achtundzwanzig

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In dieser Woche versuche ich, die verpassten Schulsachen so gut wie möglich aufzuarbeiten. Gleichzeitig würde ich am liebsten auch jede freie Minute mit Josh verbringen, jetzt, wo das endlich möglich ist. Als ich nach dem Abendessen mit meinen Eltern sofort aufspringen will, um mich wieder an meine Schularbeiten zu setzen, hält Mama mich kurz auf. „Malu, langsam... Du solltest dir nicht so viel Stress machen."

Ich seufze. „Ich habe doch keine Wahl. Ich will mein Zeugnis nicht versauen, nur weil ich im Krankenhaus war. Nächste Woche schreibe ich Mathe." Beim Gedanken an die Klausur wird mir jetzt schon Angst und bange. Ich war immer gut in Mathe, aber ich habe wirklich zu viel verpasst.

„Eine verhauene Klausur ist doch kein Weltuntergang.", sagt Papa. „Deine Gesundheit sollte dir gerade wichtiger sein."

„Für mich schon.", erwidere ich trotzig. Meinen Eltern waren Schulnoten noch nie besonders wichtig. Sie haben mir nie Druck gemacht oder ähnliches. Ich selbst war immer die mit den hohen Ansprüchen an sich selbst.

„Malu...", sagt Papa seufzend. „Du solltest wirklich ein bisschen auf dich achten. Genug Schlaf, genug Ruhe, und stress dich bitte nicht so. Du weißt, dass wir das nur gut meinen."

„Ja, weiß ich. Ich werde aufpassen.", erwidere ich, weil ich weiß, dass eine Diskussion sowieso nichts bringen wird. Meine Eltern haben natürlich Recht – gleichzeitig fühle ich mich, als hätte ich nicht wirklich eine Wahl. Dass man sich weniger stressen soll, ist immer leichter gesagt als getan.

„Wir wollten mit dir ohnehin nochmal darüber reden, wie es weitergeht.", sagt Mama. „Wir akzeptieren völlig, dass eine Operation für dich gerade nicht in Frage kommt." Papa nickt bestärkend – wahrscheinlich will er seinen kleinen Ausbruch von neulich wieder gut machen.

Ich ziehe fragend die Augenbrauen hoch. Ich verstehe nicht, worauf sie hinauswollen.

„Stattdessen würden wir gerne gemeinsam darüber nachdenken, wie wir dein Leben gestalten können, damit wir uns alle etwas sicherer fühlen.", fährt Papa fort.

„Aha.", sage ich. „Und was sind eure Vorschläge?"

„Wir haben dir schon ein Gerät für dein Bett bestellt, das wahrnimmt, wenn du dort einen Anfall haben solltest, zum Beispiel nachts.", fängt Mama an. Ich nicke. So ein Gerät kenne ich aus dem Krankenhaus. Damit habe ich erst einmal kein Problem.

„Außerdem habe ich meine Arbeitszeiten so gekürzt, dass ich jetzt nur noch vormittags arbeite, wenn du in der Schule bist.", fährt sie fort. „Ich fühle mich wohler, wenn du nicht allein zu Hause bist. Und wir können nicht von Theo oder von dir verlangen, dass ihr immer nur gemeinsam unterwegs seid. Es wäre gut, wenn du dann wenigstens tagsüber, wenn du nicht im Bett bist, deine Tür geöffnet lassen könntest."

Ich stöhne genervt auf. Das heißt dann wohl, dass ich von nun an kaum noch Privatsphäre zu erwarten habe. „Muss das sein?"

„Das heißt ja nicht, dass ich vor deiner Tür lauern werde.", wirft Mama beruhigend ein. „Aber wenigstens, wenn ich im Haus bin, würde ich dann mitbekommen, wenn du einen Anfall bekommst."

Ich nicke knapp, auch wenn mir das überhaupt nicht gefällt. Klar ist es so sicherer – aber ein bisschen meine Ruhe haben zu können, wäre auch nett. „Was, wenn ich zu Josh will?", frage ich nach.

