Kapitel 22

772 47 40
                                    

Julis POV

Ich starrte auf die Wanduhr in unserem Wohnzimmer.
Tick, Tack
Tick, Tack
Tick, Tack
Ich wusste nicht, wie lange ich hier wirklich schon saß. Die Uhr lief, aber ich achtete nicht darauf, wie schnell.
Einzig und allein mein Blinzeln unterbrach alle paar Sekunden den Blickkontakt zwischen der Uhr und mir.
Die römischen Ziffern sahen mich starr an und ich sah starr zurück.
Mir war nicht kalt, mir war nicht warm.
Mir war gar nichts.
Ehrlich gesagt fühlte sich der Zustand surreal an. Als würde ich nicht wirklich leben.
Als wäre ich in meinem Körper gefangen, ohne ihn steuern zu können.
Als wäre mein Geist starr und nur ein winziger Teil in meinem Gehirn noch verstehen würde, was ich tat, ohne die Möglichkeit, irgendwas zu tun.

Irgendwann hörte ich den Schlüssel im Schloss.
Jamal war also da.
Endlich unterbrach ich meinen Blick zu der Uhr und sah auf die Tasche neben mir.
Darin befanden sich ein paar Klamotten, eine Zahnbürste und ein paar Kosmetikartikel.
Das wichtigste für eine kurzfristige Abreise also.
Ich wusste nicht, ob ich heute Abend nach ihr greifen und mit ihr diese Wohnung verlassen würde oder ob ich sie oben in meine Ankleide zurück in die hinterste Ecke stopfen würde.
Da, wo sie herkam.

"Juli?", Jamal klang müde, ich konnte es ihm nicht verübeln. Er hatte heute beinahe 80 Minuten durchgespielt und das, obwohl er seit einigen Wochen nicht mal mehr auf dem Rasen gestanden hatte.
Er kam ins Wohnzimmer und sah mich fragend an.
"Hey", mit rauer Stimme begrüßte er mich und zog dann seine Stirn kraus, "Alles okay?", langsam kam er auf mich zu.
Ich schluckte.
Das Ticken der Uhr wurde lauter.
Es fühlte sich an, als würde sie mir zuflüstern.
Tick, Tack Juli.
Die Zeit rennt.
Als würde sie mich verhöhnen.
Als würde sie mir sagen, dass ich ihn verlieren würde, wenn ich ihn nicht festhalten könne.
"Hast du dich in sie verliebt?", die Wörter brachen aus mir heraus.
Ich sah hoch in seine braunen Augen, die sich überrascht weiteten.
Ich wollte diese Frage eigentlich nicht sofort stellen.
Eigentlich überhaupt nicht.
Ich hatte viel zu große Angst vor der Antwort.
Was, wenn er ja sagte?
Was, wenn er sich wirklich in sie verliebt hatte?
Wenn er mich verlassen wollte?
Unwollend erinnerte ich mich an das Gefühl von damals zurück.
An mein deutlich jüngeres Ich, das diesen Kuss damals gesehen hatte und an die grässlichen Tage danach.
Wie beschissen es mir damals ging.
Doch dieses Mal war es anders.
Wir waren verheiratet.
Hatten ein Leben.
Hätten beinahe ein Kind bekommen.
Beinahe.
Das war der springende Punkt.
Hätte ich dieses gottverdammte Kind doch auf die Welt bringen können...
Wäre ich doch einfach nur stark genug gewesen, unser Kind zu gebären.
Wären wir dann eine glückliche Familie geworden?
Hätte sich Jamal dann nicht mit seiner blonden Physiotherapeutin getroffen?
Wäre unsere Ehe dann noch intakt?
"Von wem sprichst du? Ana?", damit riss er mich aus meinen Gedanken.
"Wer denn sonst.", meine Stimme war zerbrechlich.
Ich liebte diesen Mann.
Ich liebte ihn mit allem, was ich hatte.
Und ich hatte so eine riesige, gottverdammte Angst, ihn zu verlieren.
Alles hing von seiner Antwort ab.
Es war ein alles oder nichts.
Er war mein alles oder nichts.
Jamal sah mich stumm und aufmerksam an.
Dann kaute er auf seinem Zahnfleisch herum.
"Ich habe mich nicht in sie verliebt, Juli."
8 Wörter.
8 Wörter, die meinen Körper dazu brachten, wieder zu leben.
Die mir eine Last abnahmen, von der ich nicht gewusst hatte, wie schwer sie wirklich gewesen war.
Ich wusste, dass es sein konnte, dass seine Antwort gelogen war.
Dass er vielleicht sogar etwas mit ihr gehabt hatte, während ich weg gewesen war.
Aber es war mir egal.
Sollte er mich anlügen, sofern er es schaffte, diese Lüge aufrechtzuerhalten.
Ich wusste, ich würde andernfalls zerbrechen.
Und das wollte ich nicht.
Lieber klammerte ich mich an eine Lüge.
Jamal schloss für einen winzigen Augenblick seine Augen, bevor er auf mich zulief und mich einfach in seine Arme nahm.
Ich merkte, wie meine Tränen anfingen zu fließen.
Wie meine Beine nachließen.
Doch nicht weil ich traurig oder kraftlos war.
Sondern weil es so gut tat, endlich wieder in seinen Armen zu liegen.
So unglaublich gut.

Doch Kartenhäuser brechen früher oder später immer zusammen.
Genauso wie Lügen immer auffliegen.
Egal wie lange versucht wird, sie aufrechtzuerhalten, wie viele Menschen versuchen, sie zu leben.
Am Ende ist da bloß ein großes Loch, das alles und jeden ohne Erbarmen einsaugt.
Und das wussten wir beide.

Das Kapitel ist bisschen dramatisch geworden 🏃‍♀️💨
Weiß auch nicht, was in mich gefahren ist 💀

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now