neun

1K 43 0
                                    

Mit einer Trage wird Malu in den Krankenwagen gebracht. Papa setzt sich zu ihr hinein, dann schließen sich die Türen und der Wagen rast mit Blaulicht davon.

Mama und ich fahren mit dem Auto hinterher. Ich bin froh, nicht selbst fahren zu müssen, da ich immer noch völlig durch den Wind bin. Das gerade war schon wieder ein ziemlich heftiger Anfall. Manchmal habe ich Angst, dass sie irgendwann einfach nicht mehr aufwacht. Dass ihr Gehirn tatsächlich nicht ausreichend versorgt wird. Man kann nicht sicher sein, dass sie nicht irgendwann mal allein einen Anfall bekommt, wenn niemand da ist, um ihr im Zweifel das Notfallmedikament zu geben.

Meine Mutter und ich schweigen während der Fahrt, auch das Radio ist stumm. Wir beide hängen voll und ganz unseren eigenen Gedanken nach. Auch Mama wirkt unfassbar angespannt und nachdenklich.

Als wir im Krankenhaus ankommen, schickt man uns direkt in den Raum, in dem Malu noch liegt. Papa ist bei ihr, außerdem die Ärztin vom letzten Mal und ein weiterer Arzt oder Krankenpfleger, der gerade ihre Wunde versorgt.

„Wie geht es ihr?", fragt Mama direkt.

Papa hebt die Schultern. „Unverändert, aber stabil. Sie ist immer noch nicht ansprechbar, aber hat gerade einige Male die Augen aufgemacht. Wir führen ihren Zustand aber eher auf das Notfallmedikament zurück als auf den Anfall, wahrscheinlich ist sie davon einfach sehr müde, Die Wunde wird gleich genäht."

Mama nickt und stellt sich neben Malu an das Bett. Ich setze mich auf einen Stuhl und nehme wieder ihre Hand, die sich schlaff und reglos anfühlt.

„Und wie geht es jetzt weiter?", frage ich.

Papa seufzt schwer. „Tja, das ist die Frage. Sie wird auf jeden Fall erst einmal aufgenommen und wird dann vermutlich ein paar Tage hier bleiben. Wahrscheinlich bleibt uns nichts anderes übrig, als die Medikamente höher zu dosieren."

Frau Liebermann nickt. „Ich vermute es auch. Wir können nicht ganz erklären, warum es jetzt nach so langer Zeit wieder zu Anfällen gekommen ist, aber so ist das bei dieser Erkrankung. Sie ist nicht vorhersehbar."

***

Malus Perspektive

Wieder wache ich im Krankenhaus auf. Ich blinzele. Meine Umgebung ist hell, irgendein Gerät piepst regelmäßig vor sich hin.

„Malu?", höre ich jemanden meinen Namen sagen.

Ich wende mich nach rechts. Theo sitzt dort und lächelt schief.

„Hi.", krächze ich. Meine Kehle ist trocken. Theo scheint zu verstehen und reicht mir ein Glas Wasser. Ich trinke ein paar große Schlucke, bis ich mich etwas besser fühle. Meine Glieder fühlen sich schwer an.

Außerdem tut mein Kopf höllisch weh. Ich hebe, meine Hand, um mir an die Stirn zu fassen, doch Theo hält mich auf. „Pass auf. Du wurdest genäht."

Ich stöhne genervt auf. Auch das noch. „Was ist denn passiert?", frage ich.

„Du hattest heute Morgen einen Anfall beim Frühstück. Du hast ein Notfallmedikament bekommen und eine Platzwunde auf der Stirn, die heute genäht wurde. Jetzt bist du erst einmal im Krankenhaus.", erklärt Theo.

Die Uhr an der Wand gegenüber zeigt an, dass es halb sieben abends ist. Dann muss ich den ganzen Tag geschlafen haben. Langsam reihen sich ein paar filmartige Szenen in meinem Kopf aneinander, bei denen ich mir nicht sicher bin, ob sie wirklich so stattgefunden haben, oder ob sie reine Hirngespinste sind.

Ich auf dem Sofa, Papa vor mir.

Im Krankenwagen.

Ein Arzt, der meine Wunde näht.

„Unsere Eltern sind gerade unten in der Cafeteria was essen, aber sie sollten gleich wieder da sein."

„Okay.", sage ich nur. Meine Augenlider werden wieder schwer. Ich bin unheimlich müde und würde meinen Tiefschlaf am Liebsten fortsetzen. In diesem Moment öffnet sich die Tür.

„Du bist wach.", stellt Papa fest, als er rein kommt. Ich ringe mir ein Lächeln ab. "Ja, bin ich."

Mama eilt zu mir und setzt sich auf einen freien Stuhl. „Wie fühlst du dich?"

„Kopfschmerzen.", sage ich. „Und müde. Wie immer."

„Du kannst gleich noch etwas gegen die Schmerzen bekommen, ich werde das anordnen.", sagt Papa.

„Wie geht es jetzt weiter?", frage ich. „Muss ich noch länger hier bleiben?"

„Ein paar Tage voraussichtlich schon.", antwortet Mama. „Die Ärzte müssen noch entscheiden, was genau gemacht wird. Aber gerade halten wir es für sinnvoll, wenn die Medikamente doch erhöht werden."

Ich stöhne genervt auf, nicke aber. „Ich habe keine Lust mehr.", sage ich. Damit meine ich all das hier – die Tage, die ich im Krankenhaus verbringen muss, die Müdigkeit, die Schmerzen, die Verletzungen. Den Kontrollverlust. Auf all das könnte ich gut verzichten.

„Ich weiß.", sagt Mama und streicht mir durch die Haare. „Nur noch kurz durchhalten. Dann wird es bestimmt auch schnell wieder. Du warst so lange anfallsfrei."

Ich nicke wieder. „Ja. Das wird schon wieder.", sage ich so halb zuversichtlich. Das ist das Schlimme an dieser Krankheit – dass man sich nie sicher sein kann. Man weiß nie, wie es weitergeht. Man kann immer nur hoffen.

controlWhere stories live. Discover now