fünf

1.2K 51 2
                                    

Malus Perspektive

Verschwommene Umrisse tauchen vor meinen Augen auf. Ein fremder Mann hat sich über mich gebeugt. Panik wallt in mir auf. Ich versuche, ihn wegzustoßen, doch treffe ihn nicht einmal. Meine Gliedmaßen fühlen sich schwer an und tun weh.

Trotzdem erkenne ich Theos Stimme. Ich schaue ihn an, bis seine Gesichtszüge etwas klarer werden. Neben ihm steht Josh.

Anfall, sagt der Sanitäter. Anfall. Es dauert ein bisschen, bis ich die Worte verstehe.

Mein Körper tut weh. Vor allem aber bin ich unglaublich müde. Ich schließe die Augen wieder, will einfach nur noch schlafen. Doch irgendwer hindert mich daran, indem er mir leicht rüttelt. „Wir versuchen mal, zum Wagen zu laufen. Darin kannst du schlafen.", dringt die Stimme des fremden Mannes wie durch Watte zu mir durch.

Zwei Menschen hieven mich hoch. Meine Welt dreht sich, meine Beine halten mich kaum, auch wenn ich es versuche. Trotzdem zwingen mich diese Menschen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, bis wir nach einer gefühlten Ewigkeit beim Rettungswagen angekommen sind. Ich bin erschöpft. Theo hilft mir dabei, mich auf die Liege zu legen. „Mir ist kalt.", bringe ich hervor.

„Sieht man.", sagt der Sanitäter. Mein Körper zittert. Jemand wickelt mir eine Decke um.

„Du wirst jetzt ins Krankenhaus gebracht, Malu. Wo Papa arbeitet. Ich komme mit meinem Auto nach. Okay?", sagt Theo.

Nein, nichts ist okay. Ich fühle mich ängstlich, müde und verloren. Ich will nicht, dass er geht. Tränen rinnen über meine Wangen.

„Hey." Theo drückt meine Hand. „Alles gut. Du schaffst das."

Ich schaffe das nicht, will ich sagen. Doch ich kann nicht wirklich sprechen. Stattdessen schließe ich die Augen und kann endlich wieder schlafen.

***

Als ich das nächste Mal wach werde, liege ich in einem Raum des Krankenhauses. Ich erinnere mich nicht, wie ich hierhergekommen bin. Das Licht ist gleißend hell und verstärkt die Kopfschmerzen, die ich ohnehin schon habe.

„...tonisch-klonischer Anfall bei bekannter Epilepsie, der letzte Anfall war vor 8 Monaten. Bis auf wenige Abschürfungen keine sichtbaren Verletzungen, sie ist auch nicht gefallen. Die Lehrerin hat den Notruf gewählt."

„Ist die Familie vor Ort?", fragt eine weibliche Stimme.

„Ihr Bruder trifft jeden Moment ein. Laut ihm ist sie die Tochter von Herrn Dr. Berg, der hier arbeitet."

„Ach.", sagt die andere Stimme. „Herr Berg ist gerade im OP. Danach wird er umgehend benachrichtigt. Vielen Dank."

„Gerne. Schönen Tag noch." Schritte sind zu hören, der Sanitäter verschwindet.

In meinem Sichtfeld taucht eine junge, blonde Frau auf, die ich noch nicht kenne. „Hallo, Malu, da bist du ja wieder. Mein Name ist Liebermann, ich bin die neue Neurologin hier. Wir kennen uns noch nicht."

„Ja.", antworte ich mit kratziger Stimme.

„Dein Bruder kommt auch gleich. Du hattest einen Anfall, erinnerst du dich daran?"

In meinem Gehirn sortieren sich langsam die Erinnerungsfetzen von vorhin. Ich erinnere mich daran, wie wir auf dem Schulhof standen. „Ich hatte eine Aura.", sage ich. „Den Rest weiß ich nicht mehr."

„Okay.", sagt Frau Liebermann. „Das ist ganz normal. Hast du im Moment Schmerzen?"

„Kopfschmerzen.", sage ich kurz angebunden.

Frau Liebermann deutet auf den Tropf, der bereits angeschlossen ist. „Das Schmerzmittel läuft schon und sollte gleich wirken. In der Zwischenzeit führe ich einige Untersuchungen durch, einverstanden?"

Ich nicke und lasse die Prozedur über mich ergehen. Meine Laune ist im Keller. Natürlich muss ich mich irgendwie mit all dem abfinden. Doch nachdem ich so lange anfallsfrei war, hatte ich wirklich Hoffnung, dass es jetzt auch erst einmal so bleibt.

Es klopft an der Tür und einen Moment später betritt Theo den Raum. Er stellt sich ebenfalls kurz der Ärztin vor, dann fällt sein Blick auf mich und er tritt ans Bett. „Na? Wieder wach?"

Ich schmunzele. „Offensichtlich ja." Dann wird mein Blick wieder ernster. „Was ist denn genau passiert?"

„Wir standen auf dem Schulhof.", beginnt Theo zu erzählen. „Zwischendurch war ich ehrlich gesagt etwas... naja, abgelenkt, deshalb habe ich nicht alles mitbekommen. Jedenfalls hattest du einen ziemlich starken Anfall. Jonathan und Josh konnten dich noch auffangen, sodass du nicht komplett ungebremst hingefallen bist. Der Anfall ging allerdings ziemlich lang, glaube ich. Ich war kurz davor, dir das Notfallmedikament zu geben."

„Gut, dass du es nicht gemacht hast.", sage ich. Ich habe zwar erst selten das Notfallmedikament bekommen, doch es war jedes Mal schrecklich. Das Zeug hat mich immer komplett weggehauen, sodass ich immer ein paar Tage lang komplett neben der Spur war.

„Ich war wirklich kurz davor.", sagt Theo. „Du bist schon... blau geworden."

Die Ärztin scheint ebenfalls zuzuhören und schreibt fleißig mit. Theo scheint immer noch ziemlich verstört zu sein. Ich dagegen finde es zwar sehr merkwürdig und auch ein bisschen unheimlich all das zu erfahren, doch noch schlimmer ist es für mich, gar nicht zu wissen, was passiert ist.

controlWhere stories live. Discover now