Kapitel 27

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Jamals POV

Mein Herz raste.
Meine Atmung lief schneller als nach jedem Sprinttraining.
Viel schneller.
Sie war unkontrolliert.
Ich atmete mehr Luft ein, als meine Lungen wieder verließ, ich schnappte nach ihr, aber es fühlte sich an, als wäre da keine Luft.
Als wäre der gesamte Sauerstoff des Raumes mit Juli verschwunden, als wäre da nichts mehr, was mich wieder beruhigen könnte.
Mein ganzer Körper kühlte sich herunter, meine Hände tropften.
Sie waren wie ein gottverdammter Wasserfall.
Einige Schweißperlen tropften wie in Zeitlupe auf das Parkett und verursachten ein Klang des Aufpralls.
Ich wollte mir die Ohren zuhalten, die Lautstärke des Aufpralls verstummen lassen.
Es klang als wäre eine Bombe eingeschlagen, es fühlte sich an, als würde dieser Tropfen meinen ganzen Körper zum Vibrieren bringen, vielmehr zum Kollabieren.
Nach wie vor geling es mir nicht, Luft richtig einzuatmen. Ich bekam Panik. Ich riss an dem Kragen meines Tshirts, es ließ sich nicht weiten. Ich zog und zog an dem Stoff, bis das typische Geräusch einer aufplatzenden Naht ertönte. Es durchzog die Stille und klang fürchterlich. Es verfestigte die aufsteigende Panik.
Abermals hatte ich den Drang, meine Ohren zuzuhalten. Ich fühlte mich wie ein kleines, schutzloses Kind.
Atmen konnte ich trotz des gerissenen Kragens nicht. Meine Lungen wollten sich nicht mit Luft füllen, es war nicht möglich.
Ich schnappte nach Luft, presste meine Hand auf meine Brust, riss, zerrte weiter an dem Tshirt.
Und dann merkte ich, wie eine panische Stimme erklang. Oder waren es mehrere? Ich wusste es nicht. Sie klangen, als wären sie Kilometer entfernt, als wäre eine Wattewelt zwischen uns. Ich konnte auch nicht erkennen, wer gekommen war. Es war ein Schleier vor meinem Sichtfeld, als wäre ich beinahe blind.
Eine Hand geleitete mich irgendwie zum Sofa, ich spürte die Berührung kaum. Ich schnappte weiter nach Luft, immer weiter und weiter. Ich konnte nicht mehr mehr einatmen, meine Lungen waren voll, aber ich brauchte mehr. Da war kein Gefühl von Luft, kein regulierter Atmungsprozess.
Die Wattewelt wurde mit jeder Sekunde dichter und schlimmer.
Kurze Zeit später wurde mir eine Tüte gereicht, an meinen Mund gehalten und versucht, damit meine Atmung zu unterstützen.
"Ein - aus", meinte die Stimme beruhigend, eine Hand strich mir behutsam über den Rücken.
Und dann, ganz langsam, mit jedem Füllen der Tüte, mit jedem meiner Atemzüge, beruhigte sich mein Körper wieder etwas.
Meine Sicht wurde immer weniger verschwommen, immer klarer, die Berührungen immer spürbarer. Ich spürte, wie die Tropfen meines Schweißes von meiner Hand entlang meines Unterarms rannen.
Wie sich mein Körper wieder etwas beruhigte und wie ich endlich wieder das Gefühl hatte, Sauerstoff zu bekommen.
Die Person, die mich aus meiner Panikattacke befreit hatte und mich nun besorgt ansah, war Anastasia.

