Kapitel 29

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Ich wachte auf. Um mich herum war es hell, die Sonne strahlte mir ins Gesicht. Ich blinzelte ein paar mal und realisierte dann, dass ich auf Pablos Couch lag. Zugedeckt war ich mit einer weichen Decke, die ich mir ganz sicher nicht selbst drübergelegt hatte. Leicht lächelnd sah ich mich um und sah dabei Pablo in der Küche stehen.
Bis mir dann schlagartig wieder einfiel, warum ich hier war. Es fühlte sich an, als hätte man mir einen Kübel voller eiskaltem Wasser drübergeschüttet.
Jamals Worte brachen über mir ein und ich spürte, wie mir erneut Tränen in die Augen stiegen.

Ich kann dich nicht ansehen, ohne daran zu denken, dass unser Kind nicht tot wäre, wenn du nicht mehr leben würdest

Aber ich wollte nicht weinen.
Nicht schon wieder.
Entschieden wischte ich mir einmal über meine Augen und richtete, so gut es ohne Spiegel ging, meine Haare. Dann stand ich auf und fiel dabei fast in mir zusammen, weil ich das gestrige Training, wie erwartet, in jeder Zelle meines Körpers spürte.
Ich versuchte mich so gut es ging aufzurichten und faltete die Decke sorgfältig zusammen, um mehr zu Pablo zu torkeln, als zu laufen.
"Guten Morgen."
Er drehte sich um und lächelte mich an: "Eher guten Mittag.", verwies er auf die Uhr, laut der es bereits 12:41 Uhr war.
"Oh wow, hab ich so lange geschlafen?", ich verzog mein Gesicht.
"Felsenfest. Hatte schon Angst, dass du beim Geräusch der Kaffeemaschine aufwachst, aber nein."
Trocken lachte ich auf.
"Danke für die Decke übrigens."
Er starrte mich einfach nur an, ehe er sich dann ruckartig mit einem kurzen Nicken abwandte.
"Dein Handy hat übrigens ein paar Mal vibriert, danach ist der Akku ausgegangen. Hab es hier angeschlossen.", er zeigte auf eine Steckdose neben dem Bartisch der Küche.
"Danke.", ich strich mir eine Strähne aus dem Gesicht und lief zu meinem Handy.
"Willst du einen Kaffee oder lieber Mittagessen?"
"Kaffee, sofern du noch keinen Hunger hast?"
"Nope, hab auch erst eben angefangen zu frühstücken.", er zeigte auf eine Bäckertüte auf dem Tresen.
"Wow, du warst schon draußen und beim Bäcker?"
"War Joggen.", er zuckte mit seinen Schultern, "Konnte ab 8 Uhr nicht mehr schlafen."
Ich sah ihn mitleidig an: "Hast du schon was von ihr gehört?"
"Ja.", er schluckte, "Sie kommt mit ihrer Mutter nächste Woche her, um alles mitzunehmen und alles weitere zu klären.", er kaute auf seinem Zahnfleisch herum und blinzelte ein paar Mal.
Kurzerhand ging ich einen Schritt auf ihn zu und zog ihn in eine Umarmung.
Er streichelte mir über meinen Rücken und legte sein Kinn auf meiner Schulter ab.
So standen wir erstmal da, bis er sich nach einigen Minuten räuspernd löste.
"Na los, frühstücken wir."

"Pablo", ich sah ihn vorsichtig an, "Ich weiß, du hast morgen wieder Training und alles, aber"
"Du kannst so lange bleiben, wie du willst.", vervollständigte er meinen Satz.
"Nur wenn es dir wirklich keine Um-"
"So ein Quatsch. Das Haus ist eh viel zu größ für mich alleine und wir haben zwei Gästezimmer. Mach dich hier so breit wie du willst, ich bin dankbar, wenn ich hier momentan nicht alleine sein muss..."
"Danke.", ich sah ihn ernst an und drückte seine Hand, er nickte leicht lächelnd.
"Ich hole mir morgen Sachen aus unserer Wohnung, während ihr Training habt. Dann muss ich nicht ewig in diesen Klamotten bleiben..." 
"Du kannst bis dahin auch gerne was von Ophelias Zeug anziehen. Hab oben zwei Schränke gefüllt..."
"Nein das-"
"Hey, abgesehen davon, dass es ihr vermutlich nicht mal auffallen würde, wenn du es dauerhaft behalten würdest; wenn das Zeug bis in einer Woche wieder gewaschen wurde, ist da nichts dabei. Außerdem bin ich mir sicher, dass sie absolut nichts dagegen hätte.", er sah mich zuversichtlich an, ich zögerte kurz.
"Na komm."

