Kapitel 31

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Den Rest des Tages lag ich auf dem Bett, switchte zwischen sozialen Medien, Netflix und passivem „in die Luft starren" hin und her. Mein Blick weilte an der weißen Decke, die mich irgendwie zu erdrücken schien, obwohl uns grobe zwei Meter trennten. Doch der Raum fühlte sich nicht luftgebend an, eher luftentziehend. Ich fühlte mich, als würde diese Decke von oben auf mich zugehen, mich wie eine gigantische Walze unter sich begraben.
In der Hoffnung dieses beklemmende Gefühl ignorieren zu können, öffnete ich verschiedene Apps.
TikTok und Instagram gaben mir allerdings nur noch mehr Grund zur Trauerphase, da sich meine Startseiten heute scheinbar dazu entschlossen hatten, nur glückliche Pärchen-Videos zu zeigen.
Und Netflix? Nichts schien mich heute länger als 10 Minuten zu interessieren.
Ich fühlte mich wie ein gottverdammter Teenager mit Liebeskummer. Aber das war ich nunmal nicht. Ich ging langsam auf die 30 zu. Mein ganzes Leben hatte sich seit diesem Wechselwunsch nur noch um Jamal und das Baby gedreht. Ich hatte keinen Job mehr. Ich war in einem fremden Land, ohne Familie.
Was sollte ich bloß mit meinem Leben anfangen?
Wurde es Zeit, sich wieder einen Job zu suchen?
Und machte es überhaupt Sinn, in Spanien zu bleiben? Denn wenn Jamal und ich nicht mehr zusammen waren, was hielt mich dann noch hier?
Mit einem Mal kam das Wort Scheidung in meinen Kopf. Und dieses kleine, große, unschuldige, doch gleichzeitig zerstörerische Wort, war der Anfang des Endes.
Es war dieses Gefühl, was mir die Kehle zuschnürte und die Leere in mir drinnen zu einer eisigen Kälte veränderte. Das mich trotz der angenehm warmen Temperatur meines Zimmers frieren ließ. Ich begann, vor Kälte zu zittern, Gänsehaut überzog meine Arme und Beine. Das Gefühl schien das Erdrücken der Wand auch von innen heraus zu verursachen. Es zerriss mich innerlich.

Pablo versuchte es wirklich. Er versuchte es mit allen Mitteln. Egal ob gemeinsam essen, Sport treiben, Spiele spielen, Filme gucken oder der klägliche Versuch, mich nach draußen zu zerren - er gab sich wirklich Mühe.
Aber es war einfach nicht das, was mir half. Ich wusste, dass es ihm nicht wirklich arg besser ging und genau deswegen versuchte ich wirklich, auf seine Ablenkungen einzugehen. Aber es klappte einfach nicht. Egal wann, wo und was ich tat - sobald meine Gedanken für eine Sekunde von der Situation abdrifteten, schlich sich dieses kleine, hässliche Wort wieder ein.
Und genau das ging mir durch den Kopf, als ich beinahe eine Woche nach meinem „Auszug" in meinem Bett lag und auf die Wanduhr starrte. In etwa zwei Stunden würde Ophelia herkommen, ihr Zeug abholen und alles, was in diesem Haus noch von ihr übrig geblieben war, würde verschwinden. Und ich wusste, dass Pablo jede Sekunde der letzten Tage damit verbracht hatte, zu hoffen, dass die beiden sich wie durch ein Wunder doch nochmals gegen die Trennung entscheiden würden.
Aber wir beide wussten auch, dass das nicht passieren würde. Ich erwischte ihn manchmal dabei, wie er auf ein Bild der beiden starrte und seine Augen dabei gläsern wurden. Doch er tat alles, um dies vor mir geheim zu halten. Zum einen, so meine Vermutung, um sich selbst nicht eingestehen zu müssen, wie sehr er sie vermisste und zum anderen, um für mich stabil zu wirken. Und so sehr ich das auch schätzte - er könnte momentan der glücklichste oder auch unglücklichste Mensch auf Erden sein, an meiner Situation änderte dies kaum etwas. Im Gegenteil - zu denken, dass einer meiner Freunde meinetwegen irgendwelche Gefühle zu unterdrücken versuchte, ließ mich mich fast noch schlechter fühlen.
Ich fühlte mich generell einfach beschissen. Antriebslos, leer.
Nachts konnte ich nicht schlafen, tagsüber wollte ich nichts tun.
Derweil wusste ich, dass dies kein Zustand für die Ewigkeit sein konnte. Ich sollte mich nach Jobs umsehen. Etwas, das ich schon längst hätte tun sollen. Jedesmal, wenn ich Geld ausgab, fühlte ich mich schlecht. Ich war mir zu 100 Prozent sicher, dass es Jamal nicht störte, dass ich es tat, aber trotzdem. Ich war praktisch ausgezogen, es wurde Zeit für ein Leben auf eigenen Füßen.

