1. Visionen

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-𝑴𝒊𝒌𝒐𝒔 𝑺𝒊𝒄𝒉𝒕:

Schon wieder eine Vision...
Die selben Tieren wie die letzten Male auch...

Meine schneeweißen Pfoten waren nass. Nass vom Blut, das auf dem kalten Erdeboden floss und den Pelz an meinen Beinen rot färbte.
Ich stand in einem mir unbekannten Wald, obwohl ich in meinen Träumen schon oft genug hier war, um jeden Busch auswendig zu kennen.
Wie jedes Mal sah ich mich um, in der Hoffnung einen Baum zu sehen, der nicht von Krallen zerkratzt oder Fellfetzen überzogen war. Kein Lichtschein erhellte die Umgebung und ich glaubte, alleine zu sein.
Aber ich war es, wie jedes Mal, nicht.

Vor mir saßen zwei tierische Schattengestalten.
Sie hatten die Form zweier Tiger angenommen... einer von ihnen hatte einen schwarzen Pelz, mit weißen Streifen, der andere hatte einen weißen Pelz mit schwarzen Streifen.
Beide Tiger sahen mich mit ihren leeren, pupillenlosen Augen an und ich trat näher.
Da hoben sie beide eine ihrer großen Vorderpratzen und berührten die des anderen.
Ihre Krallen bohrten sich in den Pfotenrücken des anderen und sie pressten ihre Ballen aufeinander.
Blut tropfte von ihren Pratzen, auf den Boden und vermischte sich mit der roten Flüssigkeit, die den Boden flutete.
Ich sah hinunter und sah leichte Wellen darin, die um meine blutgetränkten Pfoten schwappten.
Als ich aufsah, starrten die Tiger mich immer noch an.
Sie öffneten ihre lechzenden Mäuler und fauchten laut. Ich wich zurück und ihr Fauchen wurde nur lauter.
Und dann...
Schlug ich die Augen auf.

Mittlerweile wachte ich nicht mehr in Panik auf und mein Körper war nicht mehr in Schweiß gebadet, sobald der Traum vorbei war.
Oder Albtraum... oder eben Vision.

"Miko! Aufstehen, ich muss Autum und Hatcher in den Wald bringen! Du solltest mit Nayl in die Schule!" ertönte die laute Stimme meiner Mutter aus der Küche unserer Wohnung und ich setzte mich murrend auf.
Meine schneeweißen Haare saßen wie ein Vogelnest auf meinem Kopf und ich sah von meinem Hochbett hinunter, zu Liam.
Er stand vor Nayl, dessen Bett sich unter meinem befand, und half dem Kleinen, sich anzuziehen.
"Komm schon, du Albino-Wolf. Schwing deinen Arsch hierher." knurrte Liam mich an und da wachte Autum auf, der auf der gegenüber liegenden Raumseite in seinem mit Risha geteilten Doppelbett lag.
"Halt die Klappe, Liam! Du weckst Risha." murmelte der braunhaarige Wolfswandler, auch als mein Bruder bekannt, und strich über den angeschwollenen Bauch seiner schwangeren Partnerin, die neben ihm döste.

Ich verdrehte die Augen, schwang meine Beine über den Bettrand und kletterte die Leiter, die den Boden und mein Bett verband, hinunter.
Ich ignorierte Liams Bemerkungen über meine Haar- oder Fellfarbe und ging aus dem Zimmer, durch den Gang und in die Küche.
Dort saß schon Hatcher, mein Ersatzvater, auf der Chouch, während meine Mutter, Amoura, am Herd stand und eine Tonne Frühstückspancakes für uns machte.
Unsere Familie, unser Rudel... wie man es nannte... war ziemlich groß und unser Haus auch relativ überfüllt. Dabei war die andere Hälfte unseres Rudels immer noch im Wald und kümmerte sich um unser Lager dort.
Manche Leute waren eben nicht für das Leben in einer Stadt geschaffen...

"Wo bleibt Nayl? Ich hab ihm sein Essen für die Schule eingepackt und Hatcher muss-..." "Ich weiß, Mom. Er muss ins Lager und ich muss Nayl in die Schule bringen." unterbrach ich sie und schnappte mir einen der Pancakes.
"Komm Hatcher, die Zeitungsrätsel können warten." murrte ich und biss hinein, bevor ich Hatchers Tasche nahm, die neben dem Herd, auf der Küchentheke stand. Ich hängte sie über meine Schulter und ging voraus, aus der Küche und zur Haustür.
Dort wartete Autum bereits, der sich nicht einmal die Mühe machte, sich umzuziehen, weil er bald sowieso in seiner Wolfsgestalt im Wald herumlaufen und mit Liam jagen würde.
Sein missbilligender Blick musterte mich und ich ignorierte ihn, wie jeden Tag aufs Neue.
Da kam Hatcher schon um die Ecke und nahm sich seine Jacke.
"Du solltest mal wieder auf eine Fellpflege in den Wald kommen. Dein weißes Fell wird sicher schnell dreckig." grinste der 40-jährige Wolfswandler und ich funkelte ihn belustigt durch meine eißblauen Augen an.
"Schnauze, Hatcher."

.
Eine Stunde später hatten wir Liam und Hatcher im Wald abgeladen und Autum war mit mir und Nayl noch zur Schule gefahren, bevor er selbst in den Wald fuhr.
Da ich meinen Schulabschluss bereits hatte und meine Familie dachte, ich wäre für sie nutzlos, hatte ich Freizeit, sobald Nayls Unterricht anfing.
Wegen meiner einzigartigen Fellfarbe, die auch auf meine Menschenhaare überlief, waren die meisten aus meinem Rudel schon misstrauisch. Als meine Visionen anfingen, drehten sie mir alle den Rücken zu und seit dem lebte ich wie im falschen Film.

"Miko?" riss mich Nayls Stimme plötzlich aus den Gedanken und ich blinzelte verwirrt.
"Bleibst du da jetzt noch ewig stehen?" fragte der kleine Wolfswandler und nahm meine Hand.
Seufzend schüttelte ich den Kopf und lächelte den Kleinen an.
"Nein... komm, wir gehen. Deine Freunde warten sicher schon." meinte ich und ging mit ihm ins Schulgebäude, direkt vor uns.
Der Kleine war der einzige, der mich nicht für komisch oder verrückt hielt. Meine Fellfarbe war ihm egal und meine Visionen verglich er mit seinen harmlosen Träumen.

Also brachte ich ihn in seine Klasse und verabschiedete mich von ihm.
Jetzt, da er im Unterricht war und mein Rudel keinen Nutzen für mich hatte, konnte ich den restlichen Tag genießen.
Zumindest bis zum Schulende.

𝑺𝒏𝒐𝒘𝒇𝒂𝒍𝒍 𝒎𝒊𝒅 𝒔𝒖𝒎𝒎𝒆𝒓 |BLWhere stories live. Discover now