achtunddreißig

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Malus Perspektive

"Malu? Bist du wach?", fragt eine Person, die sich über mich gebeugt hat. Ich kenne den Mann nicht. Meine Sicht ist unscharf und alles dreht sich. Mein Kopf dröhnt. Ansonsten spüre ich wenig von meinem Körper, alles scheint in einen dichten Nebel getaucht zu sein. 

Ich blicke mich um. Das kommt mir bekannt vor. Ich liege in einem Krankenwagen. Unter mir ruckelt es leicht. 

"Hörst du mich?", fragt der Mann. Ich habe ganz vergessen, dass er mit mir gesprochen hat. Mein Blick wandert träge wieder zu ihm.

"Mhm?", bringe ich mit einem fragenden Tonfall hervor.

"Sehr gut." Der Mann lächelt offenbar. Doch mir ist immer noch schwindelig und sein Gesicht verzieht sich merkwürdig vor meinen Augen, was unheimlich aussieht. "Du bist im Krankenwagen."

Krankenwagen... Ich krame in meinem Gedächtnis, auf der Suche nach irgendeiner Erinnerung, die erklären könnte, was ich hier tue. Doch da ist nur Nebel und Unschärfe. 

Die Umrisse vor meinen Augen werden wieder verschwommener. Der Rand meines Sichtfeldes wird schwarz. Eine unfassbare Müdigkeit nimmt mich ein.

"Versuch, wach zu bleiben.", sagt der fremde Mann.

Doch ich kann nichts anderes tun, als meine Augen wieder zu schließen. Es geht nicht anders, meine Augenlider sind schwer wie Blei.

***

Als ich erneut aufwache, bin ich im Krankenhaus. Diesen Raum kenne ich inzwischen ziemlich gut. Um mich herum sind Menschen, die ich auf den ersten Blick nicht erkennen kann und die mir im Kontrast des hellen Lichts in Form von schemenhaften Gestalten erscheinen. Irgendetwas ist in meinem Gesicht, was sich nicht gut anfühlt - wie ein Fremdkörper. Ich bewege meinen Arm, der sich unfassbar schwer anfühlt, und taste nach meinem Gesicht. Ein Schlauch ist in meiner Nase. Der muss da weg.

"Malu?" Jemand umfasst meinen Arm und hindert mich daran, den Schlauch zu entfernen. Was soll das? "Ganz ruhig bleiben. Alles ist in Ordnung, du bist im Krankenhaus." Die Stimme, die mit mir spricht, klingt ruhig, doch trotzdem versetzt sie mich in Angst. Ich kenne die Person nicht. Was will die von mir? Und was soll das Teil in meiner Nase?

Ich will mich aufsetzen, doch der Schwindel und die fremde, kalte Hand an meiner Schulter hindern mich daran. Ich wimmere auf.

"Ganz ruhig.", sagt die Stimme wieder. "Es ist alles gut. Deine Familie ist gleich hier."

Schwach sinke ich zurück auf die Liege. Übelkeit steigt schlagartig in mir auf und ohne, dass ich es verhindern kann, beginnt mein Magen zu rebellieren. Kraftlos will ich mich hochstemmen, doch ich schaffe es nicht. Erst als ich würge, scheint die Person neben mir zu begreifen. 

Mit einem unangenehmen Schwung werde ich hoch und auf die Seite gedreht, dann hält jemand eine Schale vor mein Gesicht. Mein Magen entleert sich schwallartig. Alles an meinem Körper tut weh. Tränen fließen unaufhaltsam über mein Gesicht. Würde nicht irgendjemand meinen Oberkörper und meinen Kopf festhalten, wäre ich längst zurück auf die Liege gesunken. Ich kann nicht mehr.

Die Übelkeit scheint kein Ende zu nehmen. Mein Magen ist längst leer, es kommt nichts mehr, doch er rebelliert immer weiter und ich kann nicht aufhören zu würgen. "Das kommt vermutlich von der Gehirnerschütterung.", sagt jemand. "Oder von dem Medikament. Du bekommst jetzt was gegen die Übelkeit in deinen Tropf, und gegen die Schmerzen."

Ich kann nicht antworten. Mir fehlt jegliche Kraft dazu. Nach einer Weile scheint man darauf zu vertrauen, dass da tatsächlich nichts mehr in meinem Magen ist, was ich noch erbrechen könnte, und ich werde wieder auf der Liege abgelegt. Unter meinem Kopf liegt jetzt so etwas wie ein Kissen. Ich will gerade die Augen wieder schließen, als sich die Tür öffnet und Papa in das Zimmer stürzt. "Malu." Er kommt auf mich zu und hockt sich vor mir ans Kopfende der Liege. Müde schaue ich ihn an. Ich bringe kein Wort über die Lippen, nur ein stummes Keuchen, bevor mein Magen sich erneut zusammenkrampft - doch wie erwartet wird es wieder nur ein leeres Würgen.

Papas Hand legt sich auf meinen Kopf und er streicht leicht darüber. "Was ist mit ihr?", fragt er.

"Sie hatte einen tonisch-klonischen Anfall, der mit Diazepam unterbrochen werden musste.", sagt eine Frau. "Angeblich hat er fünf bis zehn Minuten gedauert. Abgesehen davon wahrscheinlich eine Gehirnerschütterung, jedenfalls hat sie sich gerade mehrmals übergeben. Die Wunde am Kinn wird gleich genäht."

Papas Blick wendet sich wieder mir zu. "Hörst du mich, Malu?"

Ich gebe wieder nur einen unverständlichen Laut von mir. Dann schließe ich endlich die Augen. Ich kann nicht mehr.

Regelmäßig muss ich würgen und so bleibt mir der Schlaf, den ich mir so sehr wünsche, leider zunächst verwehrt. Nachdem ich versucht habe, etwas Wasser zu trinken, kommt auch dieses sofort wieder hoch.

Als jemand mein Kinn betäubt, um die Wunde zu nähen, stört mich das fast gar nicht. Ich bin so erschöpft, dass ich kaum darüber nachdenken kann. Außerdem befreit mich die Betäubung wenigstens in dem Bereich für einen Moment von meinen Schmerzen. Irgendwann wirkt dann offenbar auch das Medikament gegen die Übelkeit - oder aber mein Magen hat verstanden, dass es nichts mehr gibt, wogegen er sich auflehnen kann.

Kurz nachdem mir ein Pflaster auf das Kinn geklebt wurde, betreten Mama und Theo den Raum. Ihre Begrüßung kann ich ebenso wenig erwidern wie die von Papa. Mein Körper scheint einfach zu müde zu sein, um noch irgendeinen Muskel betätigen zu können.

"Wie sieht es jetzt aus?", fragt Theo irgendeinen Arzt, den ich nicht erkenne.

"Besser.", sagt er. "Ihre Vitalwerte sind wieder stabil. Die Wunde ist genäht. Sie kommt gleich noch einmal ins CT, damit wir Blutungen im Gehirn ausschließen können. Ihr Körper wird sich jetzt noch etwas erholen müssen. Genaueres über ihren sonstigen Zustand können wir erst morgen sagen."

Ich höre zwar die Worte, doch richtig einordnen kann ich sie nicht. Generell nehme ich nicht mehr viel wahr. Ich habe die Augen wieder geschlossen und warte darauf, dass ich endlich wieder einschlafe.

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