Kapitel 12

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Julis POV

"Geht's? Sonst lass mich das machen.", Jamal schob mich zur Seite und nahm die restlichen Koffer aus dem Auto, um dann den Kofferraum zu schließen.
Ich hätte eigentlich erst nach der Geburt des Kindes in ca eineinhalb Monaten mit nach Madrid gesollt, aber nun...
Ich hatte keinen Grund mehr gehabt noch länger in München zu bleiben.
Ganz im Gegenteil, ich wollte unbedingt weg aus der Umgebung.
Ich wollte vor dieser Sache fliehen, aber innerlich wusste ich ganz genau, dass das nicht ging.
Ich konnte nicht vor dem Tod meines Kindes wegrennen.
"Danke.", meinte ich leise zu Jamal, er nickte bloß.
Generell war er unglaublich distanziert und das ließ meine Augen erneut gläsern werden.
Fuck, wieso ließ er nicht endlich seinen Emotionen freien Lauf, statt mich abzuweisen, kühl zu sein und so zu tun, als würde ihn das alles kalt lassen?
Ich versuchte seit Tagen mit ihm zu sprechen - ohne Erfolg.
Er tat so, als würde er mir keinerlei Vorwürfe machen, aber ich wusste, dass das nicht stimmte.
Tief in seinem Inneren, auch wenn er sich dafür eventuell schämte, machte er mich für den Tod unseres Kindes verantwortlich. Oder zumindest hasste ein kleiner Teil mich dafür, dass ich es nicht geschafft hatte, unseren Sohn gesund zur Welt zu bringen.
Andernfalls würde er mich nicht so behandeln, wie er es gerade tat.

Ich betrat die neu eingerichtete Wohnung und sah aus der Fensterfront, die einen Blick über Madrid freigab.
Die Sonne war eben am Untergehen und wäre mein Blick momentan nicht auf alles so düster, hätte ich mich vermutlich über den wunderschönen Himmel gefreut.
Doch nun konnte ich ihn nur ansehen und erneut das Gefühl aufsteigender Tränen fühlen.
Ein Gefühl, dass ich ständig hatte seit - seit diesem Tag.
Ich hatte das Gefühl, als wären bald keine Tränen mehr übrig, die ich ausweinen konnte.
Als hätte ich die letzten Tage die ganze Flüssigkeit aus mir raus strömen lassen.
"Leb wohl keines Baby.", flüsterte ich und strich über meinen Bauch.

In diesem Moment klirrte es hinter mir, ich schnellte herum.
Jamal stand ca 2 Meter hinter mir und hatte ein Glas fallen gelassen, das nun auf dem Boden in tausend Scherben zersprungen war.
"Jamal? Geht es dir gut?!", entsetzt starrte ich ihn an.
Doch statt zu antworten, drehte sich mein Mann einfach nur um und rannte zur Tür.
Völlig verblüfft stand ich da und sah zu, wie Jamal aus unserer Wohnung rannte.
Erst als sich unten die Türe zur Straße öffnete, verstand ich, was eben vor sich gegangen war.
Ich sprintete auf den Balkon und schrie seinen Namen hinunter.
Doch statt auf mich zu hören, setzte er sich in den unten parkenden Mercedes und startete den Motor.
Dann fuhr er durch das Tor und verschwand mit dem Auto aus meiner Sichtweite.

Ein Geräusch eines Schlüssels im Schlüsselloch war zu hören, ich sprang auf.
"WO UM ALLES IN DER WELT WARST DU?!", ich schrie Jamal mit Tränen in den Augen an, der eben durch die Tür gekommen war.
"Unterwegs...", murmelte er unbeeindruckt.
"ACH WIRKLICH? Das ist mir ja gar nicht aufgefallen.", meinte ich ironisch und tigerte in der Wohnung umher.
"Verdammt ich habe mir Sorgen gemacht! Du lässt ein Glas fallen, rennst aus der Wohnung, fährst mit dem Auto weg, gehst nicht an dein Handy und kommst um", ich sah auf die Uhr, "05:38 Uhr morgens zurück! WAS SOLL DAS JAMAL?!", die Tränen liefen mir über meine Wangen, meine Beine gaben nach.
Auf dem Boden kniend strich ich mir meine Haare aus meinem Gesicht und schluchzte unaufhörlich.
Ich hatte so Angst.
Ich hatte so Angst ihn auch noch zu verlieren.
Das konnte ich nicht - das durfte ich einfach nicht.
Ich brauchte Jamal und er brauchte mich.
Wir hatten uns versprochen immer füreinander dazu sein, in guten wie in schlechten Zeiten.
Doch was war das nun?
"Mir geht es gut. Akku war leer.", Jamal hielt seinen schwarzen Bildschirm in die Höhe.
"Ach dann! Dann ist ja alles super!", ich lachte ironisch auf.
"Ich bin müde, ich gehe ins Bett.", ohne sich weiter um mich zu scheren, lief Jamal die Treppen hoch und verschwand in der oberen Etage.
Ich starrte meinem Mann fassungslos hinterher, ehe ich auf dem Boden vollends zusammenbrach.
Wie sollte das jemals wieder normal werden???

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now