zweiunddreißig

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Kann ich für ein paar Tage zu dir?, schreibe ich Josh, ohne ihm zu erklären, was los ist. Das kann ich dann später in Ruhe machen, aber gerade habe ich da keinen Nerv für.

Klar., kommt sofort seine Antwort. Ich liebe es, dass er das einfach so bedingungslos und ohne zu zögern schreibt. Erleichtert springe ich auf und nehme mir meinen Rucksack, in den ich Klamotten für einige Tage packe. Ich will ja nicht ewig bei ihm bleiben - nur so lange, bis ich mich wieder entspannter und aufgeladener fühle. Aber hier zu Hause halte ich es gerade einfach nicht mehr aus.

Ich gehe die Treppe herunter und ziehe mir meine Schuhe und Jacke an. Dann öffne ich vorsichtig die Wohnzimmertür, wo Mama auf dem Sofa sitzt. Ihre Augen sind gerötet. Augenblicklich schäme ich mich für meinen Ausbruch. Trotzdem habe ich es in dem Moment so gemeint.

"Ich gehe für ein paar Tage zu Josh.", sage ich.

Meine Mutter blickt auf und schaut mich traurig an. "Okay. Mach das." Es ist einen Moment still, ich weiß nicht, was ich sagen soll. "Melde dich, wenn was ist.", sagt Mama noch. Ich nicke, dann schließe ich die Tür und verlasse schnell das Haus. Ich halte es einfach nicht mehr aus.

***

Kurze Zeit später klingele ich bei Josh. Er öffnet die Tür und breitet die Arme aus, als er mich sieht. Ich schlinge mein Arme um ihn und lehne mich für einen Moment an ihn. Josh zieht mich ins Haus und schließt die Tür. "Hey, erst einmal."

"Hey.", erwidere ich und lächele leicht, doch dass es kein wirklich fröhliches Lächeln ist, muss auf den ersten Blick erkennbar sein.

Josh schaut mich stirnrunzelnd an. "Was ist denn los?"

Ich seufze und ziehe meine Schuhe aus. "Streit mit Mama.", sage ich erst einmal kurz angebunden. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich weinen muss, wenn ich mehr darüber rede. Wir gehen nach oben in Joshs Zimmer, wo wir uns erst einmal auf das Sofa setzen. Bevor ich mich jedoch neben Josh setzen kann, zieht er mich auf seinen Schoß und lässt seine Hände an meiner Hüfte liegen. Tief schaut er mir in die Augen und zieht eine Augenbraue hoch. Seine Augen schimmern besorgt.

"Erzähl.", sagt er leise, wobei er leichten Druck auf meine Hüfte ausübt, wie um seinen Worten mehr Ausdruck zu verleihen.

Ich lege meine Hände um seinen Nacken und weiche seinem Blick aus. Stattdessen starre ich intensiv auf eine weiße Stelle an der Wand hinter ihm. "Nichts schlimmes.", sage ich, doch meine zitternde Stimme klingt gar nicht danach. "Aber im Moment ist mir das alles einfach zu viel." Ich stocke und kann kurz nicht weiter sprechen.

Josh legt sanft eine Hand an mein Kinn und dreht mein Gesicht in seine Richtung. "Schau mich mal an.", sagt er mit rauer Stimme. Nach einem kurzen Zögern tue ich, was er sagt. Sein Blick nimmt mich sofort wieder gefangen. Wenn wir uns so anschauen, wäre ich niemals in der Lage, ihm irgendetwas vorzumachen, selbst wenn ich wollte. Es fühlt sich an, als könnte er auf den Grund meiner Seele schauen.

Ich schlucke tief, bevor ich weiter spreche. "Dieses dauerhafte Beobachtet-Werden. Mama kam schon wieder total panisch in mein Zimmer gestürzt, ohne dass irgendetwas war. Das trägt alles nicht wirklich dazu bei, dass ich mich entspannter fühle.", fahre ich stockend fort. "Und dann hab ich einfach die Fassung verloren. Ich bin völlig aus der Haut gefahren." Hitze steigt mir in den Kopf - jetzt schäme ich mich für meinen Ausbruch. "Aber ich - ich konnte das gerade alles nicht mehr." Tränen brennen hinter meinen Augen.

Josh legt seine Hände an meine Wangen und streicht sanft darüber. "Und das ist völlig okay und verständlich.", sagt er. "Wir verlieren alle mal die Fassung. Zum Teil in Situationen, die gar nicht nachvollziehbar sind. Deine Situation allerdings ist völlig nachvollziehbar. Das ist im Moment eine Menge Druck."

Ich nicke, während jetzt endgültig die Tränen aus mir herausbrechen. Josh wischt sie sanft weg. Er hat es wieder mal perfekt geschafft, meine Gefühle in Worte zu fassen.

"Ja...", sage ich. "Aber nicht bei meiner Mutter. Ich weiß, dass sie im Moment eine Menge für mich tut. Ich hätte sie niemals so anschreien dürfen."

"Du hattest es in dem Moment nicht im Griff.", sagt Josh. "Und deine Mutter weiß das auch, auch wenn ihr das jetzt vielleicht beide erst einmal sacken lassen müsst. Ein paar Tage Abstand, und dann ist alles wieder normal, vertrau mir."

"Meinst du?", frage ich zweifelnd nach. 

Josh nickt entschieden. "Natürlich." Mit den Fingern wischt er die letzten Tränen von meinen Wangen. Dann nähert er sich mir und küsst mich sanft. Automatisch muss ich lächeln. Ich streiche mit meine Fingern über seinen Nacken.

"Danke.", sage ich, ohne meinen Blick von seinen Augen zu lösen. Sein Blick sagt mir, dass er weiß, wie ich das meine. Danke für alles. 

Er lächelt nur. "Natürlich. Ich liebe dich."

Ich stocke. Es ist das erste Mal, das einer von uns diese drei Worte ausspricht, die sich so unglaublich besonders und bedeutend anfühlen. Für einen kurzen Moment bin ich überfordert. Dann drücke ich meine Lippen auf seine und versuche, so viele Gefühle, so viel Liebe und Zuneigung wie nur möglich in diesen Kuss zu legen.

"Ich liebe dich auch."

controlWhere stories live. Discover now