Kapitel 42

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„Mum?!", ich dachte, ich sah nicht richtig, als sich die Tür öffnete und meine Mutter hereinspazierte.
Ohne mich zu begrüßen, lehnte sie sich an die Wand: „Wie lief die OP?"
„Gut, aber- was tust du hier?"
„Ich dachte mir, ich nutze die Verletzung meines Sohnes, um ihn und meine wunderbare Schwiegertochter zu besuchen.", sie lächelte ironisch, „Ach warte- mein Sohn hat sich ja von ihr getrennt, uns Monate lang darüber angelogen und sogar schon eine neue Freundin!", ihr Lachen war so abgestorben wie ein Gänseblümchen in der Sahara.
„Nette Frau übrigens, die du dir da herausgesucht hast, wenn man mal davon absieht, dass ihr Lachen circa so echt wirkt wie ihr blondes Haar."
„Du hast sie kennengelernt?", meinte ich alarmiert.
„Jaa, als sie mich aus dem Klinikum werfen wollte, weil sie dachte, ich sei ein Fan. War ihr nach der Richtigstellung extrem unangenehm, aber wenigstens hat sie dann zugestimmt, dass ich erstmal alleine mit dir reden sollte."
„Mum, ich kann das erklären okay?"
„Na da bin ich gespannt.", sie verschränkte die Arme und setzte sich auf einen Stuhl.
„Ich-", ich brach ab, „...eigentlich nicht.", murmelte ich dann.
Sie schnaubte und schüttelte ihren Kopf.
„Bekomme dein Leben endlich wieder unter Kontrolle, Jamal! Deine Frau hat wegen dir mehr gelitten, als du jemals verstehen wirst. Weißt du, wie sich das anfühlen muss?? Wenn du erst dein Kind verlierst und dich dann dein Ehemann dafür verantwortlich macht? Dass er dich dafür hasst, wenn du dich selbst schon dafür hasst? Dass dein Ehemann eine neue Frau kennenlernt und dich für sie verlässt? Wie denkst du war das für sie, hm?", sie biss sich einmal auf ihre Lippe, „Was ist bloß aus dir geworden?", nach diesen Worten stand sie auf und wollte das Zimmer scheinbar wieder verlassen.
Ich sah auf den Rücken meiner Mutter. Ich wollte protestieren, ihr sagen, dass das alles nicht so einfach war, aber ich konnte es nicht.
Das einzige, was ich konnte, war, wie gelähmt in dem Krankenhausbett zu liegen.
Denn meine Atmung wurde unkontrollierter. Meine Hände fingen an zu zittern.
Mein Herz fing an zu rasen.
Und ich fühlte mich, als würde mein Herz demnächst auf meiner Brust heraus explodieren.
Ich fühlte, wie die Kälte in jeden Zentimeter meines Körpers kroch, wie ich anfing zu zittern, wie meine Hände nass wurden, wie sich der Schweiß überall ansammelte.
Wie eine Welle aus Hitze meinen Körper unter Strom setzte und mir dann wieder schlagartig eiskalt wurde.
Wie meine Zähne anfingen aufeinander zu
schlagen, wie alles um mich herum enger, kleiner wurde.
Wie die Wände zu schrumpfen begonnen und die Raumtemperatur immer tiefer sank.
Meine Augen waren starr gerade aus gerichtet.
„Jamal??", das Entsetzen meiner Mutter hörte ich wie durch eine Wattewand.
Ich war nicht mehr hier, ich war weit weg. Ich war in diesem zusammengeschrumpften Raum, ohne viel Luft, der immer dunkler wurde.
Dunkler, erdrückender, kälter.

„Du hast Panikattacken...", Mum sah mich entsetzt an.
„Wie lange schon? War das der Grund? War das der Grund, weshalb du sie gehen hast lassen?"
Ich starrte nach vorne und schluckte.
Seit der Attacke waren circa 20 Minuten vergangen.
Nach einigen Atemzügen begann ich dann leise zu sprechen: „Nach diesem Tod war alles düsterer. Ich wollte, dass es wieder heller wird, ich wollte, dass ich mit ihr zusammen trauern kann. Dass wir da zusammen durchgehen können.", ich schluckte, „Aber es ging nicht. Jedes mal, wenn ich bei ihr war, kam dieses Gefühl. Ich konnte sie nicht mehr berühren, nicht in einem Bett mit ihr schlafen. Ich konnte nicht mal mehr im gleichen Raum sein. Ich hatte keine Ahnung wieso, ich wollte es ja. Ich- ich wollte, dass das Gefühl verschwindet, aber es ist nicht weggegangen. Und wenn ich mit Ana zusammen war, dann war es nicht da. Es kam kein Panikgefühl. Es war einfacher mit ihr, als mit Juli. Andere Gedanken, ein anderes Leben. Abseits von der ganzen Sache. Aber ich...", ich sah hoch, „... ich habe mich wohl zu sehr geschämt, um es euch zu sagen."
Meine Mutter war still und sah mich einfach nur an. Nach einiger Zeit erhob sie ihre Stimme: „Liebst du sie noch?"
Ich starrte auf die Wand über mir und schluckte: „Wie könnte ich nicht..."
Mum atmete tief ein: „Jamal, du musst zum Psychologen. Ohne Therapie kannst und wirst du nie etwas fixen können. Du wirst sie endgültig verlieren, wenn du das nicht bereits hast."
Ich sah hoch, meine Augen wurden gläsern: „Aber ich habe Angst davor. Ich will mich diesem Gefühl nicht stellen, Mum. Es war leichter, davor einfach wegzurennen."
„Wegrennen ist immer einfacher. Aber einfacher bedeutet nicht unbedingt besser."

