siebenundvierzig

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"Lass uns reingehen." Jonathan legt seine Hand an meinen Rücken und schiebt mich entschieden ins Haus. Er scheint zu merken, dass ich sonst wahrscheinlich noch eine Weile wie angewurzelt und maximal überfordert hier stehen würde.

Ich bin froh, dass Josh mich nicht gesehen hat. Ich hätte es nicht ertragen, ihm jetzt in die Augen zu blicken, während ein anderes Mädchen auf seinem Schoß sitzt. Trotzdem hat sich das Bild auf meine Netzhaut eingebrannt, wo es mit Sicherheit auch noch eine Weile bleiben wird.

"Willst du... eine Cola?", fragt Jonathan mich, als wir in der Küche sind. Unter anderen Umständen hätte er mir vermutlich ein Bier oder etwas Härteres angeboten - aber eine Cola ist jetzt auch nicht schlecht.

Ich nicke. "Ja, gerne."

Jonathan füllt meinen Becher auf und schaut mich prüfend an. "Das tut mir Leid. Ist alles okay?"

"Mhm.", mache ich, was jedoch nur so halb überzeugend klingt. Gar nichts ist okay. Während ich vor ein paar Stunden noch wild entschlossen war, das ganze Drama mit Josh endlich hinter mir zu lassen, ist es jetzt gerade so schlimm wie schon lange nicht mehr.

In diesem Moment stößt Theo zu uns und legt uns jeweils eine Hand auf die Schulter. "Na, ihr zwei?" Auch er wirkt nicht mehr ganz nüchtern. Als er mein Gesicht sieht, wird er jedoch ernst. "Was ist los?"

Ich erwidere nichts, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Theo in diesem Moment nicht in der Lage ist, angebracht zu reagieren. Vielmehr habe ich die Befürchtung, dass er einen Wutausbruch bekommen und auf Josh losgehen könnte.

"Josh knutscht rum. Mit einer anderen.", antwortet Jonathan an meiner Stelle.

Theo gibt ein wütendes Knurren von sich und krallt seine Hand in meine Schulter - er scheint vergessen zu haben, dass ich es bin, die neben ihm steht, und nicht Josh. "So ein verdammter Idiot! Dass der nicht einmal das richtige tun kann, ehrlich."

Ich gehe wieder nicht darauf ein. Irgendwie bin ich das Thema gerade Leid. Auch wenn Josh permanent in meinem Kopf herumspukt, will ich nicht auch die ganze Zeit über ihn reden. "Ich gehe mal kurz auf die Toilette.", sage ich knapp und verziehe mich aus der Küche. Die Toilette scheint auf einer Party die einzige Möglichkeit zu sein, mal kurz ein paar Minuten für sich zu haben.

Unglücklicherweise habe ich keine Ahnung, wo sich die Toilette befindet und öffne erst einmal zwei falsche Türen, bis ich offenbar die richtige gefunden habe. Leider ist das Bad noch besetzt und ich lehne mich wartend gegen die Wand.

Als sich die Tür jedoch öffnet, wünsche ich mir, besser nicht gewartet zu haben. Ausgerechnet Josh kommt, leicht schwankend, in den Flur. Ich drücke mich gegen die Wand und kneife die Augen zu - vielleicht werde ich so ja unsichtbar. Nach dem Motto: Wenn ich ihn nicht sehe, kann er mich auch nicht sehen.

Mein Trick scheint leider nicht zu funktionieren. "Malu.", kommt es von Josh. Widerspenstig öffne ich die Augen. Josh steht unentschlossen vor mir. Sein Blick gleitet meinen Körper hinab, sodass mir gleichzeitig heiß und kalt wird. Ich schlucke.

"Du siehst... echt gut aus.", sagt er schließlich.

Ich schließe noch einmal kurz die Augen. Verdammt, wieso fühlen sich seine Worte immer noch so gut an, dass es beinahe weh tut?

"Sag so etwas nicht.", sage ich leise.

Josh steht noch ein Stück von mir entfernt. Obwohl wir uns nicht berühren, kommt es mir so vor, als würde seine Wärme bis zu mir reichen. "Ist aber die Wahrheit.", sagt er heiser. Plötzlich wirkt er fast nüchtern. Trotzdem bin ich mir sicher, dass er sich unter normalen Umständen nicht getraut hätte, so mit mir zu reden. Leider erfüllen seine Worte dennoch ihren Zweck und ein Schauer läuft mir über den Rücken. Ich habe beinahe vergessen, wie es ist, Josh so nah zu sein und so mit ihm zu sprechen.

Was ich jedoch nicht vergessen kann, ist wie er mich fallen gelassen hat, als es mir am schlechtesten ging und ich ihn am meisten gebraucht hätte. Und wie er gerade mit diesem Mädchen rumgemacht hat, als hätte es mich nie gegeben.

Ich richte mich etwas auf, um mir mehr Selbstbewusstsein zu verleihen. "Ich hab dich gerade mit diesem Mädchen gesehen.", kommt es kalt über meine Lippen. "Sie scheinst du auch echt gut zu finden."

Josh seufzt und legt kurz den Kopf in den Nacken. "Aber nicht so.", sagt er dann.

Ich ziehe die Augenbrauen hoch. "Wie denn?"

"Naja, du bist eben anders. Und sie ist nur..." Er macht eine wegwerfende Handbewegung. Ihm scheint kein passendes Wort einzufallen.

Ich schüttele den Kopf. "Ist auch egal. Ich wünsche dir jedenfalls noch viel... Spaß." Mit diesen Worten drehe ich mich Richtung Toilettentür, um dieses Gespräch endlich zu beenden. Josh umfasst mein Handgelenk - zwar nur federleicht, doch die Berührung allein reicht, um mich zum Erstarren zu bringen. Warum ist da nur diese verdammte Chemie zwischen uns?

"Du bist anders, weil ich dich liebe, Malu."

Mein Herz beginnt zu rasen - vor Freude, vor Aufregung, vor Wut. Es sind ziemlich viele Emotionen auf einmal in mir und ich weiß nicht, wie ich sie kanalisieren soll. Ich schaue ihn noch einmal an und sein Blick trifft mich wieder wie ein Schlag. Zwischen seinen Augenbrauen hat sich eine kleine Falte gebildet, die ich am Liebsten glatt streichen würde. Seine Augen sehen dunkler als sonst aus und wirken gleichzeitig ehrlich und verzweifelt. Dieser Ausdruck macht es mir so verdammt schwer, ihn zu hassen.

"Wenn das die Wahrheit wäre, hättest du mich nicht so fallen lassen.", sage ich, kann jedoch das Zittern in meiner Stimme nicht kontrollieren. "Liebe sollte bedingungslos sein und nicht nur existieren, wenn es der anderen Person gut geht. Du wusstest genau, worauf du dich bei mir einlässt. Und trotzdem hast du mir das Herz gebrochen."

Es tut gut, diese Worte auszusprechen. Sie ihm zu sagen, während wir uns in die Augen schauen. Vielleicht wird er dann irgendwann verstehen, wie schlimm die letzten Wochen für mich waren.

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