Kapitel 34

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Ich liebte Heilig Abend eigentlich. Im Beisammensein der Familie essen, gemeinsam in die Kirche gehen. Weihnachten war für mich die heilige Zeit des Jahres. Und das spürte ich, als wir nach dem Besuch der Christmette zurück in das Haus der Gavis kamen. Seine Eltern hatten sich bereits übermüdet mit einem „Gute Nacht" bei allen verabschiedet und auch Aurora und ihr Mann liefen eben die Treppe hinauf. Übrig waren noch Pablo und ich. Dessen Blicke hatte ich den ganzen Abend über auf mir gespürt und meistens geflisslich ignoriert. Auch jetzt wollte ich eigentlich lieber in mein Zimmer gehen, aber er durchkreuzte meine Pläne.
„Ich hab noch was für dich."
Verwirrt sah ich ihn an, er dirigierte mich ins Wohnzimmer. Dort schaltete er den wunderschönen Weihnachtsbaum an und zog anschließend ein kleines Päckchen hervor, das er mir überreichte.
Vorhin hatte man mir erklärt, dass man die Geschenke in Spanien traditionell eigentlich erst am 6. Januar übergab, sie es in der Gavi Familie jedoch schon am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertag tun würden. Daher nahm ich das sorgfältig eingepackte Kästchen überrumpelt entgegen.
„Na los, aufmachen.", ich löste nach seinem Kommando zögernd die Schleife und packte es dann vorsichtig aus. Zum Vorschein kam eine Cartier Schmuckschatulle, weshalb ich Pablo entsetzt ansah. „Du hast nicht wirklich-", er grinste nur und deutete an, es weiter aufzumachen. Also öffnete ich den Deckel des Schmuckkästchens und stieß dann einen leisen, spitzen Schrei aus.
Ungläubig sah ich auf den goldenen Armreif, der mir entgegenblitze. Dann ging mein Blick zu Pablo, der das unmöglich ernst meinen konnte. Ich wusste, dass er Millionen im Jahr verdiente, aber es war trotzdem verrückt, mir ein mehrere Tausend Euro schweres Geschenk zu geben. Zumal er die letzten Wochen für mich wirklich mehr als genug getan und gezahlt hatte.
„Pablo, das- ich- das kann ich auf keinen Fall annehmen."
Er lächelte: „Oh doch. Ich weiß, dieser Armreif kann nichts der Scheiße der letzten Monate wieder gut machen, aber du verdienst ihn. Du stellst es immer so hin, als wäre nur ich für dich da gewesen, aber du warst in den letzten Wochen auch immer für mich da. Sie es als Dankeschön an."
Ich starrte ihn sprachlos an. Ich kannte den Wert dieses Schmuckstückes und es war nicht so, als wäre das das teuerste meiner Besitztümer. Aber trotzdem- es war etwas anderes, wenn mir Jamal so etwas schenkte.
Unterdessen nahm der spanische Fußballer den Armreif sorgsam aus der Box und sah mich auffordernd an. Zögerlich streckte ich ihm meinen Arm schließlich hin.
Er streifte ihn mir über mein Handgelenk und sah mich zaghaft lächelnd an: „Frohe Weihnachten, Juli.", dabei blieb er an meiner Hand hängen. Stumm beobachtete ich, wie seine Finger auf meinem Handrücken lagen, bis ich meinen Kopf hob und ihn ansah. Irgendwas in seinem Blick hatte sich verändert. Er starrte mich einfach nur an, seine Finger lagen nach wie vor auf der gleichen Position. Die Sekunden verstrichen. Ich schluckte, bis ich mich irgendwann abwandte. „Ich ähm- sollte", als hätte man ihn geschlagen, zog er seine Hand zurück und wandte seinen Blick ab.
„Ja, ich auch.", er räusperte sich.
„Danke Pablo.", ich sah ihn an und umarmte ihn anschließend.
Dabei strich er mir behutsam über meinen Rücken.
Ich löste mich wieder: „Gute Nacht"
„Gute Nacht Juli, schlaf schön.", ich sah ihn zaghaft an und ließ ihn dann stehen.