„Das ist natürlich kein Problem.", sagt Papa. „Uns geht es nur darum, dass du weniger allein bist. Und wenn Josh hier ist, dürft ihr natürlich auch die Tür zu machen."

Etwas besänftigt nicke ich. Trotzdem gefällt mir die neue Einstellung von Mama und Papa nicht wirklich. Meine Eltern fahren noch ein bisschen mit weiteren Anweisungen fort: Ich soll mindestens acht Stunden schlafen, mich regelmäßig entspannen, immer meinen Epilepsieausweise mitnehmen. Dann bin ich endlich entlassen und kann mich an meine Schulsachen setzen – wie abgesprochen mit offener Tür.

***

Bis zur Matheklausur am Montag bin ich fast durchgehend angespannt. Ich wünschte, ich würde es irgendwie hinbekommen, mich wegen der Schule weniger zu stressen. Doch das ist eben keine Entscheidung, die ich einfach so treffen kann. Diesen Leistungsdruck habe ich einfach in mir, der lässt sich nicht von jetzt auf gleich abschalten.

„Du schaffst das locker.", sagt Josh am Montagmorgen im Schulflur. Immer wieder wühle ich unruhig in meinem Rucksack, schaue nochmal nach, ob ich alles Nötige eingepackt habe. In meinem Kopf gehe ich noch einmal die Inhalte durch, auch wenn ich genau weiß, dass das so kurz vor der Klausur sowieso nichts bringt.

„Mhm...", erwidere ich geistesabwesend und nicht ganz so überzeugt wie Josh.

„Hey." Er legt die Hände auf meine Schultern und schaut mich eindringlich an. „Mach dich nicht verrückt. Wenn das jemand schafft, dann du."

Ich erwidere seinen Blick und muss kurz lächelnd. Dankbar drücke ich ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. Mittlerweile habe ich mich in der Schule daran gewöhnt. „Ich muss los. Wir sehen uns in der Pause." Mit diesen Worten mache ich mich auf den Weg zu dem Raum, in dem ich die Klausur schreibe.

Warum muss ich nur so verdammt aufgeregt sein? Das trägt nicht unbedingt dazu bei, dass ich einen klaren Kopf habe. Zu allem Übel sitzt auch noch direkt neben mir Magnus. Bisher ignoriert er mich zum Glück jedoch weitestgehend und spart sich Gott sei Dank eine dumme Bemerkung.

„So, ich wünsche euch allen viel Erfolg. Abgabe ist um zehn Uhr. Ihr dürft die Zettel jetzt umdrehen." Mit diesen Worten eröffnet mein Mathelehrer schließlich die Klausur, nachdem sich alle eingefunden haben. Ich starre auf das Aufgabenblatt und lese mir die erste Aufgabe durch. Okay... das sollte noch zu schaffen sein. Nachdem ich diese Aufgabe gelöst habe, bin ich etwas zuversichtlicher.

Die Zuversicht schwindet im Laufe der Klausur leider etwas. Die anderen Aufgaben sind deutlich schwerer als die erste. Eine leichte Klausur ist das hier jedenfalls nicht. Langsam wird auch die Zeit etwas knapp.

Mit den meisten meiner Ergebnisse bin ich dann doch relativ zufrieden. Schließlich mache ich mich an die vorletzte Aufgabe, eine Textaufgabe. Diese mag ich eigentlich am liebsten.

Ich will gerade den Stift ansetzen, als sich ein mulmiges Gefühl in mir breit macht. Nein, bitte nicht ausgerechnet jetzt. Bitte nicht.

Doch ich kann nichts mehr tun, um den Anfall irgendwie zu verhindern. Ich lege meinen Stift ab und blicke verzweifelt auf, als sich wieder einmal das unangenehme Kribbeln in meinem Körper ausbreitet und meine Umgebung sich von mir zu entfernen scheint. In meinen Ohren ertönt ein durchdringendes Piepen. Ich gebe einen unverständlichen Laut von mir, sehe noch meinen Lehrer langsam auf mich zukommen – dann bin ich weg.

controlWhere stories live. Discover now