"Das ist dein Schlafzimmer für wie lange du auch möchtest, da hab ich dir ein paar Handtücher", er legte einen Stapel hellblauer Handtücher auf einen Hocker, "das Bad ist nebenan. Duschgel, Shampoo, Zahnbürste und alles ist drüben im Schrank. Hier ein paar Klamotten, die müssten passen. Wenn du was brauchst, sag mir Bescheid, okay?"
"Danke Pablo.", ich sah ihn ernst an. Ich hätte keine Ahnung gehabt, wo ich sonst hingehen hätte sollen. Natürlich hätte ich in ein Hotel ziehen können, aber momentan alleine zu sein, hätte nur diese gottverdammten Worte von Jamal noch stärker in meinen Gedanken verfestigt.
"Ich bin auch froh, momentan nicht alleine zu sein, Juli.", flüsterte er und wirkte dabei extrem labil.
Er tat mir unfassbar leid und ich wünschte mir so sehr, ihm helfen zu können.
"Ich wollte jetzt dann noch ein bisschen Sport machen, willst du mitmachen?", er sah mich zögerlich an.
"Ich hab einen richtig üblen Muskelkater von gestern.", bedauernd sah ich ihn an.
"Oh.", er fing an zu lachen, "Naja gut, dann lieber nicht. Wenn du willst, kannst du aber eine Sportsalbe dagegen haben."
"Das wäre toll, danke."
"Klar. Warte, ich hole sie kurz."

Ich setzte mich auf das Bett und atmete einmal tief ein. Dann strich ich mir einmal über meine Stirn und wischte so meine Haare aus meinem Gesicht.
Ich ließ mich zurückfallen und starrte an die Decke.
Wie, bloß wie nur, konnte ein Leben in so wenigen Monaten so scheiße werden?
Was hatte ich getan, um alles verlieren zu müssen?
Wieso nur?
Nachdem ich merkte, dass mir erneut Tränen in die Augen stiegen, schluckte ich einmal schwer und blinzelte ein paar Mal.
Dann nahm ich mir mein Handy zur Hand und wählte Ophelias Nummer.
Nach dem fünften Klingeln nahm sie ab.
"Hey..."
"Hallo Juli.", sie klang erschöpft, kaputt, fertig. Die sonstig herauszuhörende Lebensfreude war weg.
"Ich", ich holte tief Luft, "hab das von Pablo und dir gehört. Ich- ich weiß nicht mal, was ich sagen kann...", ich pausierte kurz, "Es tut mir so unglaublich leid, Ophelia."
Sie sagte nichts, stattdessen war ein starkes Einatmen durch die Nase zu hören.
"Ich- wieso hast du nie was gesagt? Nein entschuldige, vergiss die Frage, das ist nicht der richtige Augenblick dafür. Was ich jedenfalls fragen wollte: wie geht es dir?", meine Stimme klang besorgt, denn ich war es. Sie hatte keinen Ton gesagt, in dieser gesamten Zeit. So oft hatte ich mich bei ihr ausgeheult, so oft hatten wir über Jamal und Ana geredet. Und sie hatte die ganze Zeit ebenfalls gelitten. Und ich - hatte das nicht bemerkt.
"Mir ähm- geht's den Umständen entsprechend ganz gut. Bin bei meinen Eltern untergekommen. Muss gucken, wie das alles jetzt weitergeht, aber sonst... Ich meine, es war abzusehen, weißt du?"
Ich schluckte.
Nein, wusste ich nicht.
"Heißt nicht, dass es nicht weh tut."
"Das hab ich auch nicht gemeint. Aber... Ich hab mich die letzten Monate schon darauf vorbereitet."
"Möchtest du reden? Persönlich meine ich?"
"Ich scheue gerade ein wenig den Kontakt zur Außenwelt haha. Aber vielleicht ein ander mal, okay?"
"Ja, natürlich. Wann immer du willst..."
"Danke.", es wurde kurz still, "Wie geht es dir denn? Woher weißt du überhaupt davon?"
"Ich.. ", ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte sie nicht zusätzlich belasten, nicht jetzt, nicht nach alldem, "...wollte einfach nach euch sehen und dann hat es mir Pablo erzählt."
Sie schluckte: "Juli?"
"Ja?"
"Tust du mir einen Gefallen?"
"Alles."
"Pass auf ihn auf, okay? Bitte.", sie klang zerbrechlich und flüsterte.
"Mach ich", flüsterte ich zurück.
"Danke", hauchte Ophelia, man hörte ihre Tränen hochkommen.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now