„So, ich denke, das sollte alles gewesen sein.", murmelte Ophelia leise und schloss den Kofferraum des großen Autos, in dem sich unzählige Kisten stauten. Das alles zusammenzupacken hatte mehrere Stunden und sechs Personen gebraucht: Ophelia, ihre Eltern, ihr Bruder, Pablo und mich. Wobei ich den größten Respekt für Pablo hatte, der sich die gesamte Zeit tapfer schlug und ohne mit der Wimper zu zucken Ophelias Sachen in die Kartons gepackt hatte.
„Juli? Ich glaube, du kannst das ein bisschen besser beurteilen - wie, denkst du, geht es ihm?", sie sah mich besorgt an.
Ich zuckte mit den Schultern: „Er hat die letzten Tage ganz gefasst gewirkt, aber... gut definitiv nicht. Er vermisst dich Ophelia...", ich sah sie ernst an.
„Ich ihn auch, aber es ist das einzig richtige gewesen. Manchmal passt es einfach nicht mehr. Und Menschen hinzuhalten, mit dem Wissen, dass das nicht mehr funktioniert, ist für beide Zeitverschwendung. Und einfach nur ein verzweifelter Versuch,  die Zeit zu stoppen.", ihre Stimme ließ sie beinahe im Stich. Ich verstand, dass sie diese gespielte Gefasstheit momentan brauchte, um nicht selber völlig zusammenzubrechen.
Daher antwortete ich ihr möglichst überzeugend: „Er wird zurecht kommen."
„Ich weiß.", sie sah mich entschlossen an.
Ich kaute auf meinem Zahnfleisch herum: „Und du?"
Sie verzog ihren Mund zu einem kläglichen Lächeln: „Ich werde darüber genauso hinwegkommen, wie über die bisherigen Dinge in meinem Leben. Jetzt tut es weh, morgen ein bisschen weniger und übermorgen kann ich wieder lachen."
Ich zog sie in eine Umarmung: „Meld dich, okay? Ich weiß, Marbella ist ein Stück, aber ruf mich wenigstens ab und zu an, okay?"
Vorhin hatte sie verlauten lassen, dass ihr eine Stelle in Marbella angeboten wurde und sie dort in zwei Wochen anfangen würde. Bis dahin brauchte sie noch eine Wohnung, weshalb sie schon heute mit ihrem Zeug in die mehr als sechs Stunden entfernte Stadt aufbrach. Meiner Vermutung nach hatte sie bewusst nicht in Madrids Nähe geguckt, sondern wollte weg. Weg von Pablo, weg von den Erinnerungen. Sie gab sich stark, aber wir wussten beide, dass das einfach nur eine Fassade war.
„Natürlich", sie vergrub ihren Kopf in meinen Haaren und ich spürte, wie ihre Tränen auf mich tropften.
„Oh Ophelia...", murmelte ich leise und strich ihr über ihre Haare.
Nach einigen Minuten zog sie jedoch ihre Nase hoch und löste sich von mir.
Dann strich sie sich über ihre Augen und räusperte sich.
„Ich gucke nochmal in den Gästezimmern nach, ob da noch was ist.", ich erstarrte. Weder Pablo, noch ich hatten ihr von meinem Einzug erzählt. Ich wollte sie nach wie vor nicht mit dem Jamal-Thema belästigen. Fieberhaft suchte ich nach einer überzeugenden Ausrede, nicht in die Gästezimmer zu laufen, mir fiel allerdings keine ein. Und ehe ich mich versah, war sie auch schon wieder drinnen.
Ich joggte ihr sofort hinterher.

