47. Juni

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-𝒆𝒊𝒏𝒊𝒈𝒆 𝑱𝒂𝒉𝒓𝒆 𝒔𝒑𝒂̈𝒕𝒆𝒓:

Mit blutbeschmierten Händen und einem zufriedenen Grinsen auf dem Gesicht, trug ich meinen satten Fang in die Mitte des Lagers.
Karsa hatte bereits das Feuer vorbereitet und schnibbelte mit Hatcher, Nayl und Veronica an dem Hirsch, den Liam gestern zusammen mit Kay gerissen hatte.
Heute war ein wichtiger Tag für uns alle.
Es war nun schon zehn Jahre her, seit... Miko, Zayl, Denise und Zlara von uns gegangen waren.
Seit zehn Jahren lebten unsere beiden Rudel zusammen und wir hatten unser Lager dementsprechend ausgebaut.
Nayl war erwachsen, Hatcher wurde alt.... Sophia und Koray... die beiden waren in der Blüte ihres Lebens und ich und Autum lebten unser Leben als Wölfe in der freien Natur.
Mona hatte Dilay aus Zayls Rudel geheiratet und Amoura hatte zusammen mit Hatcher die Rolle der Alphas über beide Rudel übernommen. Immerhin waren wir jetzt nur noch ein riesiger Haufen an zusammengewürfelten Wölfen.
Und heute... war unsere jährliche Gedenksfeier für unsere beiden Helden, die vor Jahren wortwörtlich unsere ganze Welt gerettet hatten.
Keine Sorge, Zlara und Denise wurdenvon uns nicht vergessen.
Wie sollten wir auch?

"Hey Mom! Wirf rüber!" ertönte da die Stimme meines Erstgeborenen, Nayl, und ich sah, wie er seine Hand in die Luft streckte.
Er war so viel gewachsen, dass er sogar mit Hatcher auf Augenhöhe war und ich warf ihm den Hasen zu, der in meiner Hand baumelte.
Er fing den toten Körper und begann sofort, ihn mit seinen geschickten Messerkenntnissen zu häuten, zu zerteilen und auszuweiden.
Belustigt wandte ich mich ab und wollte Autum suchen, da kam mir Kinia in die Quere.
"Oh, hallo... beachte mich gar nicht. Ich hab nur... den Hasenfuß von gestern verlegt..." lächelte die alte, ehemalige Hexenmeisterin und stützte sich schwer auf ihren gewundenen, brüchig gewordenen Gehstock.
Sie war auch in ihrer gebückten Haltung größer als ich und noch sehr... gut imstande.
Dafür, dass sie ihr Amt als Anführerin des Hexenzirkels vor all den Jahren aufgegeben hatte und seit dem ganz normal alterte.
Dass sie hin und wieder Dinge verlegte, war also nun normal.

"Mama!"
Oh, das war Korays Stimme.
"Was denn?" fragte ich den aufgeweckten Wolfsjungen, der sich spielerisch an mein Bein klammerte.
Seine Haare leuchteten rot-braun und hingen verworren in sein Gesicht.
Zlara hatte damals recht. Ihre Magie hatte die Fellfarbe meiner Kinder verändert.
Bei Koray war es aber nicht schlimm.
Sein Fell war braun und rot, seine Augen waren grün.
Aber Sophia... naja...

Gerade, als ich an sie dachte, kam sie schon aus dem Wald gejagt.
Ihr Wolfskörper war sehr schlank und für ihr Alter schon relativ groß.
In Sachen ihres Körperbaus kam sie also nach mir. Aber... ihr Fell war blau-lila.
Ihr Kopf war fast komplett schwarz mit braunen Ohren, aber ihre Schultern, ihre Beine und ihre Flanken waren lila, ihre Pfoten und ihr Schweif dunkelblau.
Die ersten Jahre war es komisch, besonders unter anderen Wandlern und in ihrer Schule.
Aber heute... war sie einfach meine durchgeknallte Tochter.
Mit lilanen Haaren.

