Kapitel 30

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"Also, ich gehe jetzt dann los, in Ordnung?", Pablo sah mich fragend an.
"Ja, natürlich. Ich fahre jetzt dann uch in die Wohnung, um mein Zeug zu holen. Brauche endlich meine Hygieneartikel, Klamotten, Laptop, etc."
Er nickte.
"Ah apropos, was ich noch vergessen hab", er lief in den Flur.
"Komm kurz her."
Verwirrt stand ich auf und trat zu ihm, er positionierte mich vor einem Kästchen in der Wand.
"Was ist das?"
"Pscht, still halten. Das ist deine biometrische Gesichtserkennung, damit du später wieder ins Haus kommst.", konzentriert sah er auf das Teil, "Okay, fertig. Hier dein Schlüssel für die Haustüre.", er warf mir einen silbernen Haustürschlüssel zu, den ich perplex auffing.
"Danke."

Schweren Herzens verließ ich das Auto und sah auf das Gebäude, was sich vor mir auftürmte. Das Gebäude, das mein Zuhause sein sollte. Aber es war es nicht. Nicht mehr.
Ich schloss meine Augen und atmete einmal tief ein. Dann öffnete ich entschlossen die Türe und lief die Treppen hoch, bis zu unserer Wohnung. Die zugehörige Türe öffnete ich nach kurzem Zögern und trat dann über die Schwelle.
Mir schlug der gewohnte Geruch entgegen.
Der natürliche Geruch der Wohnung, Jamals Parfüm, Jamals natürlicher Geruch. Und ich nahm etwas anderes wahr. Ich wusste nicht, was genau es war, aber es roch nach ... Rosen?
Da ich mir den Kopf darüber nicht zerbrechen wollte, versuchte ich einfach den gesamten Geruch zu ignorieren, der in mir Tränen auslöste.

Reiß dich zusammen, Juli

Ich reckte mein Kinn in die Höhe und lief durch den Flur. Zog meine Schuhe aus, legte den Schlüssel auf den Tisch. Betrat das Wohnzimmer.
Vor mir sah ich mich selbst und Jamal, vor mir sah ich die Szene von letztens. Aber ich ignorierte es. Stattdessen lief ich entschlossen die Treppe hoch zum Schlafzimmer.
Ich war hier nicht für sentimentale Momente, Reue oder Trauer, ich war hier für meine Taschen.
Das Bett war gemacht, dennoch sah es benutzt aus. Als hätte Jamal seit Ewigkeiten wieder hier schlafen können. Und alles zog sich in mir zusammen.
Mein Bauch fing an zu schmerzen. Doch ich ignorierte auch das. Ich lief zum Ankleidezimmer und nahm mir meine Tasche, die ich vor Wochen gepackt hatte. Nur für den Fall. Und nun war genau dieser Fall.
Dazu nahm ich mir meine zweite Louis Vuitton Reisetasche aus dem oberen Teil des Ankleidesystems und stopfte einiges an Klamotten rein. Shirts, Pullis, Hosen, Unterwäsche. Alles, was mir in den Sinn kam. Dann ging ich an meine Schuck-Schublade. Ich nahm mir ein paar wenige Ohrringe und packe sie in eine Schmuckdose. Als nächstes wollte ich nach meinen Cartier Armbändern greifen, stoppte allerdings mitten in der Bewegung.
In dem einen Fach daneben lag mein Verlobungsring.
Nach kurzem Zögern nahm ich den Ring mit dem Diamanten in der Mitte hoch.
Ich sah Jamal vor mir, wie er auf die Knie ging, sein Lächeln. Und ich spürte diesen Moment. Das Wehen des warmen, aber angenehmen Windes. Das Rauschen des Meeres im Hintergrund. Die warmen, letzten Strahlen der Sonne, ehe sie hinter dem Horizont verschwand. Dieses unendliche Glücksgefühl.
Und in meine Augen schossen Tränen. Ich blinzelte ein paar mal, wollte sie zurückhalten, aber es ging nicht.
Meine Atmung ging unregelmäßiger.
Und dann, als hätte ich mich an dem gottverdammten Ring verbrannt, ließ ich ihn zurück in die Schachtel fallen. Ich wollte diesen Ring nicht mehr bei mir tragen.
Er war Teil eines anderen Lebens gewesen.
Einer Welt, die nicht schwarz war, sondern weiß.
Eine Welt, in der mich die Person, für die ich alles nur irgend Mögliche getan hätte, nicht für ein verlorenes Baby hasste.
In der er bei mir geblieben wäre, egal was.
Und das war vorbei.
Damit auch diese Welt.
Ich schloss die Schatulle. Ich wollte diesen Schmuck, der größtenteils von Jamal kam, nicht. Ich wollte das alles hier nicht mehr.
Dieses Materielle, es war nichts wert. Nicht ohne ihn.
Mir wurde kotzübel. Mein Bauch verkrampfte sich derartig und ich kauerte mich beinahe auf dem Boden vor Schmerzen zusammen.
Doch stattdessen rannte ich so schnell es ging auf die Toilette. Gerade noch rechtzeitig erreichte ich die Toilette, ehe ein Schwall aus meinem Mund kam. Und nochmal. Und nochmal.
Ich hatte das Gefühl, als würde alles, was ich die letzten Tage zu mir genommen hatte, hier rauskommen. Ich stütze mich an der Wand neben mir ab.
Ich wusste nicht, wie oft ich erbrochen hatte. Fünf Mal? Sieben Mal? Zehn Mal? Ich hatte es nicht zählen können. Jedenfalls fühlte sich mein Magen komplett entleert an. Mein Mund war voller Erbrochenem. Der widerliche Geschmack füllte meinen Mund aus, mir wurde noch schlechter. Ich würgte und würgte, aber es kam nichts mehr. Stattdessen schliff ich mich erschwert zu unserem BD und füllte meinen Mund mit Wasser. Ich spuckte es aus, füllte ihn erneut, gurgelte, spuckte das Wasser wieder aus. So lange, bis der Geschmack weg war.
Locker 15 Minuten saß ich nur auf dem Boden des hellen Bades und spülte meinen Mund aus.
Ich war schwach, ich war kurz vor dem Zusammenbruch.
Deshalb legte ich mich auf den Boden. Meine Atmung war schwer.
Nach einiger Zeit, ich wusste nicht wie lange, richtete ich mich wieder langsam auf. Ich betat die Spülung. Einmal, zweimal, dreimal. So lange, bis auch die letzten Reste aus dem Klo weg waren. Dann wusch ich mir meine Hände und erblickte mich selbst im Spiegel. Mir blickte eine Vogelscheuche entgegen. Eine Horrorpuppe. Mein Gesicht war bleich und grünlich. Meine Lippen waren rissig, meine Augenringe dunkel und tief. Meine Augen hatten jegliches Strahlen verloren. Sie sahen matt aus, müde.
Ich fühlte mich selbst einfach nur eklig.

