Kapitel 46

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Der Schock saß tief. Aber in mir drinnen wusste ich, was ich zu tun hatte. Dieses Kind trug vielleicht nicht meine DNA, aber dafür Jamals.
Und egal was passiert war, damit war es irgendwo auch meins.
Wenn nun Leute sagten, dass das selbstverachtend war, dass das einen neuen Tiefpunkt meiner Selbstverachtung darstellte, dann war das okay.
Ich verstand die Sicht. Aber es war nicht das, was ich fühlte.
Es war Jamals Kind. Und damit würde auch ich es lieben, egal wer die Mutter war.
Das bedeutete es, eine Person unendlich zu lieben und mit ihr in jeder Lebensphase zu sein.

Ich fühlte mich langsam fürchterlich, weil wir ständig hin- und herflogen, umweltfreundlich war sicherlich was anderes.
Trotzdem hatte ich mich dieses Wochenende schon wieder auf den Weg nach Madrid gemacht. Neun Tage waren vergangen seit den Schwangerschaft-Nachrichten.
Jamal hatte panische Angst, dass er mich jetzt endgültig verlieren würde, das wusste ich. Aber das würde er nicht. Nicht durch dieses Kind.
Schon von weitem sah ich ihm beim Flughafen stehen.
Mit Cap und grauem Jogger versuchte er scheinbar  nicht aufzufallen, da er wie ein zwielichtiger Typ in der Ecke kauerte und sich möglichst klein zu machen schien.
Er war nervös, das erkannte ich sofort. Nicht nur wegen den zig Leuten hier, sondern auch wegen diesem Wochenende. Wegen meiner Entscheidung.
„Juli.", als er mich sah, wirkte er etwas erleichtert. Dennoch war Angst in seinen Augen zu erkennen, bevor er mich umarmte. Angst davor, dass er mich heute zum letzten Mal abholen würde.
Diese Angst spiegelte sich auch an der Umarmung wieder. Sie war panisch, so als würde er befürchten, dass ich weglaufe, sobald er mich wieder loslässt.

Die Autofahrt zu unser Wohnung verlief still. Ich sah durchgehend aus dem Fenster. Die Strecke kannte ich mittlerweile nur allzu gut.
Jamal warf mir immer wieder Blicke von der Seite aus zu, konzentrierte sich aber hauptsächlich auf den Verkehr.
Die Stille tat gut.

„Kochen wir heute lieber? Ich bin nicht so in der Stimmung rauszugehen.", er nickte als Antwort, sah mich dann abwartend an.
Er wollte nicht länger warten, er musste von mir hören, dass ich bei ihm bleiben würde.
Also atmete ich einmal tief ein.
„Jamal, ich stand letztens unter Schock.
Als ich mich dafür entschieden habe, es mit dir nochmal zu versuchen, war mir natürlich nicht klar, dass das jetzt auf uns zukommen wird. Aber es ist nunmal so. Und dieses Kind ist deins, also ist es auch meins. Vielleicht ist es krank, dass ich nach alledem auch noch ein fremdes Kind wie mein eigenes behandeln möchte, aber es ist so. Ich liebe dich so unendlich sehr, dass ich da mit dir durchgehen werde. Zumindest, wenn du das willst und mich lässt."
"Du bist dir sicher? Du weißt, was das bedeutet?", er klang unsicher.
„Ich weiß, was das bedeutet, ja. Und ich bin mir dabei auch sicher. Wie gesagt, am Anfang stand ich unter Schock. Aber seit ich wieder klar denken kann, wusste ich, was ich tun werde."
Er starrte mich einfach nur an. Dann wurden seine Augen gläsern.
„Jamal?", verwundert sah ich ihn an.
Er kam auf mich zu, schloss mich in eine Umarmung: „Wie konnte ich dich jemals aufgeben...", murmelte er, „Juli, du bist ... der beste Mensch dieser Welt.", er küsste mich, „Danke. Danke dass du mich zurückgenommen hast, danke dass du mit mir dadurch gehen möchtest.", er sah mich ernst an.
„Ich liebe dich...", murmelte ich, er schloss dankbar seine Augen.
„Ich habe übrigens noch etwas für dich.", ich zog meine Augenbrauen hoch, „Komm.", er zog mich an meiner Hand nach oben.