"Mom! Ich hab Geister im Wald gesehen!" rief die aufgewühlte 10-Jährige, nachdem sie sich im Sprung verwandelt hatte.
"Geister, huh?" mischte sich auch Kinia ein und Veronica beobachtete uns belustigt vom Lagerfeuer aus. 
"Wie haben die denn ausgesehen?" fragte die alte Hexe und setzte sich auf den Boden, wo Sophia ihr sofort gesellschaft leistete, bevor auch Koray auf Kinias Schoß kletterte.
"Da waren... hm... zwei Frauen. Hexen, so wie du. Eine von ihnen hat mich so nett angelächelt und etwas gesagt. Aber ich hab das nicht verstanden. Das klang so... komisch." erzählte die aufgeregte Wölfin und ich kam verblüfft näher. Sie konnte nicht wissen, wie Zlara und Denise ausgesehen hatten, geschweige denn, wie sie redeten.
"Sophia, hast du diese Personen wirklich gesehen?" fragte ich und hockte mich auf den warmen Grasboden, zu ihr, Koray und Kinia.
Meine Tochter nickte eifrig und erzählte weiter, wobei sie sich ihre langen, lilanen Haare aus dem Gesicht strich.
"Sie waren so richtig durchsichtig, wie Geister eben. Und sie haben gewabert und... genebelt?" "Genebelt? Ist das überhaupt ein Wort?" murmelte Kinia mit einem sanften Lächeln auf dem Gesicht und ermunterte Sophia, weiter zu erzählen.
Mittlerweile realisierte ich jedoch, dass sich all die anderen um uns herum versammelten.
Ohren wurden gespitzt und Gesichter wandten sich zu uns, um Sophias Erzählungen zu lauschen.

"Ach ja, da waren noch welche! Zwei Männer, die genau wie wir sind. Sie haben sich in Wölfe verwandelt, einen Weißen und einen Schwarzen. Sie haben mit mir fangen gespielt und sind neben mir durch die Luft gejagt! Oh!, und da waren zwei Tiger! Sie- Sie haben mitgespielt und...!"
Ihre Erzählung wurde immer wilder und ihre Stimme vor Begeisterung immer höher.
Was sie aber alles erzählte, traf auf Miko zu. Es traf auf Zayl zu, auf Denise und auch Zlara.
Es brauchte nicht viel, um uns realisieren zu lassen, dass sie... auf uns aufpassten. Sie waren da.
Sie waren nicht weg, nur weil sie gegangen waren.
Sie hatten uns etwas hinterlassen.
Wir konnten sie spüren.
In den Bäumen... im Wind...
Ihre Fußspuren auf dem Boden, die ich die letzten Jahre immerwieder vor unserer Haustür gefunden hatte.
Sie waren nie ganz weg.
Sie waren nur still. Und leise...

Kinia sah sich lächelnd um, wusste, dass wir alle an das Gleiche dachten.
Und da... raschelten plötzlich Blätter.
Ich fuhr herum und starrte verwirrt in den Wald.
Ein Busch bewegte sich, dann der Farn daneben... Niedrige Äste wackelten...
"Seht ihr das auch-...?" wollte ich fragen, aber mir fiel auf, dass niemand sonst es gehört hatte...
Und da war es plötzlich wieder weg.
Keine Geräusche mehr und kein Rascheln. Nichts bewegte sich...
Nur der leere Wald...

"Sie waren da und haben mit mir gespielt, ich verspreche, ich lüge nicht!" lachte Sophia und ich wandte mich ihr wieder zu.
"Wir glauben dir. Das tun wir alle wirklich, versprochen." meinte da Hatcher und kniete sich auf seinen alten Beinen zu ihr hinunter. Er nahm sie Kinia ab und hob sie auf seinen Schoß, bevor er durch ihre zerzausten Haare wuschelte.
Sophia grinste über beide Ohren und sah zusammen mit ihrem Bruder Koray zum Himmel hinauf.

"Oh! Da! Schaut mal!" rief sie und ihr Grinsen wuchs, als wir ihrem Blick in den Himmel folgten.
Und siehe da...
Eine Schneeflocke.
Mitten im Juni...

_____________________𝐄𝐧𝐝____

𝑺𝒏𝒐𝒘𝒇𝒂𝒍𝒍 𝒎𝒊𝒅 𝒔𝒖𝒎𝒎𝒆𝒓 |BLWo Geschichten leben. Entdecke jetzt