37. waberndes Etwas

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Hm...
Ein vertrautes Bild...

So etwas hatte ich schon erwartet. Nachdem Zayl und ich nach unserer langen, heißen Nacht schlafen gegangen waren, trafen wir uns in einer Vision wieder.

Im Wald.
Ein dunkler Wald... Der Boden voll Blut und der Himmel schwarz wie Kohle.
In der Mitte der fahl beleuchteten Waldlichtung saßen Jing und Jang, ihre Pratzen in die des anderen gekrallt.
Und mir gegenüber stand Zayl.

Schwarzes Fell, breite Schultern und schneeweiße, durchstechende Augen.
Sein Pelz war von einer feinen Tauschicht überzogen, seine Pfoten froren das Blut, auf dem er langsam in meine Richtung ging.
Ich setzte meine pelzigen Beine ebenfalls über den Boden, kam ihm entgegen und sah an mir herunter.
Meine Pfoten... standen in Flammen.
Die rote Flüssigkeit auf dem Boden brodelte überall, wo ich einen Schritt tat und berührte mein Fell nun nicht mehr. Ganz anders, als damals, als das Blut von tausenden Unschuldigen an meinen Händen haftete und mein Fell durchweichte.

Ich sah erneut auf und begegnete Zayls Blick.
Wir standen uns nahe gegenüber. Nur noch die beiden Geistertiger trennten uns.
Nur noch ihre ineinander gekrallten Pratzen trennten uns.

Plötzlich hörte ich Schritte.
Auch Zayl sah sich verwirrt um.
Das Geräusch kam aus dem Wald. Es wirkte sehr nahe.
Und da kam tatsächlich jemand aus der Dunkelheit der Bäume.
»Alexandra...« »Taikã...«

Die geisterhaftige Gestalt kam lächelnd auf uns zu, mit erhobenem Haupt und ausgebreiteten Armen.
Wir sahen sie alle beide verwirrt an und auch die Tiger bemerkten sie.
"Ich habe auf euch gewartet. All die Jahre... es hat sich gelohnt." ertönte die Stimme der toten Hexenmeisterin und ich merkte, dass sie dieses Mal wirklich... menschlich klang. Sie hörte sich an wie die junge, hübsche Frau, die sie war und nicht wie ein veralteter Geist, wie bei unserem letzten Aufeinandertreffen.
"Es ist mir eine Ehre, direkt mit euch zu sprechen. Tut mir leid, dass ich eure Fragen bei unserem letzten Treffen nicht beantworten konnte." lächelte sie und vollführte eine winkende Bewegung mit ihrer rechten Hand.
Sofort lösten die beiden Tiger in unserer Mitte ihre Pratzen voneinander und kamen zu ihr.
Sie hockte sich nieder, begrüßte die beiden Geistertiger voller Liebe und Zuneigung und ließ sie sich gegen ihren Körper drücken.
Die beiden Großkatzen pressten ihre Köpfe gegen ihre Hände, schleckten sie ab und schmiegten sich zu ihr.

Mit einem Mal konnte ich sehen, wie tief ihre Verbindung zu den Tieren war.
Sie hatte die beiden Tiger erschaffen, sich um sie gekümmert und sie so lange an ihrer Seite gehabt... Auch, wenn die beiden Tiere nur erschaffen wurden, um zwei Gegensätze zu repräsentieren, waren sie doch im Endeffekt nur zwei vernachlässigte Seelen, denen niemand gesagt hatte, dass sie in die falsche Richtung liefen.

Ich sah fasziniert zu Zayl, dann zurück zu Alexandra und bewunderte die Liebe, die sie für die beiden Tiere aufbrachte.
"Ich kann leider nicht länger bleiben, egal wie gerne ich euch eure Fragen beantworten und mit euch plaudern würde. Aber ich weiß, dass ihr das auch ohne mich schafft. Denn, wenn wir uns das nächste Mal sehen... wird alles vorbei sein."
Als Alexandra das sagte, stand sie auf und wandte sich an uns, worauf auch Jing und Jang uns anstarrten.
"Ihr habt es fast geschafft. Nur noch ein Stückchen."

