zweiundzwanzig

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Joshs Perspektive

Theo und ich gehen nach dem Sporttraining gemeinsam zu ihm. Ich bin froh, dass wir uns wieder vertragen haben. Zumindest bei ihm hoffe ich ernsthaft, dass es wieder ganz normal wird. Wir sind auf einem guten Weg dahin.

Mit Malu wird es vermutlich nie wieder ganz normal werden. Jedenfalls nicht so, wie ich mir das wünsche. Ich will, dass es so ist, wie vor der Party, nur mit dem Unterschied, dass wir es nicht mehr geheim halten müssen. Doch ich habe das Ganze ordentlich verhauen. Es bleibt nicht viel Hoffnung, dass es zwischen uns noch etwas wird.

Theo schließt die Tür auf und wir gehen ins Haus. „Hallo!", ruft Theo ins Haus. Es kommt keine Antwort. Er runzelt die Stirn. „Komisch. Malu müsste eigentlich hier sein.", sagt er und deutet auf ihre Schuhe. „Zumindest ihre Schuhe sind da."

Wir schauen uns einen Moment an und denken wahrscheinlich beide das Gleiche. Auch wenn es nicht schön ist, immer direkt besorgt zu sein, lässt sich das kaum unterdrücken. „Malu?", versucht er es nochmal, doch wieder ist nichts zu hören. In mir macht sich automatisch eine Anspannung breit. Zügig läuft Theo durch das Erdgeschoss, schüttelt jedoch den Kopf. „Hier ist sie nicht."

„Lass uns mal oben schauen.", sage ich. Wahrscheinlich ist die Sorge unbegründet und sie schläft vielleicht nur. Doch abstellen kann man das nicht, dass wie von selbst die Angst kommt, ihr könnte was passiert sein.

Wir gehen die Treppe hoch. Theo schaut in ihr Zimmer, ich gehe zum Bad. Als ich die Tür öffne, erstarre ich.

Malu liegt krampfend auf dem Boden. Sie gibt keinen Ton von sich. Ihr Gesicht hat eine Farbe zwischen weiß und blau, die absolut nicht mehr gesund aussieht. Aus ihrem Mund tropft Blut. Ich bin für ein paar Sekunden in einer Schockstarre gefangen, dann laufe ich zu ihr und hocke mich neben sie. „Theo!", brülle ich panisch.

Ich mache das, was Theo sonst auch immer tut: Versuche, Malu in eine Position zu bringen, in der sie vielleicht besser Luft bekommt und lege ihr ein Handtuch unter den Kopf.

Theo taucht in der Tür auf. Sein Blick fällt auf Malu und wird dann fassungslos. Mit zitternden Händen holt er sein Handy aus der Tasche, um den Notruf zu wählen. Dann läuft er in Malus Zimmer, um ihr Notfallmedikament zu suchen.

Ich habe keine Ahnung, wie lange sie hier schon so liegt. Fest steht, dass es zu lange war. Sie sieht deutlich schlimmer aus als bei dem Anfall in der Schule.

Als aus ihrem Rachen ein ungesundes Röcheln kommt, versuche ich sie so zu drehen, dass das Blut nicht in ihren Hals fließt. Ich weiß nicht, woher all das Blut kommt. Ein Schwall fließt aus ihrem Mund auf den Boden. Sie scheint gar nicht mehr zu atmen.

Theo kommt mit dem Notfallmedikament wieder ins Bad und gibt es ihr sofort in den Mund. Das beruhigt mich zwar etwas, doch auch dieses Medikament braucht eine Weile, bis es wirkt. Ich habe Angst, dass es dann schon zu spät ist.

