Kapitel 43

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Julis POV

„Er hatte in meiner Anwesenheit Panikattacken. Jetzt geht er zur Therapie.", ich starrte auf die Fensterfront der Goretzkas.
Mehr konnte ich nicht sagen.
Mathea sah mich von der Seite vorsichtig an: „Will er dich zurück?"
Ich zuckte erst mit meinen Schultern, nickte dann: „Hat so geklungen. Mit Anastasia hat er es jedenfalls beendet."
Sie atmete einmal tief ein: „Willst du ihn denn zurück?"
Ich zuckte erneut mit meinen Schultern.
Ich wusste es nicht.
Es war ein klares ja und ein klares nein.
Ja, ich wollte ihn zurück. Ich wollte endlich wieder in seinen Armen liegen und ich wollte, dass endlich alles wieder normal wurde.
Aber auf der anderen Seite wollte ich dieser emotionalen Abhängigkeit nicht nachgeben. Ich wollte ihm nach dieser ganzen Scheiße nicht einfach verzeihen, das war irrational, selbstverachtend.
Sie seufzte und strich mir vorsichtig über meinen Oberarm.
„Juli, ich sage jetzt etwas, was dich vielleicht verletzt, aber ich muss das sagen. Du bist von ihm absolut emotional abhängig. Das warst du damals und das bist du heute. Ich weiß, ihr liebt euch, aber Jamal hat dieses Mal wirklich Scheiße gebaut. So richtig, richtig große Scheiße. Und er kann das nicht einfach wieder gutmachen und gehen lassen, indem er sagt Hey, ich gehe jetzt zur Therapie, lass es uns wieder versuchen. Er geht sicher selbst durch eine schlimme Zeit und ich will ihn hier nicht für das alles komplett verurteilen, denn in gewisser Hinsicht gibt es ja scheinbar eine Erklärung dafür. Aber Erklärungen sind nicht unbedingt Entschuldigungen. Ich weiß nicht, was ich an deiner Stelle tun würde, geschweige denn, was das richtige ist, aber so etwas verzeiht man nicht über Nacht. Das braucht Zeit und Wille. Und selbst dann gibt es keine Garantie, dass dieses Vertrauen vollends wiederhergestellt werden kann. Er hat mit seinen Handlungen viel zerstört. Und diese Wunde sitzt tief, für sehr lange, wenn nicht für immer.
Du kannst nicht immer springen, wenn er deinen Namen ruft, Juli. Du bist nicht seine verdammte Puppe. Er hat eine Affäre angefangen, als es euch beiden am schlechtesten ging. Was ist aus In guten wie in schlechten Zeiten geworden? Was ist aus
seinem Ehegelübde geworden? Es war nie deine Schuld, dass dieses Kind nicht kam und Jamal hat sich verhalten wie der letzte ...", sie rang nach dem richtigen Wort, „...Hurensohn. Er hat dich für etwas verantwortlich gemacht, was nie deine Schuld war. Du konntest nie etwas dafür und das hat und wollte er nicht verstehen.", sie verstummte, ich starrte aus dem Fenster.
Ich war wortlos bei den Goretzkas vor der Tür
aufgetaucht, Leon hatte mich ohne Fragen rein gelassen.
Mein Gesichtsausdruck war wohl Erklärung genug gewesen.
Als Jamal mich heute angerufen hatte, war ich nicht sicher gewesen, ob ich rangehen sollte. Zwischen dem letzten Telefonat und diesem lagen zwölf Tage.
Zwölf Tage, an denen ich mich täglich gefragt hatte, ob es die richtige Entscheidung gewesen war, ihn angerufen zu haben. Aber ich hatte nicht anders gekonnt. Sein schmerzverzerrtes Gesicht zu sehen, die Angst um sein Bein, die ihm ins Gesicht geschrieben war, ich musste ihn anrufen.
Was er mir heute alles gesagt hatte, ich hatte nicht damit gerechnet.
Aber langsam verstand ich es alles halbwegs. Verständnis war allerdings kein Verzeihen. Damit hatte Mathea recht.
„Und... was machst du jetzt?"
„Ich habe keine Ahnung.", flüsterte ich.

Die Nacht darauf hatte ich kaum geschlafen. Der Anruf am Vortag, Matheas Worte, meine ständigen Gedankenwechsel - ich war durchgehend aufgewacht, hatte mich umhergewälzt.
Morgens hatte ich mich im Morgenmantel aufs Sofa gesetzt und einen schwarzen Kaffee getrunken, etwas, das ich sonst nie, wirklich nie, tat. Ich hasste schwarzen Kaffee.
Ich saß einfach nur da, sah aus meinem Fenster. Wartete darauf, dass mir ein Engel erschien, der mir sagte, was ich zu tun hatte. Der einfach alles wieder zum Guten wenden ließ.
Unterbrochen wurde mein lebloses Sitzen durch meine Klingel.
Ich war so müde, dass ich nicht mal darüber nachdachte, wer um halb acht am Morgen bei mir vor der Haustür stehen könnte. Ich sah nicht einmal durch den Türspion.
Stattdessen öffnete ich die Tür und erstarrte dann beim Anblick des Störers, mein Puls begann zu rasen.
„Was tust du hier?", flüsterte ich.
Was zum Teufel dachte er sich dabei, hier einfach aufzutauchen?
„Es wurde Zeit, Heimzukommen Juls.", seine Stimme war leise und ruhig. Auch er sah mich einfach nur an.
Das Juls ließ mich schlucken. So hatte er mich ewig nicht genannt. Und er wusste ganz genau, was es bei mir dadurch auslöste.
Seine Reisetasche hing über seiner Schulter, sein Körper steckte in einem Jogginganzug. Seine Hand war eingegipst.
Er schluckte: „Wenn du willst, dass ich gehe, dann gehe ich. Ich verschwinde und lasse dich für immer in Ruhe. Du musst es nur sagen."
Ich starrte ihn an.
Tränen sammelten sich in meinen Augen.
Meine Sicht wurde verschwommen.
Mein Blick ging zur Seite, während die Tränen über meine Wangen flossen.
Die ganzen letzten Jahre zogen in Gedanken an mir vorbei. Sämtliche Momente - gute und schlechte. Bis ich wieder ins jetzt kam.
Ich sah ihn an.
Ich sah ihn an und ich wusste, dass es mir nie möglich wäre, ihn wegzuschicken.
Ich liebte diesen Mann.
Meine Selbstachtung war egal.
Also blinzelte ich einmal und ließ mich dann in Jamals Arme fallen.

Locker zehn Minuten waren wir so dagestanden.
Es war das schönste Gefühl seit langem gewesen. Sein Puls hatte sich anfangs immens beschleunigt, dann aber wurde er regulierter.
Ich fühlte mich endlich wieder angekommen, lebendig. Eine Welt ohne Jamal war möglich, ja, aber nicht lebenswert.
„Ich hab dich vermisst, Juli.", murmelte er in meinen Haaransatz hinein.
Ich blieb still. Meine Tränen und die Art, wie ich ihn umarmte, sagten alles notwendige aus.

Endless love ? - Jamal MusialaWhere stories live. Discover now