4. kalt

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Wieder sah ich die beiden Tiger vor mir.
Wieder krallten sie sich in die Pratzen des anderen, Blut tropfte auf den sowieso schon überschwemmten Boden. Aber dieses Mal war etwas anders.
Ich wusste etwas mehr, als beim letzten Mal.

Langsam setzte ich meine blutüberströmten Pfoten über den nassen Boden, watete durch das Blut und auf die Tigergestalten zu.
Sie starrten mich durch ihre leeren Augen an, fixierten mich und rührten sich nicht.
Ich kam zu ihnen und spähte in die Dunkelheit hinter ihnen, ignorierte die Tigergestalten ein einziges Mal.
Und da war er tatsächlich.
Von seinem schwarzen Fell im Schatten versteckt, auf der anderen Seite der Traumgestalten, da stand er.
Seine weißen, durchstechenden Augen bohrten sich in meine, sein Fell bewegte sich mit dem leichten Wind, der durch die Bäume pfiff.
In meinem Kopf blitzte sein Name auf.
Zayl.

Ein großer, starker und schwarzer Wolf, der mir gegenüber, auf der anderen Seite meiner Vision stand und mich ansah.
Er nickte mir zu und kam näher, bis wir auf beiden Seiten der verschiedenfärbigen Tiger standen.
Ich nahm seinen schwachen Geruch auf, prägte mir seinen pechschwarzen Pelz, seine schneeweißen Augen ein, und hob den Kopf etwas an.
Ich wollte mit ihm reden, bevor die Vision vorbei war.
Bevor ich aufwachte.
Aber er lehnte meinen Versuch ab und sah zur Seite, in den dunklen Wald.
Zu meinem Entsetzen stand dort ein junger, graubrauner Wolf.
Nayls dunkle Augen starrten mich still an und sein Fell war gegen den schwachen Wind aufgeplustert.

Ich wusste nicht, warum er in meinem Traum war... aber als ich blinzelte, war er wieder weg.
Ich wandte mich Zayl zu, aber er sah mich nicht an.
Er starrte dorthin, wo Nayl gestanden hatte..

Verwirrt nahm ich etwas Abstand von ihm und den Tigern, sah auf den Boden und plätscherte im Blut auf dem Boden herum.
Da verblassten die Gestalten vor meinem geistigen Auge, verschwommen ineinander und ich schloss die Augen. Im nächsten Moment wachte ich auf.

Sofort fuhr die Kälte in meine steifen Glieder und ich blinzelte verschlafen um mich.
Gestern waren wir bis spät in die Nacht wach und blieben im Lager, um hier zu schlafen.
Jedoch hätte ich nicht erwartet, dass es durch die Äste und Blätter schneien würde.
Mein weißes Fell war vom kalten Schnee überdeckt und meine Pfoten bereits völlig durchnässt.
Mir fiel auf, dass ich... alleine im Bau lag.

Wo waren Hatcher und Autum? Und Liam...?
Sie waren hier, als ich eingeschlafen war. Sie... hätten mich doch nicht im kalten, nassen Bau alleine gelassen... oder?
Sogar Hatcher?

Enttäuscht knurrend zog ich meine Pfoten unter meinen Körper und stand langsam auf.
Um mich herum waren schneefreie Plätze zu sehen. Nur ganz leicht angezuckert...
Hatcher, Autum und Liam waren wirklich einfach ohne mich ins Haus gegangen...
»Hatcher? Warum habt ihr-...« »Hey, Miko, es tut mir leid. Ich durfte dich nicht wecken. Ich sollte mich nicht einmischen... dein Bruder und Risha sind nur etwas... aufgeregt... Du solltest sie besser in Ruhe lassen.« antwortete mir seine Stimme, ziemlich prompt, und ich schlich aus dem Bau.
Kalter Wind und eine Tonne Schneeflocken klatschten mir in die Schnauze und ich drehte genervt den Kopf zur Seite.
Aber Hatcher hatte recht. Das ganze Rudel war gerade schlecht auf mich zu sprechen und das zeigten sie mir ziemlich offen...

Also brauchte ich garnicht erst in das warme, gut gedämmte Haus am Rande unseres Lagers zu gehen, wo der Rest meiner Familie gerade schön frühstückte. Ich drehte mich stattdessen davon weg und schlenderte durch den Schnee, in den Wald.

.
Einige Zeit später rannte ich hechelnd durch die endlosen Bäume des Waldes und strengte meine kalten Muskeln an, schneller zu laufen.
Die Kälte saß immer noch tief in meinen Gliedern und seit ich aufgewacht war, fühlte ich mich schwächer als sonst.
Das kam bestimmt vom plötzlichen und sinnlosen Wetterumschlag.
Also rannte ich, sprintete schon fast zwischen die Bäume hindurch und über schneebedeckte Felsen, die fest im Boden saßen.
Die kalte Luft sauste an meinen sensiblen Ohren vorbei und fuhr durch mein schneeweißes Fell.

Ich kniff die Augen dagegen zusammen und rannte weiter, weiter und immer weiter, bis ich plötzlich lautes Jaulen hörte.
Ich blieb aprupt stehen und wirbelte eine Wolke Schneestaub auf, bevor ich mich verwirrt umsah. Vor mir stand ein schwarzer Wolf... und schüttelte sich den Schneestaub aus dem Fell, den ich aufgewirbelt hatte.
»Ähm...« »Du bist Miko, oder?« ertönte eine fremde, angenehme Stimme in meinem Kopf und ich musterte den Wolf vor mir.
Zayl...?
Er war größer als ich, starrte mich mit seinem kalten Blick an und ich nickte, als Antwort auf seine Frage.
»Dann muss ich mit dir reden«
Darauf sah ich ihn verwirrt an und legte den Kopf schief. Mein Sichtfeld verzerrte sich vor meinen Augen und mir wurde schwindelig.
Überfordert schüttelte ich den Kopf und blinzelte den großen Wolf vor mir an.
Meine Glieder schmerzten vom Stechen der Kälte, von der Nässe, die sich von meinen Pfoten in mein Fleisch fraß.
War das eine weitere Vision, die sich ankündigte?
War es mein Kreislauf? Die Kälte alleine?

Langsam taumelte ich nach hinten und merkte, wie mein Kopf sich mit verwirrendem Nebel füllte.
»Alles ok?« hallte Zayls Stimme in meinen Gedanken wieder und diesmal kam sie mir unangenehm laut vor.

Ich versuchte, ihm zu antworten aber in meinem Kopf formten sich nur verwaberte Worte, schon gar keine richtigen Sätze.
Der schwarze Wolfswandler kam näher und roch vorsichtig an mir.
Ich legte unsicher die Ohren an und verdrehte benommen die Augen.
Im nächsten Moment knickten meine Beine unter meinem pelzigen Körper weg und ich stolperte zu Boden.

Es war kalt.
Eiskalt.
Ich spürte grobe Schleckbewegungen an meiner Wange, meinem Hals... von denen Wärme ausging. Nur ganz wenig, aber es war wärmer, als... ich.

Hechelnd öffnete ich den Mund und atmete ein paar Mal tief durch, dann wurde plötzlich alles schwarz...

𝑺𝒏𝒐𝒘𝒇𝒂𝒍𝒍 𝒎𝒊𝒅 𝒔𝒖𝒎𝒎𝒆𝒓 |BLWhere stories live. Discover now