vierzehn

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Joshs Perspektive

Ich weiß nicht, was seit einer Weile in mich gefahren ist. Ich weiß nicht einmal, wann es angefangen hat. Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich ausgerechnet bei Malu mal so ein Herzrasen bekommen werde. Und jetzt ist genau das eingetreten.

Das Ganze fühlt sich wie ein großer Verrat an Theo an. Theo und ich erzählen uns immer alles. Das ist das erste Mal, dass ich nicht ehrlich zu ihm bin. Doch ich weiß genau, dass unsere Freundschaft vermutlich beendet wäre, wenn ich ihm reinen Wein einschenken würde. Und was soll ich auch sagen? Dass ich mich in seine kleine Schwester verliebt habe? Ich weiß ja noch nicht einmal selbst, ob das so ist. Ich war schon ewig nicht so richtig verliebt, vielleicht auch noch nie. Doch mit Malu fühlt sich irgendwie alles anders an. Sie ist nicht wie die anderen Mädchen.

Am nächsten Nachmittag räume ich sogar mein Zimmer auf, um nicht direkt einen schlechten Eindruck zu machen. Zum Glück habe ich keine Geschwister und mein Vater arbeitet Vollzeit – so kann ich mich darauf verlassen, dass niemand uns überraschend stören wird. Pünktlich um 16 Uhr klingelt es unten an der Tür. Als ich öffne, lächelt Malu mir entgegen. „Hey."

„Hey.", sage ich und kann nicht anders, als ihr Lächeln zu erwidern. „Komm rein."

Malu betritt das Haus und zieht ihre Schuhe aus. Ein paar Mal war sie schon hier, aber immer nur kurz. Ich lasse meinen Blick ihren Körper entlangwandern. Sie sieht wunderschön aus. Sie trägt ein kurzes Sommerkleid, was ihre schlanken Beine zum Vorschein bringt. Das ist ungewöhnlich für sie, normalerweise trägt sie selbst im Sommer lange Hosen. Ihre Haare hat sie wie immer zu einem Dutt hochgebunden.

Wir gehen gemeinsam die Treppe hinauf in mein Zimmer. Sie schaut sich interessiert um. „Du warst doch schonmal hier, oder?", frage ich nach.

Malu nickt. „Ja. Aber das ist schon länger her. Damals sah es noch ganz anders aus." Ihr Blick streift über die Fotos an meiner Wand, die ich normalerweise abhänge, wenn ein Mädchen zu Besuch ist. Doch bei Malu ist es anders. Auch wenn ich mich ein bisschen entblößt fühle, stört es mich nicht, wenn sie meine Kinderfotos sieht, die mein ganzes Leben zur Schau stellen.

Ich kann mich nicht länger von ihr fernhalten und so stelle ich mich hinter sie und schlinge meine Arme um ihren Oberkörper. Ihr Duft beruhigt mich, mein Atem geht automatisch tiefer.

„Die sind schön, die Bilder.", sagt Malu. Dann deutet sie auf ein Foto, auf dem ich mit meiner Mutter zu sehen bin. Auf dem Bild muss ich acht Jahre alt gewesen sein, es ist kurz vor ihrem Tod entstanden. „Das hier gefällt mir besonders."

Ich lächele leicht. „Das mag ich auch." Auf dem Bild sitzen meine Mutter und ich am Meer in den Dünen. In meiner einen Hand halte ich einen Löwenzahn, in der anderen ein Brötchen. Wir beide lachen. Genau so habe ich meine Mutter in Erinnerung.

„Vermisst du sie manchmal?", fragt Malu leise.

Ich zögere. „Ein bisschen.", gebe ich dann zu. „Vor allem in Momenten, die irgendwie besonders für mich sind, frage ich mich, wie sie reagiert hätte. Dann stelle ich mir vor, wie sie sich gefreut und gelacht hätte." Ich weiß nicht, warum ich Malu all das erzähle. Mit niemandem sonst kann ich darüber reden, selbst Theo und ich meiden das Thema. Doch bei Malu fühlt es sich leicht an.

„Aber es ist auch schön, sie so in Erinnerung zu behalten.", sage ich.

Malu nickt. „So wie auf dem Foto. Da sieht sie glücklich aus."

So war sie auch. Das ist oft mein tröstender Gedanke – dass sie bis zum Schluss ein glücklicher Mensch war. Sie starb bei einem Autounfall. Es muss ein schneller Tod gewesen sein.

controlWhere stories live. Discover now