zehn

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Ich bleibe bis Dienstag im Krankenhaus. Die nächsten Tage werden ein paar weitere Untersuchungen und Tests gemacht, mit dem Ergebnis, dass ein weiteres Medikament auf das Maximum erhöht wird. Die Ärztin sagt, dass danach nicht mehr viel rausgeholt werden kann. Entweder funktioniert es jetzt mit dieser Dosis, oder ich muss irgendwie mit den Anfällen leben. Ich versuche, optimistisch zu bleiben.

Ich bin erleichtert, als ich am Dienstag endlich wieder nach Hause kann. Ich hasse es, Zeit im Krankenhaus zu verbringen. Das ist einfach nur verschwendete Lebenszeit und spätestens nach zwei Tagen ist mir immer total langweilig - auch wenn meine Familie sich die größte Mühe gibt, irgendwie für meine Unterhaltung zu sorgen. Die Narbe auf meiner Stirn sieht schrecklich aus. Theo bezeichnet sie als „Harry-Potter-Narbe", vermutlich um mich irgendwie aufzumuntern. Meiner Meinung nach hat sie jedoch nicht besonders viel Ähnlichkeit mit der Narbe von Harry Potter. Ich hoffe, dass sie mit der Zeit gut abheilt und nicht mehr so sichtbar ist wie jetzt gerade. Vorerst ziert jedoch ohnehin noch ein großes, weißes Pflaster meine Stirn.

Am Mittwoch gehe ich dann wieder zur Schule. Die Klausurenphase steht kurz bevor, von daher ist es leider unvermeidbar, dass ich mich wieder am Unterricht beteilige und versuche, all das nachzuholen, was ich in der letzten Woche verpasst habe.

In der ersten Stunde habe ich Musik, was eins meiner Lieblingsfächer ist und Gott sei Dank ziemlich schnell vorbei geht. In der zweiten Stunde dann Mathe, was ich eigentlich auch ganz gerne mag. „Guten Morgen, Malu.", begrüßt mein Mathelehrer mich, als ich den Raum betrete.

„Morgen.", antworte ich und will gerade zu meinem Platz gehen, als er mich kurz aufhält.

„Wie geht es dir? Du warst wieder im Krankenhaus, habe ich gehört?"

Ich nicke. „Leider ja. Aber mir geht es wieder ganz gut." Ich deute auf das Pflaster auf meiner Stirn. „Das ist nicht so schlimm, wie es aussieht."

Herr Müller lächelt. „Das beruhigt mich. Wenn du etwas brauchst oder beim Unterrichtsstoff nicht mitkommst, sag einfach Bescheid. Das bekommen wir schon hin."

„Danke.", antworte ich lächelnd, bevor ich mich auf meinen Platz in der vorletzten Reihe setze und meine Bücher auspacke.

„Na, Streberin?", kommt es da von hinter mir. Ich drehe mich um. Louis schaut mich provokant an. Normalerweise bin ich in der Schule einfach nur relativ unauffällig. Ich gehöre zwar nicht zu den Beliebten, habe aber auch nicht viele Feinde. Louis ist eine Ausnahme. Er und seine Freunde nutzen jede Gelegenheit, um dumme Sprüche zu machen, bei denen es vor allem um mein Dasein als Streberin geht.

Ich antworte nicht, sondern wende mich wieder nach vorne.

„Direkt wieder eingeschleimt, was?", spricht er weiter. „Was hast du denn da auf der Stirn?"

Ich wünschte, ich wäre etwas schlagfertiger und mir würde in solchen Momenten eine gute Antwort einfallen. Leider ist das selten der Fall. Stattdessen beschließe ich, dass es die beste Taktik ist, einfach weiter zu schweigen und ihn so gut wie möglich zu ignorieren.

„Nicht so gesprächig heute, was?", kommt es von Louis' Freund Magnus, der keinen Deut besser ist als Louis. „Schade. Dabei warst du eine Woche lang Thema Nummer eins in der Schule."

„Stimmt.", sagt Louis. „Konnte schließlich jeder deinen Anfall sehen. Sah ekelhaft aus, als wärst du besessen. Ist das eigentlich was Psychisches? Ich meine, hast du einen Knacks oder so?"

Gelächter ertönt aus der letzten Reihe. Mir steigt die Röte ins Gesicht und Tränen brennen in meinen Augen. Ich beiße mir auf die Unterlippe, um nicht zu weinen – das wäre das Einzige, was die Situation noch schlimmer machen könnte. Gott sei Dank beginnt Herr Müller jetzt den Unterricht, sodass die Jungs erst einmal Ruhe geben.

Ich versuche, die Worte von gerade zu vergessen und konzentriere mich auf den Unterricht. In der letzten Woche scheine ich nicht allzu viel verpasst zu haben, ich komme immer noch gut mit. Außerdem lenkt der Unterricht mich ein bisschen von meinen Gedanken ab.

Als es zur Pause klingelt, verlasse ich fluchtartig den Klassenraum und eile zu meinem Schließfach. Ich will jeglichen Kontakt mit Louis, Magnus und ihren Mitläufern vermeiden, was mir Gott sei Dank auch gelingt. Nachdem ich meine Bücher verstaut habe, mache ich mich auf den Weg zur Toilette. Mich dort zu verbarrikadieren, erscheint mir gerade als die beste Lösung – dort kann ich wenigstens kurz für mich sein, muss mit niemandem reden und falle auch meinem Bruder nicht zur Last.

Unglücklicherweise kommt mir auf dem Weg in Richtung des Schulklos ausgerechnet Josh entgegen und stellt sich mir in den Weg. „Malu! Du bist wieder da."

Ich schaue ihn nicht an, sondern nicke nur flüchtig. „Ja, bin ich."

„Wohin gehst du? Komm doch mit raus."

„Äh... Nur kurz zur Toilette.", murmele ich.

Josh seufzt. „Kurz, na klar. Wahrscheinlich willst du dort wieder die ganze Pause verbringen, habe ich Recht?"

Ich sage nichts, doch mein rot anlaufendes Gesicht ist vermutlich Antwort genug. Josh lacht leise. „Komm doch mit raus.", sagt er wieder.

Ich seufze schwer auf. „Na gut. Aber ich will euch nicht nerven oder so." Jetzt schaue ich ihn zum ersten Mal an. Seine Augen funkeln.

„Das tust du nicht. Süßes Pflaster, übrigens." Sein Zeigefinger streicht über den Rand meines Stirnpflasters. Für einen Moment verhaken sich unsere Blicke, dann schaue ich schnell weg, bevor ich endgültig die Fassung verliere.

Ich schüttele den Kopf. „Das würde ich nicht behaupten." Ich hoffe, dass Josh nicht sieht, wie ich schon wieder rot werde. Wie schafft er es nur, mich so aus der Fassung zu bringen?

controlWhere stories live. Discover now