drei

1.2K 48 2
                                    

In den ersten beiden Stunden habe ich Biologie und Englisch. Beides sind nicht unbedingt meine Lieblingsfächer, aber ich versuche, mich mit ausreichend Ehrgeiz und Disziplin durchzubeißen. Heute allerdings bin ich wirklich gar nicht auf der Höhe. Meine Gedanken kreisen um den merkwürdigen Moment vorhin mit Josh. Vor allem bin ich wütend – darauf, wie er mit mir umgegangen ist und auf diese verdammte Wette mit Theo. Bei Josh wundert mich so etwas nicht wirklich, aber von meinem Bruder hätte ich besseres erwartet. Es ist wirklich ekelhaft, nur mit Mädchen zu schlafen, um so eine doofe Wette zu gewinnen, sie dann wieder fallen zu lassen und sich die nächste zu suchen.

Gleichzeitig lassen auch während des Unterrichts meine Vorgefühle nicht wirklich nach. Im Gegenteil, durch die Aufregung vorhin sind sie sogar eher noch schlimmer geworden.

Ich bin froh, als die zwei Stunden vorbei sind. Ich habe mich gar nicht beteiligt und kaum etwas mitbekommen. Ich gehe zunächst zu meinem Schließfach, um meine Bücher wegzubringen. Dann bleibe ich kurz nachdenklich stehen. Die Lust, die Pause mit Theo und seinen Freunden zu verbringen, ist mir seit dem Gespräch mit Josh endgültig vergangen. Und auch, wenn das die sicherere Variante wäre, ist mir gerade eher danach, mich wieder in der Toilette einzusperren. Ich schnappe mir mein Brötchen und gehe zielstrebig in Richtung der Toiletten. Als ich gerade ein paar Schritte gegangen bin, umfasst jedoch eine Hand meinen Oberarm.

„Falsche Richtung, Schwesterherz. Wir gehen nach draußen.", sagt Theo und grinst mich an.

Ich schaue ihn grimmig an. „Du kannst nicht über mich bestimmen."

„Heute schon.", sagt Theo. „Auf Befehl unserer Mutter soll ich auf dich aufpassen."

Ich sehe ein, dass ich gegen den Klammergriff von Theo keine Chance habe, und trotte neben ihm her nach draußen, bis in die typische Ecke des Schulhofs, in der er und seine Freunde die Pausen verbringen. Josh, Leon und Jonathan stehen schon da, als wir ankommen. Josh sieht uns stirnrunzelnd an. „Was macht die denn hier?", fragt er an Theo gewandt.

Die hat übrigens auch einen Namen.", antworte ich schnippisch, bevor Theo irgendetwas sagen kann.

„Vertragt euch doch einfach.", geht Theo genervt dazwischen. „Und du, reg dich bitte nicht so viel auf.", wendet er sich an mich. „Du weißt, dass das nicht gut ist."

Ich nicke nur und beiße in mein Brötchen. Ja, er hat Recht, das ist wirklich nicht gut. Aber er könnte auch einfach seinem großartigen besten Freund sagen, dass er sich nicht so scheiße verhalten soll.

Jonathan runzelt die Stirn. „Hast du Vorgefühle?", fragt er an mich gewandt. Ich nicke nur. Jonathan mag ich von Theos Freunden noch am liebsten. Auch er verhält sich nicht immer vernünftig, aber wenigstens ist er mir gegenüber nett und respektvoll, was man von einigen von Theos anderen Freunden nicht unbedingt behaupten kann.

„Ist es denn schlimmer geworden oder besser?", erkundigt Theo sich.

Ich zucke mit den Schultern. „Keine Ahnung. Eher schlimmer.", antworte ich. Ich würde gerne das Thema wechseln.

Mein Bruder runzelt besorgt die Stirn. In diesem Moment kommt das Mädchen, das heute Morgen schon an Theo hing, zu uns in den Kreis. „Theooo!", trällert sie und schlingt ihre Arme um ihn. „Da bist du ja!" Ich verdrehe genervt die Augen. Theo hingegen scheint sich nicht im Geringsten an ihr zu stören, im Gegenteil – er legt ebenfalls seine Hände an ihre Taille und wendet uns den Rücken zu.

Na großartig. Jetzt stehe ich hier allein mit Leon, Jonathan und Josh. Diese unterhalten sich gerade angeregt über irgendein Fußballspiel, das sie wohl morgen zusammen schauen wollen.

Ich versuche, sowohl dieses uninteressante Gespräch als auch meinen knutschenden Bruder auszublenden, was mir jedoch nicht so wirklich gelingt. So wenig ich seine aktuelle Flamme auch leiden kann, noch wütender macht es mich, dass er sie nur für seine Liste an Betthäschen ausnutzt. Da tut sie mir beinahe ein bisschen Leid.

Ich will gerade wieder frustriert in mein Schokobrötchen beißen, als sich in meinem Körper ein altbekanntes, unangenehmes Kribbeln ausbreitet. Schlagartig breitet es sich von meiner rechten Körperhälfte auf die linke aus, bis schließlich mein ganzer Körper davon eingenommen ist. Mit einem Mal fühle ich mich wie gelähmt. Die Welt vor meinen Augen verliert langsam ihre Konturen. Ich gebe ein überfordertes, leises Wimmern von mir, weil ich genau weiß, was gleich passieren wird.

„Malu?", höre ich noch wie durch Watte jemanden sagen. Dann wird meine Welt schwarz.

controlWhere stories live. Discover now