„Was-...", sie sah mit gerunzelter Stirn in das Zimmer hinein.
„Juli? Ist das deins?", sie sah verwirrt auf mein Top, das über dem Stuhl hing.
Ich schloss kurz die Augen. Ich hatte vermutlich keine andere Möglichkeit, ihr die Situation zu erklären. Oder wie sonst hätte ich verteidigen sollen, dass ich, nach der Trennung zwei meiner engsten Freunde, bei dem einen Teil eingezogen war.
„Jap..."
„Aber... wieso sind deine Sachen in unserem, äh Pablos, Gästezimmer?! Und seit wann?", sie sah mich verständnislos an.
„Ich äh-"
Ihr Blick richtete sich auf das Bett und ich wusste ganz genau, was ihr durch den Kopf schoss. Pablo zwei Stockwerke über uns hätte es gewusst, absolut jeder hätte es verstanden. Es stand praktisch auf ihrer Stirn geschrieben. Und dass sie allein darüber nachdachte, sich darüber Gedanken machte, an diese Möglichkeit glaubte, ließ mich mich eklig fühlen. Richtig eklig.
„Ist zwischen euch-", ich unterbrach sie.
„NEIN! Oh Gott, Ophelia natürlich nicht."
Ihre Gesichtszüge entspannten sich etwas.
„Ich... ich wollte dich damit gerade nicht belasten, deshalb habe ich nichts erzählt. Jamal und ich hatten einen Streit. So einen Das wars jetzt endgültig - Streit. Ich wusste nicht, wo ich hinsollte und Pablo hat mich deshalb hier einziehen lassen."
Sie sah mich bestürzt an und zog mich umgehend in eine Umarmung: „Oh mein Gott Juli, das tut mir so leid! Du... du hättest etwas sagen sollen, ich hätte dich doch nie alleine gelassen."
„Du hast momentan ehrlich genug mit dir selber zu tun, Ophelia. Ich komme schon irgendwie klar.", ich lächelte sie zuversichtlich an.
Sie schüttelte bloß leicht den Kopf und strich mir über meinen Arm: „Oh Gott, wieso zerbricht in letzter Zeit bloß alles... Kann ich jetzt so überhaupt nach Marbella?"
„Was?! Natürlich! Hey dein Leben sollte sich nicht um meine Ehe drehen. Du brauchst diesen Umzug und du kannst eh nichts an der Situation ändern, hörst du?!"
Sie sah mich zweifelnd an: „Wenn du was brauchst, rufst du mich an, versprich es! Und wenn es zwei Uhr in der Nacht ist. Ich bin am nächsten Tag da, verstanden?"
Ich drückte dankend ihre Hand und wir standen etwa weitere fünf Minuten in dem Raum, bis sie einmal tief einatmete: „Juli, ich weiß, das ist momentan nicht das Thema und ich kann nicht glauben, dass ich das jetzt ausspreche, aber: sollte jemals zwischen Pablo und dir was passieren, ist es - okay. Ich hab dir gesagt, du sollst dich um ihn kümmern und wenn es das ist, was euch beide in irgendeiner Form wieder glücklich macht, dann werde ich da nicht im Weg stehen, okay?"
Ich sah sie völlig überfordert an: „Was?"
Sie zuckte bloß mit ihren Schultern: „Zwischen ihm und mir ist es endgültig aus, zwischen Jamal und dir ja scheinbar auch. Und du lebst momentan hier... Alles was ich sage ist, wenn es dazu kommt, halte dich nicht meinetwegen zurück."
Ich hatte keine Ahnung, was ich darauf antworten sollte, aber diese Aussage benötigte auch keine Antwort.
Ich sah sie einfach nur an und murmelte dann leise: „Ab ins Auto jetzt."

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now