.
"Miko..."
Zayls sanfte Stimme weckte mich und ich spürte seine kalten Finger auf meiner Wange.
Ich zuckte zurück, drückte seine Hand weg und wischte mir belustigt die Tauschicht von der Wange, die er hinterlassen hatte.
"Ist es nicht ein bisschen früh dafür?" murmelte ich und setzte mich auf, als mich plötzlich ein stechender Schmerz davon abhielt, mich ganz aufzurichten.
"Ah! Auaa!..." murrte ich und Zayl seufzte belustigt.
"Geh es langsam an. Hier, ich helf dir." meinte er und legte seine Hand an meinen unteren Rücken.
Ich spürte, wie sich die Kälte von seiner Hand ausbreitete und stöhnte erleichtert.
"Ah, praktisch..."
Ich lehnte mich zu Zayl und seufzte, nicht von meiner Unüberlegtheit überrascht.
Natürlich hatte ich vergessen, was so eine Nacht nach sich ziehen würde.
Aber das war es wert.
Zugegeben.

Der große Wolfswandler legte seine Hand an meine Schulter und seinen Kopf auf meinen, bevor er zufrieden flüsterte "Du bist so schön warm."
Das ließ mich grinsen und ich schloss meine Augen.
So an ihn gekuschelt, mit meinem Kopf an seiner Brust und seiner Hand an meinem... Hintern...
Naja.
So konnte ich das Leben genießen. Vielleicht glaubte man das nicht wirklich, bei all dem Stress. All dem Chaos und der ganzen... Zombiegeschichte mit zerfleischten Wandlern, die sich gegenseitig an die sowieso schon zerfetzte Kehle wollten.
Und ich wollte gar nicht erst mit dem Hexenzirkel anfangen...
Aber...
Das alles mal außer Fokus zu lassen... oder einfach zu akzeptieren.
Das war es, was mich diesen Moment mit Zayl so richtig genießen ließ.

Wir blieben eine Weile so ineinander gekuschelt sitzen, bis Zayl mich antippte und ich meine Augen öffnete.
"Schau..." flüsterte er und deutete in den Raum.
Ich folgte seinem Finger mit meinem Blick, bis ich in der Mitte des Schlafzimmers etwas erkannte.
Die Luft... waberte?
Verwirrt richtete ich mich etwas auf und sah genauer hin.
Ein Portal war es nicht... da fehlte der Wind. Aber magisch sah es definitiv aus...

"Vielleicht ein fehlgeschlagenes Portal... oder so?" murmelte Zayl, während das wabernde... Ding... langsam Form annahm.
Es sah aus, wie eine Einblende... schwarze, wabernde Ränder und ausschlagende Magiefäden.
Und da war ein Bild zu sehen. Wie... eine Nachricht.

"Zlara?!" entfuhr es mir, als ich die ukrainische Hexe sah, wie ich sie mit zerfetztem Hexenhut und Blut an den Händen erkannte.
Was war da los?!

"Ihr beiden! Chört mir zu! Ich kann euch nicht erklären, aber chommt zu mir! Ihr müsst-! Ihr-..."
Plötzlich war ein lauter Knal zu hören und man konnte sehen, wie die Hexe von etwas weggeschleudert wurde.
Die magische Nachricht begann, zu flackern und man konnte Zlara nur noch  schwer erkennen.
Als sie sich jedoch zur Seite drehte und ein Stück ihrer Umgebung sichtbar wurde, erkannte ich sofort, wo sie war. 
"D-da war die Walpurgisnacht! Sie ist dort!" "Und sie kämpft mit jemandem?" murmelte Zayl verstört, als auch ich die verschwommene, kaum erkennbare Gestalt im Hintergrund erkannte.

Im nächsten Moment verschwand die wabernde Nachricht, fiel in sich zusammen und hinterließ schwarze Magiefäden auf dem mit Teppich überzogenen Boden.
Zayl und ich sahen uns für eine Sekunde verstört an, bis sich förmlich ein Schalter in unseren Köpfen umlegte.

"Wir müssen ihr helfen!"

𝑺𝒏𝒐𝒘𝒇𝒂𝒍𝒍 𝒎𝒊𝒅 𝒔𝒖𝒎𝒎𝒆𝒓 |BLWhere stories live. Discover now