Auch Theo scheint alles andere als ruhig zu sein. Doch viel mehr können wir nicht tun als neben ihr zu sitzen, zu hoffen, dass es aufhört und auf den Rettungsdienst zu warten. Nachdem eine weitere Minute verstrichen ist, lässt es endlich nach. Ihr Muskeln zucken noch ein paar Mal, dann erschlaffen sie völlig. Ihre Augen, die vorher verdreht waren, schließen sich jetzt. Doch so richtig erleichtert kann ich nicht sein. Ihr Gesicht sieht völlig blutleer aus und sie gibt immer noch kaum Atemgeräusche von sich. Ich versuche, ihren Puls zu fühlen, doch er ist schwach und kaum spürbar.

Mit einem weiteren Handtuch beseitige ich das Blut aus ihrem Gesicht. Ich verstehe nicht, woher all das Blut kommt. Stoisch streichele ich ihr über den Arm.

Theo sitzt blass daneben auf dem Boden. Er ist immer noch am Zittern und scheint kaum handlungsfähig zu sein. Als es an der Tür klingelt, springt er auf und rennt nach unten. Es kommt zuerst ein Notarzt. Malu ist absolut nicht wach zu bekommen. Als er ihre Augenlider hochzieht, sind ihre Augen immer noch verdreht. Er spritzt ihr irgendein Medikament. Kurz darauf treten auch die Rettungssanitäter ein.

Malu wird in den Rettungswagen gebracht. Theo und ich versuchen mitzubekommen, was passiert. Ich habe Theo, der völlig angespannt ist, unterstützend eine Hand auf die Schulter gelegt, doch ich weiß nicht, ob er das überhaupt mitbekommt - er ist völlig in seinem Film.

Die Stimmung der Sanitäter und des Notarztes wirkt ebenfalls hektisch und gestresst, was nicht unbedingt zu meiner eigenen Beruhigung beiträgt. Geräte werden angeschlossen. Ihr wird ein Schlauch zur Beatmung in den Hals geschoben. Irgendwann verlässt der Notarzt den Wagen und tritt zu uns. „Sie wird jetzt so schnell wie möglich ins Krankenhaus gebracht. Wir schauen, was wir tun können."

Bei seinem letzten Satz zucke ich zusammen – das war nicht das, was ich hören wollte, sondern klingt schlimmer als erwartet. Theo nickt mechanisch, doch sein ganzer Körper zittert.

Wir laufen zu Theos Auto. „Ich fahre.", sage ich. Theo wirkt absolut nicht in der Lage dazu und auch, wenn auch ich mich überhaupt nicht entspannt fühle, habe ich glaube ich einen klareren Kopf als er. Er drückt mir ohne Protest den Autoschlüssel in die Hand. Auf dem Weg ins Krankenhaus ruft Theo seine Eltern an und erklärt ihnen kurz die Situation. Ich konzentriere mich aufs Fahren.

Als wir endlich da sind, treffen wir Theos Vater in einem Flur. Er sieht blass aus. „Ich weiß noch nicht viel.", sagt er. „Sie ist jetzt im Schockraum."

„Schockraum?", fragt Theo. „Wieso muss sie dahin?"

„Wegen der Atmung.", erklärt Theos Vater. „Sie hat vorhin noch nicht wieder selbstständig geatmet."

Das alles klingt überhaupt nicht gut. Mir wird schwindelig, ich muss mich setzen. Ich lasse mich auf einen Stuhl am Rande des Gangs fallen und lehne den Kopf gegen die kühle Wand. Ich wusste ja, dass solche Anfälle echt kritisch werden können, und auch gerade konnte man sehen, dass Malus Zustand nicht der beste ist. Aber was hier gerade berichtet wurde, klang schlimmer als ich dachte. Ich versuche trotzdem, mir nicht direkt die schrecklichsten Szenarien auszumalen.

Theo setzt sich neben mich. Christoph, Theos Vater, drückt mir eine Flasche Wasser in die Hand. „Trink mal was. Du siehst auch nicht gut aus."

Ich nehme das Wasser dankend an und trinke einige große Schlucke. Doch die Enge in meiner Brust bleibt.

controlWhere stories live. Discover now