Kapitel 41

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Die Tage in Dubai hatten nicht halb so gut getan, wie erhofft. Seit dem Gespräch mit Ana hatte sich was verändert. Ich wusste nicht, ob ich diese Scheidung wollte, ob ich sie konnte. Zu viele Jahre hingen an dieser Ehe, zu viele Momente, die mein Leben geprägt hatten. Und eine Frau, die mich glücklich gemacht hatte. Jeden Tag.
Aber seit dem Verlust des Babys - ich reagierte nicht mehr so auf sie, wie früher.
Da war kein Glück mehr, da war Panik.

Heute, besser gesagt in fünfzehn Minuten, war Anpfiff für das El Classico. Die gesamte Mannschaft, vor allem aber Gavi, war extrem nervös. Ich sollte eigentlich voll fokussiert auf das Spiel sein, aber meine Gedanken drifteten die ganze Zeit ab.
Zu Juli, zu Ana, zu dem Baby.
Um mich abzulenken, stand ich auf und ging nochmal aufs Klo.
Neben mir stand Pablo.
Dieser starrte geradeaus auf die Wand vor sich, es wirkte, als würde er mich ignorieren.
Ich überlegte hin und her, entschied mich dann aber doch dafür, das längst nötig gewesene zu sagen: „Danke."
„Wofür?"
„Dass du auf sie aufgepasst hast. Dass du für sie da warst.", ich sah zu ihm rüber, er drehte langsam seinen Kopf.
„Alter du hast Nerven, das jetzt anzuschneiden."
„Ich- das musste nur einmal raus."
Er schüttelte den Kopf: „War sicher nicht für dich Mann."
„Ich weiß, trotzdem. Ich hätte schon längst was sagen sollen."
„Ach so und du dachtest dir, ne Viertelstunde vor einem der wichtigsten Spiele der Saison, während wir beide nebeneinander pissen, ist dann mal der richtige Zeitpunkt oder was?"
„So war das nicht gemeint, ich-"
„Ja und deine Affäre mit unser Physiotherapeutin war sicher auch nicht so gemeint, was?", er schnaubte spöttisch.
„Mann ich weiß doch auch nicht..."
„Ne, fang jetzt bitte nicht an, dich hier auszuheulen. Dafür bist du echt paar Monate zu spät dran. Und vielleicht solltest du dir für sowas auch ne bisschen unparteiischere Person zu Rat ziehen. Eine, die deine Frau monatelang hat leiden sehen, ist da bisschen voreingenommen."
„Deshalb sag ich ja danke."
„Wie gesagt, es war sicher nicht für dich.", damit ließ er mich stehen und verließ den Raum.
Ich atmete tief durch.
Scheiße...

Das Spiel war eine einzige Katastrophe. Pablo, der von Barcas Rängen maßlos ausgepfiffen und ausgebuht wurde, war mit Abstand unser bester Spieler und selbst er war unterirdisch. Auch Pedri erging es ähnlich, den die Pfiffe scheinbar hinderten, auch nur einen gescheiten Pass zu spielen. Ich selber spielte ebenfalls miserabel, es war einfach keinerlei Konzentration möglich. Und ich verfluchte diese ganze Situation, die mich scheinbar auch noch daran hinderte, Fußball spielen zu können.
Wir lagen 0:3 hinten, das hier war nicht Real Madrid, das war Real Katastrophal. Und wenn wir nicht bald etwas änderten, würde uns der Trainer vom Platz brüllen, die Medien uns zerreißen und die Fans das Stadion verlassen.
Knapp dreißig Minuten hatten wir aber noch, theoretisch war noch alles möglich.
Theoretisch.
Denn in dem Moment ergab sich tatsächlich endlich eine Chance. Pablo hatte sich den Ball erkämpft und dribbelte mit ihm nach vorne. Bevor ihn zwei von Barcas Verteidiger abhielten, schoss er einen idealen Querpass zu mir. Einen der Verteidiger dribbelte ich ohne Probleme aus, rannte weiter nach vorne, vor in den Strafraum. Vor mir war lediglich der Torwart, ich hatte quasi freies Schussfeld.
Genau in dem Moment, in dem ich zum Schuss ansetzte, durchzog jedoch ein unglaublicher Schmerz meinen Unterschenkel.
Einer von Barcas Verteidiger, Leo Cuba, war mir seitlich reingegrätscht. Ich flog längs zu Boden, fiel auf meine ausgestreckte Hand, die nachgab, dann auf meinen Ellenbogen. Beide wurden mit so einer Wucht getroffen, dass auch durch sie ein scheußlicher Schmerz hindurch gingen.
Ich schrie vor Schmerzen auf, im Hintergrund hörte ich Entsetzen von der Tribüne und ein Schiripfiff.

Wie die Notärzte zu mir kamen und ich mit zerstörtem Unterarm, der bei jedem Zentimeter Verschiebung unfassbar schmerzte, mit ihnen vom Platz humpelte, Cuba derweil rot kassierte, bekam ich nicht mehr wirklich mit.
Ich raffte erst wieder etwas, als man mir die Diagnose stellte.
Diese fiel relativ ernüchternd aus: Kahnbeinbruch und zu allem Überfluss noch eine Schienbeinprellung...
Na wunderbar.