„Jamal?", Ana sprang von meinem Sofa auf, als ich meine Wohnung mit Mum im Schlepptau betrat.
„Ana, was tust du hier?", erwiderte ich müde.
„Wie, was tue ich hier?", sie sah mich verwirrt an, „Ich bin deine Freundin?"
„Ich lasse euch beide besser alleine.", raunte meine Mutter in mein Ohr, bevor sie Ana knapp zunickte und dann nach oben verschwand.
Meine Freundin kam auf mich zu, umarmte mich und gab mir einen Kuss, ich trat einen Schritt zurück, statt ihre Gesten zu erwidern.
Etwas verloren sah sie mich an und erwartete scheinbar eine Erklärung, was los war.
Ich lief zu der Fensterfront, sie drehte sich auf ihrer Position herum, um mir dabei zuzusehen.
Draußen ging die Sonne unter.
Ich erinnerte mich an den Kauf der Wohnung.
An den Moment, in dem noch alles gut war. In dem Juli und ich beide wussten, dass das hier unser Zuhause für uns und unser Baby sein sollte.
Und nun stand ich hier - ohne Juli, ohne Baby. Sondern mit einer anderen Frau.
Und das war nicht richtig.
Ich atmete einmal tief durch, dann drehte ich mich zu ihr um.
„Ana, ich... es tut mir leid."
„Was genau?", ihr Blick war verständnislos, ich schloss einmal die Augen.
Als ich sie wieder öffnete, meinte ich mit fester Stimme: „Ich kann und werde mich nicht von Juli scheiden lassen."
Ich sah ihr in die Augen, der verständnislose Blick verschwand langsam von ihrem Gesicht. Stattdessen wurde er ausdruckslos.
Sie schluckte: „Jamal, du-", sie rang nach den richtigen Worten, „Bitte tu das nicht. Was auch immer dir deine Familie erzählt hat, das zwischen uns ist echt, ich fühle das. Und du auch, das weiß ich.", sie machte einen Schritt auf mich zu, wollte meine Hand nehmen, ich ging einen rückwärts von ihr weg.
„Das ist nichts, was mir meine Familie erzählt oder eingeredet hat. Das ist das, was von Anfang an gegolten hat. Du kannst mich für einen gigantischen Arsch halten, aber ich war verheiratet, als wir uns kennengelernt haben. Diese Frau bedeutet mir die Welt. Ich bin vor etwas weggerannt, mit dem ich nicht fertig wurde, als ich mich auf dich eingelassen habe. Mit dir war es einfacher, du warst eine Fluchtmöglichkeit.", ich schluckte einmal, weil der Satz, den ich nun sagen würde, ihr ganz sicher am meisten wehtun würde, „Aber du bist nicht sie und wirst es auch nie sein."
Ich fühlte mich fürchterlich.
Scheußlich.
Ekelerregend.
Aber es war die Wahrheit.
Ich hatte es aussprechen müssen.
Ana fehlten scheinbar die Worte.
Sie sah mit leicht geöffnetem Mund aus dem Fenster: „Wie kommst du darauf, dass sie dich nach alledem noch zurücknimmt?", sie sah mich an.
„Ich weiß nicht, ob sie das tun wird."
Sie schnaubte ironisch: „Du wirfst uns weg für die Möglichkeit, dass deine Frau so emotional abhängig von dir ist, dass sie dich zurücknimmt, nachdem du sie nach einer Fehlgeburt für eine andere verlassen hast? Ich hoffe du weißt, dass diese Ehe in diesem Falle einfach nur krank ist?!"
Tief in mir drinnen wusste ich, dass sie mit ihrer Kernaussage recht hatte. Aber darauf ging ich nicht ein.
„Ich werfe uns nicht dafür weg. Ich beende das hier, weil das keine Zukunft hat. Ich würde dich nicht heiraten können, Ana. Egal ob Juli mich zurücknimmt oder nicht, in einer Welt, in der sie existiert und ich meine Gefühle kenne, die ich ihr gegenüber so viele Jahre lang hatte und auch immer noch habe, könnte ich niemals eine andere Frau heiraten. Es tut mir leid."
Ihr stiegen Tränen in die Augen: „Ohne Kollateralschaden würde ich mich freuen, dass du auf diese Erleuchtung kamst. Aber ich bin der Kollateralschaden. Und du bist ein gewaltiges Arschloch, Jamal Musiala.", damit nahm sie sich ihre Handtasche und lief aus der Wohnung.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now