7. versteckt

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Sein kalter Blick bohrte sich in meinen.
Ich wusste nicht, was jetzt kommen würde.
"Zayl...?" fragte ich leise und unterdrückte meinen Hustenreiz.
Das Fieber...

"Du warst das nicht, oder?" meinte er standfest und ich schüttelte automatisch den Kopf.
"Ich... habe schon eine Vermutung."
Als er das sagte, jagte ein kalter Schauer über meinen Rücken, ganz so, als wüsste etwas in mir, was Zayl dachte.
"Ich glaube, es war der weiße Tiger mit den schwarzen Streifen aus unseren Visionen."

Irgendwie... machte das keinen Sinn.
Wir sahen beide die gleichen Tiere, hatten die selben Träume, aber wie sollte eine Schattengestalt aus einer Vision so real werden?
Der Tiger hätte den Welpen ohne einer hinterlassenen Spur töten müssen.
Kein Geruch, keine Pratzenspuren vor dem Bau... nur darin. Und die waren von Blut und Schnee verschmiert, sodass man nicht sagen könnte, ob es ein Tiger, ein Löwe oder ein Wolf war.
Aber ein Tiger aus der Vision...?

"Aber... wie soll das gehen?" fragte ich leise und da kam Zayl etwas näher zu mir.
Er drückte die Spitze seines Fingers gegen meine Stirn und mir wurde plötzlich schwarz vor Augen.
Aber ich hörte Zayl immernoch.
Und ich wusste noch, wo ich war...

"Ich werde dir später alles erklären. Konzentrier dich jetzt nur auf die letzten Tage." ertönte seine Stimme durch die Dunkelheit und ich tat, was er mir auftrug.
Ich wusste aus irgendeinem Winkel meines Verstandes, dass ich ihm vertrauen konnte.

Als ich also an die Ereignisse der letzten Tage dachte, fiel mir auf, dass sich mein Körper bewegte.
Zayl hielt mich fest, seine Fingerspitze immer noch gegen meine Stirn gedrückt und seinen Arm um mich geschlungen.
"Konzentrier dich." schärfte mir seine Stimme erneut ein und ich wandte mich von den Berührungen ab, die ich spürte.
Vor meinem geistigen Auge tat sich ein Bild von Nayl auf. Kleine Pfotenabdrücke führten von ihm weg und er sah ihnen nach.
Er stand auf und trappelte seinen eigenen Spuren nach.
Ich folgte ihm, auf leisen Pfoten und blieb dicht an ihm dran.
Um uns herum taten sich Erinnerungen auf...
Der kalte Morgen, an dem meine Familie mich absichtlich im durchnässten Bau gelassen hatte...
Der Tag, an dem ich Zayl zum ersten Mal sah.
Der Moment, als ich die Silhouette des schwarzen Tigers mit den weißen Streifen im Schatten einer Gasse sah.

"Genau da. Bleib stehen. Sieh genauer hin." hörte ich Zayls Stimme erneut und ich blieb sofort stehen.
Vor mir war Nayl abgebogen... Seine Pfotenabdrücke führten in die Gasse, direkt zu dem Tiger.

Ich sah genauer hin. Ich ging Nayl nach, so weit ich konnte und musterte den Tiger, der im Schatten der Gasse stand.
Diese Schattengestalt sah mich mit ihren kühlen Augen an und trat zur Seite, als Nayl bei ihm war.
Der Jungwolf kam in die Gasse und ging an dem Tiger vorbei, in den tiefen Schatten, bevor er darin verschwand.
Der Tiger drehte sich von mir weg und ging Nayl nach.
Er verschwand, genauso wie der Kleine.

Da löste sich Zayls Fingerspitze von meiner Stirn und ich öffnete die Augen.
Der große Wolfswandler hatte sich in den kalten Schnee gekniet und hielt mich sanft auf seinem Schoß.
"Das... hängt alles mit den Tigern zusammen..." flüsterte ich und Zayl nickte.
Ich setzte mich etwas auf und sah mich verwirrt um.
Alles drehte sich...
"Geh es langsam an. Beim ersten Mal sind ein paar Leute schon umgekippt." hörte ich Zayls Stimme neben meinem Ohr und ich seufzte.
Ich fragte mich schon gar nicht mehr, wie er das gemacht hatte...
Es würde mich mittlerweile nichtmal mehr überraschen, hätte ich auch irgend eine mystische, versteckte Kraft, von der ich nichts wusste.

Langsam verschwand das Schwindelgefühl und ich richtete die Jacke, die Zayl mir gegeben hatte.
"Du hast immernoch Fieber." murmelte er, mit einem besorgten Unterton und sah sich um.
Ich spürte das kränkliche Gefühl deutlich und meine Finger fühlten sich durch den fallenden Schnee eißkalt an.

"Aber... was sollen wir jetzt machen? Ich kann nicht zu meinem Rudel zurück, bevor ich Nayl gefunden habe... und was ist mit dir?" meinte ich und rückte automatisch näher an ihn, um mich etwas zu wärmen.
Jedoch merkte ich, dass sein Körper fast keine Wärme von sich gab...
"Ich glaube... ich muss dir helfen. Und ich sollte dir noch etwas erzählen." lächelte er mich an und ich spitzte neugierig die Ohren.
"Als meine Visionen angefangen haben... hat sich mein Körper verändert. Seit dem konnte ich keine Wärme mehr spüren. Wenn ich will, kann ich... naja..."
Darauf holte er ein kleines Tuch aus seiner Hosentasche und zeigte es mir.
Und im nächsten Moment...
Wurde es von einer Eisschicht überzogen.

"Was...?"
Überfordert sah ich das Tuch an und berührte es.
Eiskalt und steinhart.
"Es ist ein kleiner Nebeneffekt, glaube ich..." murmelte Zayl und ließ das Tuch fallen.
"Aber wenn du keine Wärme spüren kannst..." entgegnete ich und berührte seine Finger.
Eiskalt.

"Miko, das ist nicht wichtig. Wir sollten uns auf deinen Neffen und... Kaylas Tod konzentrieren. Die Tiger wollen uns etwas sagen." meinte Zayl und ich nickte.
Er hatte recht...
Was für ein Durcheinander das auch war, wir sollten wenigstens versuchen, es zu entwirren.

Und da wir die einzigen waren, die diese Vision sahen, waren wir auch auf uns alleine gestellt.

𝑺𝒏𝒐𝒘𝒇𝒂𝒍𝒍 𝒎𝒊𝒅 𝒔𝒖𝒎𝒎𝒆𝒓 |BLWhere stories live. Discover now