Irgendwas hatte sich verändert zwischen Pablo und mir. Ich wusste nicht, was es war, aber es hatte mich die ganze Nacht wachgehalten. Die Stimmung war den ganzen Tag merkwürdig gewesen und ich war mir sehr sicher, dass das auch seiner Schwester aufgefallen war. Die begutachtete uns nämlich bei jedem Wortwechsel sehr interessiert.
Momentan waren wir am Kuchen essen, als plötzlich mein Handy klingelte.
Mit Blick auf mein Display entschuldigte ich mich und stand auf, um in den Flur zu gehen.
Auf dem Display war die Nummer meines alten Chefs.
„Juli Musiala hier?"
„Frau Musiala, hallo. Peter Steinberger hier. Die Störung heute tut mir unglaublich leid, aber ich wollte keine Zeit mehr verschwenden.", seine Stimme klang hocherfreut, doch meine Gedanken drifteten von dem Gespräch ab. Denn vor mir stand ein Bild, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog. In der Mitte waren Gavis Eltern zu sehen, links von ihnen Aurora und Javi. Rechts hingegen standen Pablo und Ophelia, wodurch ich ein schleichend. schlechtes Gefühl bekam. Mein Blick richtete sich auf den Cartier Armreif und ich kaute auf meiner Lippe herum.
Das Bild nahm ich fast automatisch in der Hand und starrte einfach nur auf das glückliche Lächeln der beiden.
„Daher hätten Sie die Möglichkeit, noch vor Silvester wieder bei uns anzufangen, wenn Ihnen das passt.", der Satz zog mich wieder ins Hier und Jetzt zurück und ich riss die Augen auf.
„Also? Was sagen Sie?"
Mir schossen in dem Moment tausende Gedanken in den Kopf.
München, Jamal, Pablo.
Aber ich hatte mich nicht grundlos beworben. Ich musste weg von hier. Weg von Jamal und seiner neuen Flamme, weg von diesem Lebensabschnitt. Und damit auch weg von Pablo. Ich musste mein eigenes Leben wieder in den Griff bekommen, mich nicht auf einen anderen Mann einlassen.
„Ich-", ich starrte nochmal auf das Bild, atmete tief ein und straffte dann meine Schultern, „Ja", ich räusperte mich, „das klingt gut."

Nach dem Beenden des Gesprächs blinzelte ich ein paar Mal und ließ mein Handy sinken.
Hallo Deutschland - Tschüss Spanien.
Der Lebensabschnitt war endgültig vorbei.
„Ist alles okay?", ich fuhr erschrocken herum und sah Pablo im Türrahmen stehen.
Sein Blick richtete sich zuerst auf das Bild in meiner Hand, ehe er mich dann mit aufmerksamem Blick ansah.
„Ja, alles gut, das war nur", ich hob mein Handy ein paar Zentimeter in die Höhe, „ein Anruf aus Deutschland."
Mir war es mehr als peinlich, dass er mich hier mit dem Foto erwischt hatte.
Doch er nickte bloß und trat dann einen Schritt auf mich zu. Mit Blick auf das Bild lächelte er müde.
„Das war vor zwei Jahren. Unfassbar, ich hätte dort im Leben nicht gedacht, dass ich jemals wieder ohne sie an Weihnachten hier sein würde..."
Ich strich ihm mitleidig über die Schulter, er wirkte, als würde er aus einer Trance aufwachen.
„Apropos, ich habe überlegt, schon morgen früh zurückzufahren. Das ständige Ophelia Gerede meiner Eltern - muss ich nicht unbedingt länger ertragen... Aber wenn du noch länger hier bleiben möchtest, ist das völlig in Ordnung, dann machen wir das."
„Nein, von mir aus ist das völlig in Ordnung.", ich lächelte zustimmend.
„Okay.", dann sah er mich abwartend an: „Können wir wieder rein?"
„Ja, klar.", ich stellte das Bild schnell wieder zurück und steckte mein Handy ein.

„Und?", Pablo stand mit den Händen in den Hosentaschen da und sah mich an.
„Hübsch.", ich grinste.
Er hatte darauf bestanden, mir noch ein wenig die Gegend zu zeigen, bevor wir wieder zurück nach Madrid fuhren.
Sein Blick schweifte über den Platz.
„Über was denkst du nach?"
„Darüber, wie sich mein Leben jedes Mal extrem verändert hat, wenn ich wieder hier stehe. Letztes Mal es der Wechsel nach Real. Dieses Mal-....", er brach ab. „Und ich weiß nicht, ob ich diese Veränderungen alle mag. Hätte ich dem Barca-verrückten Jungen von damals erzählt, dass ich irgendwann beim größten Rivalen spielen würde - ich glaube, er wäre enttäuscht. Aber Barca war einfach nicht mehr das Richtige für mich..."
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und nahm seine Hand. Er wirkte gerade wie ein verletztes Kleinkind.
„Er wäre stolz, nicht enttäuscht.", ich sah ihn bekräftigend an, er hob seinen Kopf. Er starrte mich einfach nur an, bis sein Blick schließlich auf meine Lippen fiel. Er schluckte und beugte sich ein paar Zentimeter nach vorne, scheinbar wartete er darauf, dass ich mich ihm entgegen lehnte.
Mir schossen derweil zig Gedanken durch meinen Kopf.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now