ich wollte eigentlich nur ein Bier holen.", sagt Josh und legt den Kopf schief, ohne seinen Blick von meinem zu lösen.

Ich schlucke. Was ist bloß in mich gefahren? Ich kann Josh noch nicht einmal leiden, doch trotzdem vergesse ich in seiner Gegenwart, wie man sich normal benimmt. „Ist im Kühlschrank.", antworte ich.

„Ich mag dein Outfit.", sagt Josh, während er mich noch ein weiteres Mal von oben bis unten mustert. Ich lache kurz auf. „Im Ernst?" Auch, wenn ich nicht wirklich eine Modeexpertin bin, laufe ich normalerweise wirklich besser angezogen herum, als es jetzt gerade in meinem Schlabberlook der Fall ist.

Josh schmunzelt, wobei seine grünen Augen zu funkeln scheinen. Ich weiß nicht, warum mir seine schöne Augenfarbe noch nie aufgefallen ist – vielleicht weil ich ihm noch nie so nah war wie in diesem Moment. Jetzt erinnert sie mich jedenfalls an einen nassen, moosigen Waldboden.

„Ja. Im Ernst.", antwortet er leise. Seine Hand legt sich an meine Wange und ich kann nicht anders, als für eine Sekunde die Augen zu schließen. Auch wenn alles hieran falsch ist, fühlt es sich kurz richtig an.

Josh dreht uns ein bisschen, sodass ich mit dem Rücken an der Arbeitsfläche stehe, vor mir Josh, sodass ich keine Chance habe, zu entkommen. Ich schlucke hörbar. Warum fühlt es sich so... gut an, ihm so nah zu sein?

Joshs Finger wandern von meiner Wange langsam über meinen Hals, bis hinunter zu meinem Schlüsselbein und bleiben schließlich an meinem Nacken liegen. Sie hinterlassen eine brennend heiße Spur. Ich bin mir sicher, dass er spüren kann, wie mein Herz rast.

„Du bist echt hübsch, Malu.", sagt er leise. Seine Stimme klingt rauer und tiefer als sonst. Ich kann nichts erwidern. „Ich könnte dich jetzt küssen, wenn ich wollte."

Diese Worte sind für mich endlich das Signal, mich von ihm zu entfernen und wieder klar denken zu können. „Träum weiter.", stelle ich klar. „Du bist nicht halb so verführerisch wie du denkst."

Er grinst spöttisch. „Ach, nicht?" Mit diesen Worten öffnet er den Kühlschrank und holt sich ein Bier heraus. Wir wissen beide, dass er gewonnen hat. Ich mache mich endlich mit meinem Abendbrot auf den Weg in mein Zimmer. Dort muss ich erst einmal durchatmen.

Was ist nur los mit mir? Sind das noch die Nachwirkungen des Anfalls gestern, dass ich nicht klar denken kann? Jahrelang, bis zum heutigen Tag, habe ich Josh verabscheut. Ich habe den Kopf geschüttelt über all die Mädchen, die etwas mit ihm angefangen haben. Und jetzt werde ich selbst schwach. Mit einem Mal wundert es mich nicht mehr, dass er sie alle rumbekommt - irgendetwas hat er an sich, irgendeinen Charme, den ich nicht ganz erklären kann. Und natürlich sein verboten gutes Aussehen. Vermutlich hat Josh sogar Recht und er hätte mich vorhin einfach küssen können. Ein Glück, dass ich aus der Situation entkommen bin. Beinahe hätte ich meinen ersten Kuss an so einen Idioten verschenkt.

Plötzlich fällt mir auch wieder ein, dass ich eigentlich sauer auf Theo war. Diese blöde Wette, die er mit Josh am Laufen hat. So etwas Primitives. Das ganze Thema ist durch die Aufruhr gestern völlig untergegangen und natürlich war ich Theo gestern vor allem dankbar für seine Hilfe und Anwesenheit. Trotzdem nehme ich mir vor, ihn irgendwann noch darauf anzusprechen.

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