„Jamal, wie geht es dir.", unser Trainer kam rein und zog seine Augenbraun zusammen, ich spielte mit meinem Handy herum.
„Spür nichts mehr, bin voller Schmerzmittel.", ich kaute auf meiner Unterlippe, „Wie ging das Spiel aus?"
„0:4"
Ich schloss meine Augen und als ich sie wieder öffnete, nahm ich das Iphone und schleuderte es einmal quer durch den Raum.
Ich war so unglaublich wütend. Es lief nichts so wie es sollte. Nichts.
„Wow... hättest du heute mal so den Ball geschossen, wäre das Spiel jetzt vielleicht anders ausgegangen.", ich sah ihn entnervt an.
„Jamal, hör zu. Du hattest keine einfache Saison hier. Die Fehlgeburt, die Trennung von deiner Frau, die Liebelei mit einer Mitarbeiterin...", er pausierte und sah mich eindringlich an, „...jetzt das. Und ich habe wirklich Mitleid mit dir, aber: wenn die Ärzte dich wieder für einsatzfähig halten, erwarte ich von dir, dass du deinen privaten Kram zur Seite schiebst und verdammt nochmal so spielst, wie wir es beim Kauf erwartet haben. Ich weiß, dass du das kannst Junge, aber du musst es wollen. Im Fußball musst du liefern, du wirst nicht für unkontrolliertes Ball jonglieren mit Millionen bezahlt. Das hier ist Real Madrid, wenn du nicht zu 200 Prozent da bist, bist du weg. Also komm in die Puschen! Klar?"

Ich hatte niemanden sonst mehr sehen wollen. Bereits für morgen war die minimal invasive OP angesetzt, danach blühte mir ein vierwöchiger Gips. Wenigstens spürte ich keine Schmerzen mehr.
Ich verfluchte Cuba, ich verfluchte ihn zu tiefst.
Das Display meines Handys war aufgrund meines Anfalls von einem Riss durchzogen, aber es funktionierte noch.
Es lag achtlos neben mir und als es klingelte, war ich kurz davor, es nochmal durch die Gegend zu schleudern.
Vielleicht ging es dann ja kaputt und nervte mich nicht mehr.
Im letzten Moment sah ich jedoch den Namen auf dem Display und stoppte deshalb mitten in meiner Bewegung.

Juli ruft an

Mein Herz blieb gefühlt stehen.
Nach einigen Sekunden blankem Starren räusperte ich mich und nahm ihn an.
„Jamal?", ihre Stimme war ein einziges Krächzen.
Ich sagte erstmal nichts. Wie lange war es her, dass ich ihre Stimme zuletzt gehört hatte?
Ein beklemmendes Gefühl schlich sich in meinen Bauch und noch etwas anderes. War es Schuld?
„Juli, hey.", wenn ich ihre Stimme zuvor als Krächzen beleidigt hatte, nahm ich es in dem Moment zurück. Meine Stimme klang wie ein absterbender Rabe.
„Hey...", sie klang labil, so als wäre sie nicht in der Lage, von selber loszureden.
„Juli, wieso rufst du mich an?"
„Ich ähm, ich habe das von deiner Verletzung gehört. Wie- wie geht es dir?"
Ich antwortete nicht sofort, ich war zu überfordert.
Das Schuldgefühl, es wurde immer stärker und stärker. Ich hätte längst mit ihr reden müssen.
Mein Schweigen war scheinbar ein Zeichen für sie, dass der Anruf nicht gewollt war. Denn nach einigen Sekunden murmelte sie vor sich hin: „Es tut mir leid, der Anruf war unangebracht, ich lege besser auf."
„Nein Juli, warte!", es war ein Schlucken zu hören, „Ich hab bloß nicht damit gerechnet, dass du dich darum noch scherst..."
Es war still, bis sie plötzlich mit bebender Stimme meinte: „Wie könnte ich auch nicht... Wie schlimm ist es?"
„Dem Bein gehts gut, nur eine Prellung. Aber ich hab einen meiner Handknochen gebrochen. Morgen ist die OP, danach vier Wochen Gips."
„Scheiße."
„Jap..."
Es entstand eine Stille. Keine unangenehme, einfach eine Stille.
„Juli?"
„Ja?"
„Das mit dem Hörsaal- es tut mir leid."
„Woher-"
„Lilli", erwiderte ich kurz und knapp.
„Natürlich...", murmelte sie.
„Juli?"
„Hm?"
„Es- es tut mir gene-", sie unterbrach mich.
„Lass das. Du wirst dich jetzt nicht während eines Telefonates, das ich begonnen habe, für das alles entschuldigen, Jamal."
Ich schluckte.
„Ich sollte besser auflegen. Gute Besserung, ich hoffe, die OP morgen verläuft gut."

Nach dem Telefonat starrte ich an die Decke.
Was hatte ich die letzten Monate bloß angerichtet?

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now