„Als ich es im Schaufenster gesehen habe, musste ich es einfach kaufen. Das Armband hat mich irgendwie an dich erinnert.", er zog eine Schachtel hervor, welche er öffnete.
Innen drinnen war ein wunderschönes Armband. Es war golden und bestand aus lauter aneinandergereihten Diamanten.
„Jamal, das ist wunderschön.", hauchte ich.
Er lächelte, gab mir dann eine Aufforderung, meinen Arm auszustrecken.
Dabei entdeckte er den Cartier Armreif, den mir Pablo geschenkt hatte.
„Wow... woher hast du das denn her?"
„Ähm... war Pablos Weihnachtsgeschenk.", ich lächelte knapp.
Dann schlang ich meine Arme um seinen Hals: „Danke Jamal.", ich gab ihm einen Kuss, auch er lächelte kurz. Aber sein Grinsen von eben war nicht mehr da.
„Was ist los?", ich sah ihn aufmerksam an, er schüttelte nur den Kopf.
„Jamal", mein Blick und meine Tonlage war auffordernd.
Er kaute auf seiner Unterlippe rum: „Juli, es tut eigentlich nichts zur Sache und wenn es so war, dann ist das auch voll okay, aber... lief zwischen Pablo und dir etwas?", er war sichtlich verunsichert.
Ich hatte mich schon seit der Begegnung mit Pablo beim Spiel letztens gefragt, wann er die Frage aussprechen würde.
Ich atmete einmal tief ein: „Nein. Ich war noch zu verletzt von uns. Ich will nicht behaupten, dass nichts entstanden wäre, wenn ich bereit dafür gewesen wäre, aber ... das war ich nicht.", ich zuckte mit meinen Schultern.
Jamal sah tatsächlich etwas erleichtert aus.
Dann zeigte er auf den Armreifen: „Geschmack hat er, muss man ihm lassen.", er drückte mir einen Kuss auf den Kopf.
Ich grinste: „Na los, gehen wir kochen. Ich hab langsam extrem Hunger."
Jamal sah mich für einen Augenblick an: „Ich hab eine bessere Idee.", murmelte er dann.
Dann stürzte er sich auf mich, ich schrie leicht auf.
„Hey!", meinte ich lachend, weil er seinen Kopf in meinen Bauch rammte und mich wie ein Stier durch das Zimmer schob, er lachte nur.

„Was tust du hier draußen?", Jamal trat mit einer Decke auf unsere Terrasse.
„Keine Ahnung, ist schön hier.", murmelte ich und sah hoch zum Himmel. Mein Mann trat hinter mich, legte zuerst die Decke um mich und umarmte mich dann von hinten. Seinen Kopf vergrub er in meiner Halsbeuge, dann sah er auch nach oben.
„Gerade habe ich wieder das Gefühl, dass alles, was wir hier unten tun, einfach nur unbedeutend ist."
„Für uns beide aber nicht. Nur weil es vielleicht objektiv betrachtet nicht relevant ist, heißt das nicht, dass es subjektiv auch keinerlei Bedeutung hat."
Stumm sahen wir nach oben, bis er sich irgendwann neben mich setzte und zu mir unter die Decke kam.
Es war so ein unbeschreibliches Gefühl ihn wieder neben mir zu haben.
In München hatten wir das im Sommer oft gemacht. Abends, wenn es dunkel wurde, auf die Terrasse gesessen und die Sterne beobachtet. Geredet, gewitzelt, Musik gehört. Und vor allem die Zweisamkeit genossen.
„Was geht dir durch den Kopf?", fragte ich ihn leise.
„Dass alles vielleicht anders gekommen wäre, wenn ich in München bleiben hätte wollen. Dass wir dann jetzt vielleicht zu dritt auf dem Balkon in München sitzen würden und dass da kein Baby einer anderen Frau in unser Leben kommen würde."
Ich sah ihn von der Seite an: „Das Leben kommt, wie es kommt, Jamal. Vielleicht wäre alles anders und vielleicht wäre auch alles besser. Aber vielleicht wäre auch alles schlechter. Es ist nun so, wie es ist und wir zwei werden damit klarkommen, okay? Das weiß ich."
Er erwiderte meinen Blick, dann griff er nach meiner Hand und drückte sie.
„Wie habe ich bloß die letzten Monate ohne dich überlebt...", er zog meinen Kopf auf seine Schulter und gab mir einen Kuss auf meinen Hinterkopf, „Wir beide, egal was kommt, versprochen?"
„Versprochen."

Endless love ? - Jamal MusialaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt