siebzehn

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Zum Glück ist selbst, als ich nach Hause komme, niemand da, von daher bleibt mein Besuch bei Josh völlig unbemerkt. Den Rest des Tages verbringe ich damit, mich auf die Lateinklausur in ein paar Tagen vorzubereiten und mich mit der Frage auseinanderzusetzen, welchem Hobby ich drei Wochen lang nachgehen soll. Sport schließe ich von Anfang an aus - da habe ich schon etliches versucht, aber ich bin einfach keine Sportskanone. Besonders musikalisch bin ich leider auch nicht, zumindest habe ich nie ein Instrument gelernt. Schließlich komme ich zu dem Ergebnis, dass die Kunst-AG an unserer Schule wahrscheinlich am besten für mich geeignet ist. Kunst mag ich eigentlich ganz gerne, auch wenn ich mich in meiner Freizeit selten damit auseinandersetze und mir nie die Zeit nehme, selber etwas zu zeichnen oder zu malen. Die AG findet immer dienstags nach der sechsten Stunde statt - also schon morgen. Ich versuche, nicht zu viel darüber nachzudenken. Ich bin wirklich nicht gut darin, neue Gruppen von Menschen kennenzulernen.

Ich berichte erst einmal niemandem von meinen Plänen, zu der AG zu gehen, denn dann würde ich nur noch aufgeregter werden. Stattdessen teile ich Theo in der Schule nur knapp mit, dass er nicht auf mich warten muss, und lasse ihn etwas verwirrt zurück. Nach der sechsten Stunde mache ich mich dann auf den Weg zum Kunstraum.

Ein paar Leute stehen schon davor, die ich zum Teil vom Sehen kenne. Aus meiner Stufe ist ein weiteres Mädchen dabei. Unsicher stelle ich mich zu der Gruppe dazu.

„Hey!", sagt Emma, das Mädchen, das in meine Stufe geht. „Bist du auch hier für die Kunst-AG?"

Ich nicke. „Ja. Ich dachte, ich schaue mir das mal an."

Emma lächelt. „Gute Entscheidung." Ich hatte bisher wenig mit ihr zu tun - wir haben nur zwei Kurse gemeinsam und hatten in diesen wenige Berührungspunkte. Doch ich schätze sie ganz nett ein. In den Pausen ist sie meistens bei Leuten aus der Stufe über uns und hat, soweit ich weiß, mit wenigen Menschen aus unserer Stufe etwas zu tun.

In diesem Moment taucht Frau Meier auf, eine Kunstlehrerin, die offenbar die AG leitet. Siedend heiß fällt mir ein, dass sie es war, die neulich den Rettungswagen gerufen hat. Peinlich berührt lächele ich sie an. Sie lässt sich jedoch nichts anmerken. „Wie schön, ein neues Gesicht!", sagt sie erfreut. „Malu, richtig?"

Ich nicke. „Genau." Frau Meier schließt die Tür auf und wir gehen in den Raum hinein. „Also, Malu.", beginnt sie zu erzählen. „Was wir hier machen, ist im Prinzip freies Arbeiten unter Anleitung. Das, wofür im Kunstunterricht leider oft keine Zeit ist. Du darfst also alles machen, wonach dir der Kopf steht. Die Materialien, die hier sind, darfst du alle verwenden. Wenn du mal größere Projekte vorhast und besondere Sachen brauchst, zum Beispiel eine Leinwand, bringst du die besser selbst mit."

Ich nicke, dann setze ich mich zu Emma an den Tisch. Sie packt gerade ihren Block aus. „Ich zeichne meistens.", sagt sie und schlägt eine Seite auf. Überrascht schaue ich sie an. „Wow... Das ist der Hammer."

Emma lächelt bescheiden. „Danke schön." Auf ihrem Block ist das Porträt einer Person zu sehen, deren Gesicht übersät mit Blüten ist. Es sieht wirklich beeindruckend aus.

Mir liegt Zeichnen wahrscheinlich auch am meisten und so fange ich einfach an, ohne mir viele Gedanken zu machen. Ich male eine Berglandschaft, die sich irgendwie in meinem Kopf ergibt. Die meiste Zeit ist es ziemlich still hier, was eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Nur hin und wieder gibt Frau Meier einem von uns Tipps. Ich mache mir gar keine Gedanken mehr darüber, was irgendwer von mir denken könnte, sondern zeichne einfach vor mich hin. Die Stunde vergeht im Flug. Danach packen wir zusammen und ich beschließe, einfach nächste Woche damit fortzufahren.

„Du bist aber auch nicht schlecht.", sagt Emma auf dem Weg nach draußen zu mir.

„Danke.", antworte ich lächelnd. „Es hat echt Spaß gemacht, muss ich sagen."

Sie nickt. „Irgendwie finde ich es auch immer super entspannend. Ich mag die Ruhe, und dass man sich einfach mal gemeinsam die Zeit für Kunst nimmt, ohne irgendwelche Vorgaben dabei zu haben."

Sie hat Recht. Mir geht es besser als davor, mein Kopf fühlt sich irgendwie freier an. Ich bin froh, da gewesen zu sein - drei Wochen werde ich locker durchhalten, vielleicht werde ich auch noch öfter hingehen. Auch meine Eltern freuen sich, als ich ihnen berichte, dass ich dort war. Und sie geben mir das endgültige Okay, zu Jonathans Party zu gehen.

***

In den nächsten beiden Wochen treffen Josh und ich uns noch ein paar Mal heimlich. Zum Glück geht das bei ihm relativ unkompliziert, da er fast immer allein zu Hause ist. Nur mir gehen langsam die Ausreden aus. Theo ist sich ohnehin sicher, dass ich mich heimlich mit jemanden treffe - nur um wen es sich handelt, werde ich ihm niemals sagen, da kann er noch so viel nachbohren. Ich glaube jedoch, dass er nicht ansatzweise daran denkt, dass es Josh sein könnte. Kein Wunder, vor einigen Wochen wäre mir das selbst noch ziemlich abwegig vorgekommen.

Als der Tag von Jonathans Party kommt, bin ich schon ziemlich aufgeregt, aber auf eine positive Art. Ich nehme mir vorher ausreichend Zeit, um mich fertig zu machen. Ich habe keine Ahnung, was man so anzieht, und frage meinen Bruder um Rat. „Also ich hätte einmal dieses Kleid, oder dieses Kleid, oder diese Hose mit einem Top.", präsentiere ich ihm meine Auswahl. Das schwarze Kleid, das ich ihm zeige, habe ich mir irgendwann gekauft und habe es noch nie getragen. Es ist eng anliegend und hat einen weiten Rückenausschnitt. Theo beäugt es kritisch. „Ist ein bisschen kurz, meinst du nicht?"

Ich grinse. „Dann nehme ich es." Mein Bruder hätte wahrscheinlich am liebsten, dass ich mich als Nonne verkleide. Außerdem ist sein Verständnis, wenn es um die Länge von Klamotten geht, ein völlig anderes. Das passt zu seiner übervorsichtigen Art. Ich ziehe das Kleid an und betrachte mich im Spiegel. Mir gefällt es ziemlich gut. Es hebt an den richtigen Stellen meine Kurven hervor, zeigt aber auch nicht zu viel. Anschließend schminke ich mich noch etwas, was sehr ungewohnt für mich ist. Meine Haare trage ich offen - ebenfalls eine Seltenheit.

Als ich die Treppe herunter gehe, schaut Theo mich anerkennend an. „Du siehst echt gut aus.", sagt er. Ich lächele. „Danke."

controlWhere stories live. Discover now