einundzwanzig

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Am Montag in der Schule gebe ich mir große Mühe, Josh aus dem Weg zu gehen. Das hat zur Folge, dass ich auch die Pause wieder allein verbringe, aber damit kann ich leben. Es war schließlich lange Zeit nicht anders. So schaffe ich es tatsächlich, Josh den ganzen Schultag nicht zu begegnen. Am Dienstag sehe ich ihn einmal kurz im Flur. Ehrlich gesagt sieht er gar nicht gut aus - unter seinen Augen liegen tiefe Augenringe, der Rest seines Gesichts sieht blass aus. Es wirkt, als würde er nicht besonders gut schlafen. Für den Bruchteil einer Sekunde treffen sich unsere Blicke, doch ich schaue schnell wieder weg und gehe weiter. Trotzdem hat es mich getroffen, ihn so zu sehen.

Am Mittwoch nach der Schule bin ich allein zu Hause, als es an der Tür klingelt. Schon durch das Fenster erkenne ich Josh, der ziemlich fertig aussieht. Ich zögere und spiele mit dem Gedanken, umzudrehen und so zu tun, als wäre ich nicht zu Hause. Doch es ist zu spät, er hat mich bereits gesehen.

Ich atme tief durch und öffne dann die Tür ein Stück. Ich werde mich jetzt zusammen reißen. „Hallo. Theo ist nicht da.", sage ich kühl.

„Ich weiß.", bringt Josh hervor. Seine Stimme klingt unsicher. „Ich wollte auch zu dir."

Ein paar Sekunden lang stehen wir uns wortlos gegenüber, dann öffne ich die Tür etwas weiter und bedeute ihm, hereinzukommen. Vielleicht ist eine Aussprache nicht das schlechteste.

Wir gehen nach oben in mein Zimmer. Josh setzt sich auf mein Bett, ich mich auf meinen Schreibtischstuhl, um etwas Abstand zwischen uns zu bringen. Ich weiß selber genau, dass ich nicht klar denken kann, wenn ich ihm zu nah bin. „Also?", frage ich.

Er knibbelt an seinen Nägeln herum, weicht meinem Blick aus. „Ich bin hier, um mich zu entschuldigen. Und um mich zu erklären.", sagt er. Ich schweige und warte, bis er von sich aus weiter spricht. „Das Gespräch, was du mitbekommen hast, ist nur entstanden, weil Theo gemerkt hat, dass ich ihm was verheimliche. Ich konnte ihm beim besten Willen nicht sagen, dass ich mit dir..."

„Du hättest ihm gar nichts sagen müssen. Das Gespräch hat mir gezeigt, dass dir deine verdammte Nummer 46 wichtiger ist als ich.", zische ich.

„So ist es nicht.", sagt Josh und blickt mich jetzt endlich an. „Wirklich nicht. Das mit uns war auch für mich etwas Besonderes. Das mit dieser verdammten Wette mit Theo – ich wollte die Wette beenden. Aber ich habe es nicht hinbekommen, ihm das zu sagen. Dann wären wieder Nachfragen gekommen und das mit uns wäre ans Licht gekommen."

Ich schlucke. Tränen brennen in meinen Augen. „Weißt du, Josh, ich mochte dich echt gern. Nein, ich mag dich immer noch echt gern. Da tut es echt weh, zu hören, dass ich nur eine Nummer bin."

„Bist du nicht.", flüstert Josh. Er zieht die Augenbrauen zusammen, Schmerz liegt in seinem Blick. „Malu... Bitte. Bitte gib mir noch eine Chance, dir das zu beweisen. Das war ein Missverständnis. Ich habe mich verrannt."

Ich schließe kurz die Augen. Ein Teil von mir möchte sich Josh in die Arme werfen. Der andere Teil ist rationaler. „Ich will mich mit dir vertragen, Josh.", sage ich schließlich. „Aber alles, was darüber hinaus geht, sollten wir besser lassen." Ich versuche, meine Stimme kontrolliert klingen zu lassen, doch das Zittern darin ist nicht zu überhören. „Ich glaube, du und ich passen einfach nicht zueinander."

Josh schaut mich lange an, als würde er hoffen, dass da noch etwas kommt. Doch das ist mein letztes Wort. Irgendwann nickt er. „Okay." Er steht auf. „Vertragen wäre schonmal gut."

Ich stehe ebenfalls auf und ringe mir ein Lächeln ab. „Am besten versuchst du es auch bei Theo wieder gut zu machen.", sage ich. So genervt ich manchmal auch von der Freundschaft der beiden war – wenn sie zerstritten sind, ist es auch nicht schön.

Josh nickt. „Ich gebe mein Bestes." Dann breitet er die Arme aus. „Vertragen?"

„Ja.", antworte ich. Nach einem kurzen Zögern gehe ich die paar Schritte auf ihn zu und lasse mich auf die Umarmung ein. Kaum hat er mich in seine Arme geschlossen, bin ich kurz davor, wieder schwach zu werden. Sein Geruch ist einnehmend und beruhigend. Seine warmen Hände liegen an meinem Rücken. Hastig löse ich mich wieder von ihm.

„Dann werde ich jetzt mal gehen.", sagt er. Ich nicke – es ist besser so.

Nachdem Josh gegangen ist, muss ich zum ersten Mal seit Tagen weinen. Vorher war ich vorrangig wütend, jetzt bin ich enttäuscht und traurig. Ich lege mich in mein Bett und versinke in meinem Selbstmitleid.

***

Wenigstens können Josh und ich uns von nun an in der Schule wieder in die Augen schauen – auch wenn es jedes Mal ein bisschen schmerzhaft ist. Auch Theo und Josh vertragen sich wieder. Man merkt zwar, dass die Stimmung zwischen ihnen noch etwas angespannt ist, aber das werden sie schon auch noch hinbekommen, da bin ich zuversichtlich. Und so ist einige Wochen später alles wieder beim Alten, zumindest einigermaßen.

Es ist ein Montagnachmittag. Ich bin gerade allein zu Hause und sitze gerade an meinen Hausaufgaben, als sich Vorgefühle in mir breit machen. Genervt lehne ich mich auf dem Stuhl zurück und versuche, in mich hineinzuhören. Sind das wirklich Vorgefühle? Oder bin ich vielleicht einfach nur etwas schlapp?

Ich stehe auf und mache mich auf den Weg ins Bad. Mein Kopf fühlt sich heiß an und ich versuche, ihn mit kaltem Wasser etwas abzukühlen. Meine Beine sind am Zittern. Das hier fühlt sich gar nicht gut an.

Plötzlich beginnt es in meinen Ohren zu rauschen. Ein stechendes Kribbeln macht sich in mir breit. Der Boden fängt an, gefährlich zu wanken. Dann bin ich irgendwann weg.

controlWhere stories live. Discover now