fünfzehn

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Malus Perspektive

Ich nutze den Spaziergang nach Hause, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen und zu einem normalen Menschen zu werden. Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals einen Menschen so nah an mich heran lassen könnte, und schon gar nicht Josh. Doch ich habe mich wohl gefühlt bei ihm. Ich hatte weder Angst noch ein Schamgefühl. Alles, was passiert ist, hat sich irgendwie richtig und natürlich angefühlt - und vor allem verdammt gut.

Zu Hause angekommen versuche ich, nicht zu viel Aufsehen zu erregen, was mir natürlich nicht gelingt. „Na, wo warst du?", fragt Mama sofort, nachdem ich in die Küche gegangen bin, wo sie gerade das Abendessen vorbereitet.

„Bei meiner Projektgruppe in Chemie.", tische ich ihr, ohne zu zögern die Lüge auf, die ich schon vorbereitet habe. Mama scheint mir das auch abzukaufen – Theo dagegen nicht. Er sitzt am Küchentisch und schaut mich grinsend mit hochgezogenen Augenbrauen an.

„Mhm, Projektgruppe, ne ist klar.", sagt er spöttisch. „Ich glaube dir kein Wort."

Ich zucke mit den Schultern. „Tja, ist aber so.", sage ich.

„Worum geht es denn in eurem... Projekt?", fragt er. „Menschliche Chemie?"

Konzentriert decke ich den Tisch, um ihn bloß nicht anschauen zu müssen. „Nein. Um Biolumineszenz.", sage ich. Tatsächlich haben wir das gerade als Referatsthema in Chemie, von daher ist es gar nicht so ganz gelogen, nur ein bisschen.

„Gib es schon zu, Malu.", sagt Theo. „Du hattest ein Date. Ich kann es dir ansehen."

Mein Gesicht läuft rot an, was Theos Vermutung natürlich nur bestätigt. Trotzdem schüttele ich den Kopf. „Hatte ich gar nicht!"

„Sag schon, wer war es?", will Theo wissen.

Mama stellt einen dampfenden Topf auf den Tisch. „Lassen wir Malu ihre Privatsphäre.", sagt sie. Sie scheint mir das Projekttreffen also ebenfalls nicht länger abzukaufen. „Ich freue mich, dass du dich auch endlich mal mit Jungs triffst."

Mein Protest ist natürlich völlig zwecklos.

Das Wochenende verbringe ich hauptsächlich mit meinen Lernsachen zu Hause. Nächste Woche stehen schon die ersten beiden Klausuren an, und dann auch noch ausgerechnet Latein und Biologie. Beides sind Fächer, für die ich ziemlich viel lernen muss. Am Samstag spreche ich dann beim Mittagessen, als die Familie ausnahmsweise mal komplett ist, endlich das Thema Party an.

„Übrigens feiert Jonathan in zwei Wochen seinen Achtzehnten.", sage ich betont beiläufig. „Und er hat mich eingeladen."

„Oh.", macht Mama überrascht. „Das ist ja... schön."

„Ja." Ich nicke. „Na ja, also, ich würde eigentlich gerne hingehen."

Kurz sagt niemand etwas, dann blickt Papa mich an. „Malu, ich weiß nicht... Eine Party bei Jonathan? Ich glaube nicht, dass es da besonders ruhig zugeht. Du weißt selbst, dass das kritisch werden könnte bei deiner aktuellen Gesundheit."

„Ich weiß.", sage ich. „Aber ich denke, es wird funktionieren. Ich würde auf mich aufpassen."

Mama und Papa wechseln einen Blick. „Wie geht es dir denn eigentlich jetzt mit deinen Medikamenten?", fragt Papa nach.

Ich zucke mit den Schultern. „Na, ganz gut. Ich merke relativ wenig von den Nebenwirkungen und Anfallsgefühle hatte ich seitdem nicht mehr."

„Das ist schonmal gut.", sagt Papa.

„Also, prinzipiell finde ich es super, dass du mal ein bisschen rauskommst.", mischt Mama sich jetzt ein. „Ich finde ohnehin, dass es dir nicht schaden würde, mal ein paar Sachen zu unternehmen, die nichts direkt mit der Schule zu tun haben. Aber direkt eine Party?"

Ich seufze genervt auf. „Nicht schon wieder die Diskussion." Schon viel zu oft haben wir über das Thema Hobbys gesprochen. Ich dachte jedoch, dass meine Eltern mittlerweile akzeptiert hätten, dass ich eher eine Stubenhockerin bin und auch nicht wirklich das Bedürfnis habe, daran etwas zu ändern.

„Oh doch.", sagt Mama. „Wie wäre es denn mal mit einem Hobby? Theo geht zum Handball. Käme so etwas für dich auch in Frage?"

Genervt kaue ich auf dem Auflauf herum. Mama ist schon lange der Meinung, dass ich unbedingt eigene Freund:innen oder ein Hobby brauche. Ich habe schon etliche Male versucht, ihr zu erklären, dass ich hier keine Freund:innen mehr finden werde, weil ich für immer den Stempel der kranken Streberin drauf habe, aber das wird sie wohl nie verstehen. „Du weißt, dass Sport nichts für mich ist.", sage ich.

„Es muss ja nicht gleich Sport sein.", sagt Mama. „Du könntest auch was Musikalisches oder Künstlerisches machen."

„Wie wäre es mit einem Kompromiss.", schlägt Papa vor. „Du suchst dir ein Hobby, zu dem du wenigstens drei Wochen lang hingehst. Und dafür lassen wir dich zu der Party gehen – unter bestimmten Bedingungen."

„Und was wären das für Bedingungen?", frage ich nach kurzem Zögern.

„Kein Alkohol.", sagt Papa. „Keine sonstigen Drogen. Ihr kümmert euch darum, dass Jonathan kein Strobo-Licht installiert. Spätestens um eins bist du zu Hause. Und Theo hat zwischendurch ein Auge auf dich."

Theo sieht zwar nicht unbedingt begeistert aus, nickt aber.

„Na gut.", sage ich nach kurzem Überlegen. Papas Bedingungen klingen für mich nachvollziehbar und machbar. Und dreimal zu irgendeiner Freizeitaktivität hinzugehen, werde ich schon schaffen.

Am Montag in den ersten beiden Stunden schreibe ich Bio. Die Klausur läuft ziemlich gut und ich bin froh, sie hinter mir zu haben. Zufrieden gebe ich ab und mache mich dann auf den Weg nach draußen in die Pause.

Mittlerweile stelle ich mich, ohne groß darüber nachzudenken, zu Theo und seinen Freunden. Theo scheint sich sogar darüber zu freuen. Es ist das erste Mal seit Freitag, dass ich Josh wiedersehe. Unsere Blicke treffen sich, doch ich versuche, ihn nicht zu lange anzuschauen und mir bloß nichts anmerken zu lassen. Trotzdem wird mir durch seine bloße Gegenwart warm.

„Wie lief die Klausur?", erkundigt sich Theo.

„Gut.", antworte ich. „Besser als erwartet."

„Was hast du geschrieben?", fragt Josh. Ich wende meinen Blick ihm zu.

„Ähm, Bio.", sage ich. Josh nickt langsam. Man sieht, dass er ein Grinsen unterdrückt. Er scheint genau zu wissen, wie nervös er mich durch seine bloße Präsenz macht. Ich versuche, nicht zu viel über unsere Verabredung am Nachmittag nachzudenken und was dort möglicherweise passieren wird. Irgendwie muss ich ja noch den Rest des Schultages überstehen. 

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