Mit letzter Kraft lief ich zurück in das Ankleidezimmer, nahm mir meine Taschen und lief mit ihnen nach unten. Ich warf einen letzten Blick in die Wohnung, dann zog ich die Türe hinter mir zu. Sperrte ab, lief runter, legte die Taschen in meinen Kofferraum und setzte mich hinters Steuer.
Dort atmete ich einmal tief ein, beide Hände ans Lenkrad geklammert. Ich schluckte. Dann fuhr ich los.

Hätte ich nur gewusst, dass genau eine Minute später ein anderes Auto durch die Einfahrt fuhr. Dass der Fahrer die gleiche Wohnung betrat und ebenfalls einen tiefen Atemzug beim Betreten nahm. Und ebenfalls etwas roch. Etwas, das in ihm etwas auslöste. Schmerz? Hoffnung? Panik?
Diese Person starrte auf die Fußmatte, suchte nach den gewohnten und doch langsam fremdlichen Schuhen. Doch da waren keine. Die Person lief durch die Türe, lief schnurstracks die Treppen hoch ins Ankleidezimmer und suchte verzweifelt nach der Louis Vuitton Tasche, die sie vor kurzer Zeit entdeckt hatte. Doch die Tasche war weg. Der Mensch ließ sich auf den Boden sinken, fuhr sich durch seine Haare. Und schnupperte dann etwas.
Der widerliche Geruch ließ ihn wieder aufstehen, ins Bad laufen, wo der Geruch seinen Ursprung fand und sich seinen Weg durch die ganze Wohnung suchte. Und der Person wurde schlecht. Es roch nach Erbrochenem. In der Person zog sich der Magen zusammen und sie lief zum Fenster, um es zu öffnen. Dann stellte sie sich vor den Spiegel. Ihn beschlich ein ekliges Gefühl. Er fühlte sich mit einem Mal selbst eklig. Unwohl in der eigenen Haut.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now