Julis POV

Seit Stunden irrte ich sinnlos umher. Fuhr eine Straße nach der anderen ab, befand mich in mir völlig unbekannten Virteln Madrids. Bis ich irgendwann, völlig in Gedanken versunken und nicht darauf bedacht, wo ich hingefahren war, vor der Einfahrt zu Ophelias und Pablos Haus stand.
Ein Surren öffnete das Eingangstor der großen, sandfarbenen Mauer. Dahinter verbarg sich eine pompöse, moderne Villa. Ich kannte dieses Haus von den letzten Monaten nur allzu gut.
Das Tor schloss sich hinter mir wieder und ich stieg aus dem Auto aus.
Doch dieses Mal öffnete nicht wie gewohnt Ophelia die Tür, sondern ein völlig fertig aussehender Pablo. Seine Haare waren verstrubbelt, er hatte tiefe Schatten unter den Augen und wenn ich mich nicht täuschten, waren jene gerötet, als hätte er geweint.
"Pablo?", entsetzt sah ich ihn an und eilte auf ihn zu.
Seine Antwort klang müde, erschöpft.
"Was ist los, Juli?"
"Das wollte ich dich gerade fragen... was- wo ist Ophelia?", verdattert sah ich ihn an und lukte hinter ihn durch die Türe hindurch.
"Sie ähm", er räusperte sich und zog einmal tief Luft ein, "ist nicht mehr da."
"Ich- was meinst du?"
"Sie ist-", er kaute kurzzeitig auf seinem Zahnfleisch herum, "Sie ist- fort. Weg."
"Pablo, was genau meinst du?", ich sprach leise.
"Es ist aus, vorbei.", er sah mich nicht an, stattdessen blickte er auf den leeren Platz in der Garage, wo normalerweise Ophelias Auto stand. Seine Augen wurden gläsern, sofort nahm er seine Hand und strich drüber.
"Wie- was-", ich sah ihn völlig fassungslos an, "wann???".
"Es äh- es läuft schon länger nicht mehr so gut.", er fuhr mit seiner Zunge über seine Zähne und sah mich möglichst gefasst an.
"Wie- warum wusste ich davon nichts?"
In meinem Kopf drehte sich alles.
Ophelia, die massig trank. Ophelia, die länger im Urlaub geblieben war, statt zum Spiel zu gehen. Ophelia, die teils aufgedreht wirkte, so als würde sie ihre wahre Stimmung verbergen wollen.
Aber - aber das konnte nicht sein.
Das durfte nicht sein!
Wie konnte ich das übersehen haben?
Was war ich für eine schreckliche Freundin?
Was war bloß los mit mir?
Wo war mein Kopf geblieben???
"Wo ist sie?", tonlos sah ich Pablo an.
"Heute morgen fort. Sie hat ihr gröbstes Zeug gepackt und ist los. Ich weiß nicht wohin, ich weiß nicht mal, ob sie noch zurückkommt, um ihre restlichen Sachen abzuholen und wenn ja, wann."
"Sie... wie konnte ich das übersehen? Wieso hat sie es mir nicht erzählt?", mein Blick war starr auf die Eingangstüre gerichtet, "Wie konntest du mir das nicht erzählen?", ich blickte in sein Gesicht.
Er schloss die Augen, "Wenn man es ausspricht, wird es realer. Und es -es stand mir nicht zu, du bist vor allem ihre Freundin, nicht meine. Außerdem, du hattest in letzter Zeit genug eigene Probleme, ich wollte dich damit nicht noch zusätzlich belasten. Und ich denke Ophelia ging es ähnlich.", er sah mich hilflos an.
In meinem Kopf drehte sich alles, zig Gedanken, Momente schossen mir in den Kopf. Ich überlegte, wie um alles in der Welt ich so auf mich selbst fokussiert sein konnte, dass ich nicht mal bemerkt hatte, dass meine engsten Freunde in einer schrecklichen Beziehungskrise gesteckt hatten. Und das, obwohl ich gefühlt 24/7 bei ihnen gewesen war.
Ich war eine scheußliche Freundin.
Ich hatte nicht nur Jamal und mein Kind verloren und damit alles zerstört, ich hatte auch meine beste Freundin in ihrer schlimmsten Phase allein gelassen.
Wow - diese Zeit in meinem Leben wurde ja immer besser.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now